Hamburg. Falk Richter ist neuer Hausregisseur am Schauspielhaus. Seine erste Inszenierung: das Stück der Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek.

Eigentlich war es Karin Beiers Idee. Direkt nach der US-Wahl rief sie in Wien bei Elfriede Jelinek an. Ob sie über diesen Trump nicht ein neues Stück schreiben wolle? Jelinek wollte nicht. Und tat es dann doch. „Am Königsweg“ heißt das frische Werk der Nobelpreisträgerin, und es wird – nach einer ersten Lesung in New York – nun am Schauspielhaus uraufgeführt. Die Inszenierung übernimmt Falk Richter, der einst in Hamburg unter Jürgen Flimm Theaterregie studiert hat. Der 47-Jährige ist neuer Hausregisseur am Schauspielhaus – und mit einem Jelinek-Text beschäftigt er sich nicht zum ersten Mal.

Hamburger Abendblatt: „Diese Jelinek-Sprache kommt auch ohne Körper sehr gut aus“, haben Sie mal gesagt. Wofür genau brauchen Sie also die Schauspieler?

Falk Richter: Ich habe 2006 in Wien das erste Mal ein Jelinek-Stück inszeniert, damals hatte ich wohl diesen Eindruck. Heute würde ich das anders bewerten. Ich empfinde es so, dass die Sprache von Elfriede Jelinek erst dadurch Kraft gewinnt, spürbar und verständlich wird, wenn sie ein Schauspieler spricht. Wenn man sie allein liest, ist das manchmal seltsam und schwer zugänglich.

Sie haben sich schon mal Gedanken darüber gemacht, ob die Schauspieler die Autorin vielleicht „hassen, dafür, was ihre Sprache ihnen antut“. Wie meinen Sie das?

Richter: Die Jelinek-Sprache ist zunächst einmal sehr sperrig. Es gibt keine Figuren, keine Regieanweisungen, man kriegt 100 Seiten Fließtext, der sagt: Macht damit, was ihr wollt. Die Schauspieler und ich müssen uns hindurcharbeiten und da sträubt es sich auch manchmal. Es ist ja eine Kunstsprache. Jelinek zitiert unglaublich viel – von Aischylos bis zu irgendeinem Trash, den sie im Internet gefunden hat. Da ist wirklich alles dabei. Aber sie schmeißt uns mit diesem Text genau in die Themen, die uns gerade beschäftigen. Wir merken ja alle, dass es große gesellschaftliche Umbrüche gibt, Demokratien sind gefährdet, es gibt mehr Gewaltbereitschaft. Es gibt diesen Führer in Amerika, der eine gewalttätige, hetzerische Sprache benutzt. Jelinek setzt genau da an. Was sind das für Kräfte, die an die Macht streben, was bedeutet das? Haben die Intellektuellen versagt? Es geht darum, die Weltlage zu verstehen.

„Dieser Führer in Amerika“, haben Sie eben gesagt. Die Figur Trump ist im Stück identifizierbar, der Name allerdings fällt gar nicht. Will man den Teufel nicht beschreien?

Richter: Elfriede Jelinek nennt ihn den „König“ und fragt sich: Wie kann es sein, dass sich Menschen in westlichen Demokratien autokratische Führerfiguren wünschen? Das ist ja nicht nur in den USA so, das sehen wir in Ungarn, in Österreich, in Frankreich. Bricht da etwas ganz Altes wieder durch? Jeder weiß doch eigentlich, dass demokratische Prozesse Teamarbeit sind, dass nicht ein Mensch allein alles bestimmen kann. Aber Leute brüllen wirklich „Hail Trump“, das ist keine Fiktion, das ist echt! Frau Jelinek benutzt den Namen nicht, weil es nicht nur um diesen einen Mann geht, sondern um ein Prinzip: Macht und Verführung.

Wie sehr machen Sie die Figur Donald Trump sichtbar?

Richter: Ich zeige einen infantilen König mit explodierendem Ego. Das interessiert mich bei Trump, er wirkt wie ein unberechenbares Kind. Aber es gibt ja in Jelinek-Stücken keine so eindeutige Hauptfigur. Es geht bei ihr zum Beispiel auch um den König Ödipus. Der soll das Volk von der Pest befreien, ist aber selbst die Ursache der Pest. Da gibt es deutliche Parallelen: Trump wurde gewählt, um dem „einfachen Mann“ wieder eine Stimme zu verleihen, ist aber genau die Art korrupter Unternehmer, der keine Steuern zahlt, soziale Rechte abbaut, die Gesundheitsversorgung killt. Er ist Mitverursacher der Misere, die er angeblich bekämpfen will. Das hat eine antike Tragik.

Was bedeutet das alles für Sie als Künstler? Kann man gegen Faschismus, Rassismus oder Menschenverachtung aninszenieren?

Richter: Man kann sich damit auseinandersetzen und immer wieder das Bewusstsein schärfen. Aus Jelineks Text lese ich eine große Verzweiflung heraus. Sie hat das Gefühl, dass sie als kritische Stimme in der Welt nicht mehr gehört wird. Jahrelang haben Künstler und Intellektuelle gedacht, sie würden den gesellschaftlichen Diskurs bestimmen, nun bestimmen ihn Trump und die neue Rechte.

Was macht man mit dieser Erkenntnis?

Richter: Den Schock erst mal verarbeiten, dass faschistische, antidemokratische Kräfte an die Macht drängen. Auch in Deutschland. Elfriede Jelinek setzt sich in diesem Stück intensiv und selbstkritisch mit dem großen kulturellen Wandel auseinander. Wir gehen nicht davon aus, dass wir mit einer Inszenierung diese neurechten Kräfte zurückdrängen. So einfach ist es nicht. Als Künstler will ich mich aber damit beschäftigen, wohin sich die Welt entwickelt, um wacher zu werden, um reagieren zu können. Aber, klar, es ist schon tragisch mit der Kunst: Gegen den Faschismus der 30er-/40er-Jahre wurde ja auch angeschrieben oder angemalt. Trotzdem wurde diese Kunst verbrannt oder als entartet bezeichnet, viele Künstler sind im KZ gestorben.

Welche Funktion hat das Theater für Sie? Hat es überhaupt eine „Funktion“?

Richter: Erst einmal ist das Theater ein sinnlicher Raum. Ein geschützter Kunstraum. Ich versuche darin, die Welt zu begreifen. Auf sie zu reagieren. Mit dem Team und dem Publikum in Diskussionen zu kommen. In diesem Fall über Donald Trump, Ödipus, das ganze historische Gepäck. Die Vormachtstellung des weißen Mannes ist ja keine neue Geschichte. Frauen unterdrücken, den eigenen Gewinn maximieren, Eroberungskriege führen, sich Schlösser und Burgen bauen – oder halt einen goldenen Trump-Tower. Ich nehme wahr, was sich in der Welt verschiebt und möchte das mit künstlerischen Mitteln sichtbar machen.

Und Haltung zeigen.

Richter: Ja, auch Haltung zeigen, seine eigene Position reflektieren und schärfen. Ich bin derzeit nicht ganz so pessimistisch wie Elfriede Jelineks Text. Trump könnte auch ein letztes Aufbäumen einer schlimmen reaktionären Energie sein. Wir sollten uns nicht verrückt machen lassen. Noch haben die progressiven Kräfte nicht verloren.

Wie muss man sich eigentlich die Kommunikation mit Elfriede Jelinek vorstellen? Sie geht ja kaum mehr unter Leute, tritt nicht auf, gibt keine Lesungen – sprechen Sie mit ihr während der Proben über den Text?

Richter: Gar nicht. Das Stück ist da und fertig. Eine Art Block, aus dem man wie ein Bildhauer ein eigenes Werk schafft. Sie selbst meidet Menschen, schaut sich zumindest live keine Inszenierungen an. Sie antwortet aber sofort auf E-Mails. Und als ich vor Jahren in Wien mal ein Stück von ihr inszeniert habe, habe ich sie zu Hause besucht. Sie ist sehr nett, wir haben ganz viel über Oscar Wilde, aber auch über „Sex and the City“ geredet, sie guckt sich ja alles an, kennt alles aus der aktuellen Popkultur. Und ihr Klagen, dass sie als Nobelpreisträgerin niemand mehr erhört, ist natürlich ein Klagen auf hohem Niveau – sie wird ja praktisch an jedem deutschen Theater gespielt! Wir machen hier in Hamburg die Uraufführung, demnächst wird „Am Königsweg“ überall nachgespielt. Am Deutschen Theater Berlin, am Frankfurter Schauspielhaus, in Zürich. Das Pro­blem ist nur, dass ein Trump-Anhänger damit vermutlich wenig anfangen könnte. Ihre Sprache ist halt nicht leicht verständlich. Da gibt es einen echten Bruch. Darüber ist sie sich bewusst.

Versuchen Sie denn, die Sprache in Ihrer Inszenierung zugänglicher zu machen?

Richter: Ja. Ich will ja, dass die Leute verstehen, worum es geht. Und dann ist Trump ja ein Wesen aus der Entertainment-Industrie. Er hatte eine Reality-Show, seine Frau ist Model, beide umgeben sich mit prunkvollem, geschmacklosem Trash. Heißt: Unser Abend ist auch sehr unterhaltsam. Es ist halt auch ein bisschen Muppet-Show. Nur dass Kermit, der Frosch, an den Nuklear-Codes sitzt.