Hamburg. Pablo Heras-Casado und das SWR Symphonieorchester gastierten mit Bruckners Sechster und dem „Te Deum“ in der Elbphilharmonie.

„Modernistisch, revolutionär und lyrisch“, so hat der eigentlich auf Früheres spezialisierte Dirigent Pablo Heras-Casado gerade sein Charakter-Profil des Sehrspätromantikers Anton Bruckner beschrieben. Im Sommer hatte der Spanier mit dem neuen Bayreuther „Parsifal“ bewiesen, dass er heikle Spezial-Langstrecken bewältigen kann, sein historisch informiertes Bruckner-Projekt mit Anima Eterna Brugge zum Jubiläumsjahr läuft.

Beim Konzert mit dem eher konventionell aufgestellten SWR Symphonieorchester jedoch, mit dem Heras-Casado eine Deutschland-Tournee in der Elbphilharmonie beendete, hat dieses so eindeutig entmystifizierte Bruckner-Bild da und dort noch Schärfe-Probleme gehabt. Aber nicht, weil Heras-Casado die Sechste Sinfonie nicht in den Griff bekommen hätte, sondern eher wegen des genauen Gegenteils.

Elbphilharmonie: Bruckner mit voller Wucht ausgereizt

Heras-Casado eröffnete den Maestoso-Beginn nicht, indem er ihn erhaben loswabern ließ, er sezierte ihn förmlich, als würde man eine komplizierte Bauanleitung mitlesen sollen, um auch ja nicht zu verpassen, wo jedes Schräubchen hingehört. Die Achtel- und die gegenläufigen Viertel-Triolen der hohen und tiefen Streicher wurden rasierklingenscharf gegeneinandergesetzt. Die punktierten Rhythmen der Holzbläser, die sich mit Motiv-Ideen einmischten, waren ebenso knackig ausgereizt.

Nur nicht wegen übertriebener Ehrfurcht ins weihevolle Vernebeln verfallen, war hier ganz offenkundig die oberste Devise. Hart ausgereizte Lautstärkekontraste, sparsames Vibrato zur Pathos-Prophylaxe, sehr zügige Tempo-Vorstellungen und der Wille zur schroffen Durchhörbarkeit ließen eine Bruckner-Deutung entstehen, die sehr analytisch klar war, sehr geerdet und weit davon entfernt, sich ins Transzendieren zurückzulehnen. Aber eben auch unerbittlich und arg auf Details fixiert.

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Je weiter Heras-Casado sich in diese Sinfonie hineinbohrte, das Adagio breit ausatmen ließ und das Scherzo – in Bruckner-Dimensionen gerechnet – luftig leicht hielt, desto mehr kam eine innere Ruhe in die anfängliche Überspannung. Heras-Casado wollte nun nichts mehr beweisen, sondern sich lieber auf der musikalischen Fläche umsehen. Im Finale dann ließen sich Orchester und Dirigent mehr und mehr mit der Musik treiben, nahmen die großen Anläufe ins große Finale und da war sie dann wieder, die gute alte Bruckner-Gänsehaut, wenn sich die Tore zum Himmel öffnen.

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Nach der Pause machte Heras-Casado mit Bruckners „Te Deum“ so weiter, wie er vor ihr geendet hatte. Als hätte der Urheber es besonders eilig gehabt, dem Herrgott seine Untertänigkeit zu belegen, eilen hier die Abschnitte dem abschließenden Stoßgebet entgegen. Die Umsetzung war entsprechend straff durchinszeniert. Die Chöre von SWR und WDR wurden ihrem Renommee gerecht, das Solistenquartett (herausragend dort: Daniel Behles Tenor) glänzte mit. Einzig die Orgel, Bruckners Allerliebstes, hätte gern noch etwas dicker auftragen können.

CD: Bruckner 4. Sinfonie. Anima Eterna Brugge, Pablo Heras-Casado (Dirigent) (harmonia mundi, CD ca. 20 Euro)