Hamburg. Ein Monolog für drei Schauspieler: Péter Nádas‘ „Der eigene Tod“ ist im Malersaal das Selbstgespräch eines Sterbenden. Eine Empfehlung.
- Das Stück im Malersaal bringt einen Text des ungarischen Autor Péter Nádas auf die Bühne
- Der Autor hatte tatsächlich einen Herzinfarkt erlebt und seine Erfahrung in Literatur verwandelt
- In der Premiere brauchten die Akteure bisweilen die Hilfe der Souffleuse
Schon der Gang in den Malersaal hinter dem Schauspielhaus fühlt sich seit einiger Zeit an wie der Weg in den Hades. Die Farbgebung wechselt nach der kürzlichen Umgestaltung der Schauspielhaus-Zweitspielstätte durch die Künstlerin Julia Oschatz plötzlich von Grellbunt zu Schwarzweiß, im Foyer geht es vorbei an einer morbiden Galerie der ausgestorbenen Tierarten. Unten eingezogen ist die „Realnische 0“ – ein Begriff, der in der Ökologie die Bedingungen beschreibt, unter denen eine Art stirbt. Diesmal also: der Mensch.
Wer den Tod erleben will, diese finale Kränkung, muss sich in die Unterwelt des Theaters begeben, wo der Regisseur András Dömötör jetzt eine autobiografische Erzählung des großen ungarischen Schriftstellers Péter Nádas auf die Bühne bringt: „Der eigene Tod“. Es ist das immens persönliche Selbstgespräch eines Sterbenden, aufgesplittet auf die Schauspieler Markus John, Matti Krause und Jan Thümer. In der Stunde seines Todes bleibe der Mensch allein, was „als Gewinn zu verbuchen“ sei, heißt es zwar an einer Stelle im Text, auf der Bühne aber teilt sich das Trio diese letzte Last. Nach neuen „Regeln des inneren Monologs“ und mit der verblüfften Erkenntnis: „Zu welchen Sensationen man im letzten Augenblick des Lebens imstande ist!“
Berührende Vorstellung: Wer den Tod erleben will, muss ins Schauspielhaus gehen
„Du wirst nicht davonkommen, du entgehst deinem Schicksal nicht“, hatte Péter Nádas erkannt, als der Autor selbst vor einigen Jahren einen Herzinfarkt erlitt und für kurze Zeit zwischen Leben und Tod balancierte. Was der (übrigens zur Hamburger Premiere anwesende) heute 82-Jährige nach der Wiederbelebung aus dem „Nichts, dem absoluten Nichts“ in einem ebenso berührenden wie schonungslosen, klarsichtigen Essay verarbeitete.
András Dömötör macht aus dieser Nahtoderfahrung einen konzentrierten, gefassten Abend und kommt auch der Unaufgeregtheit des dichten Monologtextes (dem eigentlich jede Dramatik abgeht) damit ungemein nah.
Wie der Sterbende sich „außerhalb seiner selbst“ empfindet und zugleich eine vollkommene Innerlichkeit erreicht, transportieren die drei Nádas-Figuren staunend und präzise. In fast identischen hellen Anzügen, unter denen irgendwann das hinten geschnürte Krankenhaushemd der Intensivstation sichtbar wird (Kostüme: Jana Sophia Schweers), registrieren und beschreiben sie die ausbleibenden Körperfunktionen mit einer interessierten Neugierde dem eigenen Empfinden, dem eigenen Schmerz gegenüber.
Angst ist dabei kein vorherrschendes Gefühl. Die Selbstbeobachtung umfasst Scham, aber auch die eher banale, bisweilen skurrile, fast komische Alltäglichkeit des Hinübergleitens aus dem Diesseits, wo die Vorhänge an- und abschwellen, die Hühnerbrühe nicht schmeckt und unkorrigierte Druckfahnen auf Bearbeitung warten, ins Jenseits.
„Der eigene Tod“: Das Stück im Malersaal beruht auf einem tatsächlichen Erlebnis
Fast grotesk wird es, wenn dieser „androgyne Zustand“ keine intime Angelegenheit bleibt, sondern andere beschäftigt, die sich mächtig ins Zeug legen, um den Sterbenden eben davon abzuhalten. Die düstere „Realnische 0“-Kulisse von Julia Oschatz wird dabei zur philosophischen Zwischenwelt, die veränderbar ist und erforschbar und rätselhaft. Die „emsige Aktivität des Bewusstseins“ wird, übersetzt auf die Bühne, vom Gedankenraum zum unablässigen Rede- und Bewegungsstrom.
Im Malersaal erfordert das während der Premiere bisweilen die Hilfe der Souffleuse. Freundlich erinnert sie an wieder aufgenommene Alltagstätigkeiten nach der Reanimation: Ausgerechnet der Satz „Ich staubsaugte“ fällt einem der Schauspieler an einer Stelle nicht mehr ein – unabsichtlich, eigentlich, aber trotzdem ein Moment, der unbedingt Sinn ergibt. Es dürfte eine Herausforderung sein, den Lebensfaden wieder aufzunehmen, nachdem man bereits kurz die Seiten gewechselt hatte.
Mehr Kultur in Hamburg
- Der große Überblick: Die schönsten Märchen in den Hamburger Theatern
- Statt „Mord mit Aussicht“: Caroline Peters schreibt Roman-Bestseller
- Kattendüster! Dörte Hansen schreibt Tschechow für das Thalia um
Der Schriftsteller Péter Nádas: „Gott ist leider nicht zu entdecken.“
Aber so trivial ist das Leben mitunter, voller Kleiderbügel, Staubsauggelegenheiten, Telefonnummern. Und womöglich ist ja auch der Tod nicht weniger prosaisch: „Wie lächerlich war ich in meiner ganzen menschlichen Leichtgläubigkeit“, urteilt Péter Nádas während seines unfreiwilligen Experiments. Denn dessen feine literarische und nun auch theatrale Umsetzung kann nicht davon ablenken, was er am Ende feststellen musste: „Gott ist leider nicht zu entdecken.“
„Der eigene Tod“, Malersaal im Schauspielhaus, wieder am 17.11., 20 Uhr sowie am 23.11., 1.12. und 21.12., jew. 19 uhr, Karten unter www.schauspielhaus.de
Sternstunde oder Reinfall? Jeden Monat rezensieren wir für unsere Abonnentinnen und Abonnenten mehr als 100 Konzerte, Theatervorstellungen, Choreografien, Bücher, Ausstellungen, Serien oder Filme. Hier finden Sie alle Kritiken – was Sie in Hamburg gesehen, gehört oder gelesen haben müssen!