Hamburg. Was geht ab bei Kolinski Billstedt? Ach, immer das Gleiche. Alle irgendwie peinlich. Amüsiert haben wir uns wieder. Am meisten über wen, na?
Kein Mensch, sagt der im Übrigen jetzt sehr engagierte, fleißige Filialleiter Thorsten (Marc Hosemann), zahlt mehr mit Karte. Zumindest in Billstedt. Es läuft die Sicherheitsschulung fürs Personal, was tun, wenn einer den Laden überfällt? Ist ja gerade erst passiert bei Kolinski. Man ist gewarnt. Man sollte sich richtig und deeskalierend verhalten. Thorstens undisziplinierte Bande muss die Schulung unbedingt erfolgreich absolvieren. Wenn nicht, darf bei Kolinski künftig nur noch mit Karte bezahlt werden, sagt die Kursleiterin. „Dann können wir einpacken“, blökt Thorsten. Blöd nur, dass Kolinski-Sicherheitschef Jonas (wie immer beschämend gut: Merlin Sandmeyer) bei Überfällen lieber zum Gegenangriff übergehen will. Mit Tornado-Kick und so. Der Hänfling glaubt tatsächlich an seine Kampfkünste. „Die Discounter“, die neue, vierte und letzte Staffel auf Amazon Prime: Es ist wieder alles ganz absurd, Fremdscham ist wie immer im Sonderangebot.
Die in Hamburg erdachte, gedrehte und produzierte Mockumentary hat seit 2021 viele Fans gefunden. Die dritte Staffel spielte bereits, nachdem Feinkost Kolinski aus Altona weggezogen war, in Billstedt (und wurde in Jenfeld gedreht) – dort soll die Saga um die überwiegend junge und offenherzige Supermarkt-Belegschaft nun zu einem Ende kommen. Nach Ansicht der ersten vier Folgen darf man sagen: Das ist auch in Ordnung so. Die Story über die selbstverliebten, unsicheren, verletzlichen Twentysomethings und ihren ebenso faulen Chef (ist ein Supermarkt überhaupt vorstellbar, in dem so wenig gearbeitet wird?), der eher ein Chef-Darsteller ist, ist langsam ausgereizt. Aber immer noch gut.
Neue Staffel „Die Discounter“ auf Amazon Prime: Konzentrierte Würdelosigkeit
Das mit der konzentrierten Würdelosigkeit, in die das Drehbuch die Figuren immer wieder brettern lässt, klappt auch diesmal wieder hervorragend. Thorsten fühlt sich von der Geschäftsführung angespornt und will Regionalleiter nach der Schleswig-Holstein-Expansion werden. Peter (Ludger Bökelmann) hat nach Floras (Nura Habib Omer) Fremdgehen einen Freifahrtsschein. Den will er („Meine Eier sind dick, mein Testosteronspiegel ist hoch, heute wird mal richtig abgefickt“) umgehend sexuell vergolden, per Anmache beim Gemüse. Klappt natürlich nicht.
Später klebt sich Peter, der vorher nie von der Klimakrise gehört hat (Lia: „Bist du dumm?“), blitzaktiviert auf dem Kundenparkplatz fest. Fahri Yardim hat einen Gastauftritt als weltenrettender Hafermilch-Gutmensch, Axel Milberg als Filialleiter bei Feinkost Kolinski in Eppendorf. Ach ja, da arbeitet Titus (Bruno Alexander) mittlerweile. Cooler Laden da, sagt er, meint es aber nicht so. Eigentlich ist er depressiv, auch, weil die überheblichen Eppendorfer ihn permanent verarschen.
Serie „Die Discounter“ auf Amazon Prime: „In Eppendorf haben alle so weiche Hände“
Nur Lieschen (Milena Tscharntke) nicht, die findet Titus irgendwie anders: „Titus hat so richtig raue Hände, so fette Hornhaut, in Eppendorf haben alle so weiche Hände.“ Klar, der kommt ja auch aus dem hemdsärmeligen Billstedt (schön, wie die Kamera einmal Plattenbauten einfängt). Stadtteil-Stereotypen, krass überzeichnet in absoluten Bullshit-Dialogen, man weiß schon, warum man bei „Die Discounter“ so oft lacht. Später wird das heulende Lieschen strafversetzt, es ist der Horror: „In der Eimsbüttel-Filiale sind alle so asozial, ich will hier in Eppendorf bleiben.“
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Die zwischenmenschlichen Beziehungen, die Schwächen und Peinlichkeiten stehen auch diesmal im Mittelpunkt. Vielleicht könnte man das Großthema Sehnsucht aufmachen. Titus will zurück zu seinem (verhinderten) Sweetheart Lia, aber in Billstedt sind es wiederum Thorsten und Jonas, der sich auch in dieser Staffel beharrlich als der Liebling nicht nur aller schamhaften Menschen erweisen wird, die den blonden Knaben auf schwärmerische Weise („Er hat ja auch was Rebellisches“) vermissen. Jonas transferiert Fake-Briefe zwischen den Filialen, zwischen Lia und Titus. Das kann ja noch was werden, und nichts Gutes. Also, im Hinblick auf den Filialfrieden, entertainmentmäßig wird’s spitze. Wer auf Gehässigkeit steht, dürfte umfänglich bedient werden.
Mit der Schulhof-Satire „KEKs“ ist kürzlich eine neue Hamburger, nach Art des Hauses unsubtile Comedy-Serie gestartet. Bevor die sich (hoffentlich) etabliert, holt nun noch einmal „Die Discounter“ zum Komik-Angriff aus.
Die neuen Folgen von „Die Discounter“ sind ab dem 27. November auf Amazon Prime abrufbar.
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