Hamburg. Falk Richters Uraufführung von Elfriede Jelineks „Am Königsweg“ im Schauspielhaus ist beklemmend aktuell.
Der König tobt. Wie ein trotziges Kind läuft er im rosafarbenen Babydoll über die Bühne, brüllt Anmaßendes durch sein strähniges Haar und lässt ein bisschen Luft aus dem Weltkugel-Ballon. Benny Claessens hat gleich zwei dieser grandiosen, minutenlangen Soli auf der Bühne des Schauspielhauses als frisch gewählter, dummdreist-hasserfüllter Throninhaber. Sogar die güldene Löwenstatue weint blutige Tränen. Die Politik verkommt zur Trash-Entertainment-Show. Falk Richter lässt es in seiner Uraufführung von Elfriede Jelineks „Am Königsweg“ mächtig krachen.
Mit seiner überbordenden Fantasie erweist er sich als genau der Richtige, um diesem neuen Textbrocken der österreichischen Literaturnobelpreisträgerin Herr zu werden. Der handelt von einem Namenlosen, der nicht unerkannt bleibt. Wer kann der Mann mit „dottergelber Fönfrisur“ schon anderer sein als US-Präsident Donald Trump?
Jelinek arbeitet sich an der „demokratischen Katastrophe“ ab, dass dieser Mann per Wahl so unerwartet ins Amt kam. Dass in seinem Fahrwasser weltweit Rechtspopulismus und Gewalt emporgespült werden. Die geschmacklichen Verirrungen sind da noch die harmloseren. In Jelineks Sicht auf die Dinge, wie immer sprachgewaltig und voll wilder Assoziationen, ist kein Platz für Optimismus. Richter inszeniert den Text klug und ziemlich spektakulär: Schon das Bühnenbild von Katrin Hoffmann, eine Mischung aus neureicher Barock-Bude, Thronsaal, Kindergeburtstag und TV-Studio, ist ein Hingucker.
Die wütende Masse sucht einen Schuldigen
Ein Chor der Blinden sitzt mit verbundenen Augen am Tisch, und alle Mitglieder – Julia Wieninger, Anne Müller, Matti Krause, der fantastische Tänzer Frank Willens und Ensemble-Neuzugang Tilman Strauß – meistern ihre Parts mit Bravour. „Die gewalttätige Einmütigkeit, hat die das bewirkt? Offensichtlich. Doch diese Einmütigkeit verschwindet zur Gänze hinter den Mythen und Lügen, die aus dem Fernseher quellen“, heißt es da. „Der Mann spricht, er ist seine eigene Religion, die, die Sie haben, können Sie jetzt wegschmeißen.“
Es folgt der Overkill der Bild-Projektionen (Video: Michael Auder, Meika Dresenkamp) mit Obszönitäten, Perversionen, Kriegsszenen in rasanter Drehzahl zu hämmernden Electro-Beats von Matthias Grübel. Die Bühne bevölkern Schauergestalten der trivialen Unterhaltung, mal im Muppet- mal im White-Trash-Kostüm mit Platinperücke und grotesker Maske, Bonbon-Kleid und Maschinenpistole (Kostüme: Andy Besuch). Die Muppet-Senioren Waldorf und Statler schweigen betreten in ihrer Loge. In der Wüste Richtung Mexiko herrscht vor dem Mauerbau fragwürdige Lagerfeuerromantik.
Die sehr unterhaltsam glitzernde Oberfläche verhehlt nicht, dass es sich hier um eine Tragödie ödipalen Ausmaßes handelt. Die wütende Masse sucht einen Schuldigen, einen Sündenbock für ihr Unglück – und findet einen Heilsbringer. Für weitere Erklärungen hat Richter die Comedienne Idil Baydar in der Rolle ihrer Kunstfigur Jilet Ayse rekrutiert, die als neunmalkluge Unterschichtlerin im goldfarbenen Trainingsanzug dem Premierenpublikum den Kopf wäscht. Es sind diese klug platzierten Übergänge zwischen Text-Deklamation, Kasperletheater und Songs zur Erholung, die diesen Abend bei aller theatraler Überwältigung sehr dringlich und konsequent machen.
Das Schweigen der Intellektuellen
Nach der Pause sitzen sie da, die bebrillten Intellektuellen, und schweigen. „Wir sind mit dem Reden zwar noch nicht fertig, aber uns wurde das Wort im Munde abgeschnitten“, sagt Julia Wieninger. Die Zukunft gehört dem weißen, jungen Mann, dem „attraktiven Neonazi“. Als Jelinek-Widergängerin darf Ilse Ritter, Grande Dame des Theaters, mit altersmilder Sanftheit Unerbittliches sagen. „Ich habe mich verloren, schon längst, es hat mich aber niemand gesucht, wer hätte das sein sollen? Keiner.“ Die öffentlichkeitsscheue Autorin zweifelt an der Wirkung der eigenen Sätze und verzweifelt daran.
Insofern ist „Am Königsweg“ kein Stück über Donald Trump, sondern über die Ohnmacht der Intellektuellen und über die Erkenntnis, dass Reden allein gegen die Krankheit des Rechtspopulismus nicht hilft. Die Arbeiterklasse hat abgewirtschaftet. „Er wird die Abgehängten (...) wieder anhängen an die Masse.“ Aber mit welchem Ziel? Die Globalisierung verlangt nach neuen Antworten. Noch hat sie niemand. „Am Königsweg“ ist das Stück zur Lage der Welt. Starker Applaus nach fesselnden dreieinhalb Stunden.
„Am Königsweg“ 3.11., 20.00, 26.11., 17.00, 2.12., 19.30, Schauspielhaus, Kirchenallee 39, Karten: T. 24 87 13; www.schauspielhaus.de