Hamburg. Oft aber doch: Die spätpubertäre Supermarkt-Bagage ist von Altona nach Billstedt gezogen. Das ist die Härte. Auch für die Betrachter.
Der leere Aldi in der Kieler Straße stand nicht mehr zur Verfügung, war halt nicht mehr leer irgendwann. Also mussten die Macher von „Die Discounter“ neu planen. Gedreht wurde nun in Jenfeld. Die Veränderung sieht man zum Auftakt der dritten, ab 22. November auf Amazon Prime abrufbaren Staffel sofort. Was tun? Das Drehbuch der Erfolgs-Mockumentary umschreiben, eh klar. Die Showrunner Emil Belton, Oskar Belton und Bruno Alexander haben genau das getan.
Der fiktive Supermarkt Kolinski ist deswegen umgezogen. Von Altona nach Billstedt, hat Chefin Kolinski so entschieden, die Zahlen waren zu schlecht. Billstedt ist rau, der Markt sieht noch weniger super aus als vorher, nämlich ramschig, keine Frage. Und auch sonst ist alles heruntergekommen.
Der notorisch großmäulige Filialleiter Thorsten (Marc Hosemann/“Last Exit Schinkenstraße“) hat keine Probleme mit diebstahlgesicherten Kupferrohren, Dealern, Wildpinklern und Waffen auf dem Parkplatz: „Hartes Pflaster, aber ich kenn mich aus mit den Jungs, ich sag nur Mümmel.“
Neue Staffel von „Die Discounter“: Ständig in der Raucherpause
Eine Mümmelmannsberger Jugend stählt einen, soll das heißen. Wenig später hat der Chef eine ramponierte Wange. Weil das der Gag ist, das ganze Konzept der Pseudo-Dokumentation: Leuten, die sich als irre von sich selbst überzeugt vor der Kamera inszenieren, agieren in der nächsten Szene so, dass man unbedingt gewillt ist, sofort das Gegenteil des zur Schau Gestellten anzunehmen. Die „The Office“- und „Stromberg“-Schule, bei „Die Discounter“ leidlich gut umgesetzt.
Zwei Staffeln lang konnte man der Belegschaft nun dabei zuschauen, wie sie gegen- und miteinander den Alltag an der Discounterfront bestritt. Realistisch war da wenig, oder? Wo gibt es denn sowas, dass die Bediensteten ständig in der Raucherpause sind? Mit den Kolinski-Filialen in Eimsbüttel und Eppendorf gab es permanent Beef. Da waren die Altonaer dann immer eine verschworene Gemeinschaft. Wo sie doch sonst ihre Profilneurosen und Unsicherheiten an sich und den anderen abarbeiteten.
„Die Discounter“: Eine Serie von jungen für junge Leute
Wie es sich gehört, ist in dieser Serie der Chef der Oberdepp und charakterlich Fragwürdigste. Obwohl er der Erwachsene ist, vom Alter her wenigstens, ist es mit seiner persönlichen Reife nicht so weit her. Aufrichten an ihm kann sich keiner, dabei haben es die jungen Leute doch schwer als Spät- und Immer-noch-Adoleszente.
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„Die Discounter“ ist in erster Linie eine Serie von jungen für junge Leute. Krasse Sprache, Sex, kein Sex, Rumgedisse, laute Vorwitzigkeit (Ludger Bökelmann als Wortdeuter und Kassierer Peter: „Ich bin Feminist, weil ich mag Frauen, die sind sexy, ich guck auch, dass die kommen.“). Man lachte erst und stöhnte dann, oder umgekehrt.
Heinz Strunk spielt in neuer „Discounter“-Staffel mit
Titus (Bruno Alexander) sieht in der dritten Staffel anders aus, er hat jetzt eine andere Frisur und ist da nicht der Einzige. Aber bei ihm ist es unfreiwillig, Haarausfall. Titus spielt mit dem Gedanken, heimlich in den Eppendorfer Laden zu wechseln, weil mit Lia (Marie Bloching) immer noch nichts läuft.
Als er sich dort beim Marktleiter (sehr laut: Heinz Strunk) vorstellen will, entpuppt sich der als Schreiaugust. Das kennt er so in etwa von Thorsten. Die stellvertretende Marktleiterin Pina (Klara Lange) ist runter mit den Nerven und rennt zum Psychotherapeuten. Überhaupt sind alle gereizt und kurz vorm Burnout, weil Billstedt eh nicht so der Hit ist. Die Party ist vorbei.
Peter (Ludger Bökelmann) und Flora (Nura Habib Omer) sind jetzt ein Paar; eines, das sich öffentlich in allerprächtigster Vulgarität fetzt. Überhaupt, wer würde in diesem Supermarkt eigenlich gerne einkaufen? Es ist doch alles sehr übergriffig hier. Und es fehlten dieser Serie so eklatant Momente der Katharsis, in denen sich Zartgefühl und menschliche Wärme offenbaren. Auch in der dritten Staffel gibt es die zunächst viel zu selten. Die ganze Härte im Umgang ist nicht immer lustig. Aber meistens.
„Die Discounter“: Mitunter leicht homophober Pennälerhumor
Und nicht alle Szenen und schauspielerische Darbietungen sind Treffer. Einige aber eben doch, es sind immer die, in denen Thalia-Schauspieler Merlin Sandmeyer als sensibler Jammerlappen Jonas auf der Bildfläche erscheint. Jonas ist der Favorit des Publikums, und das ist am Ende die Hauptsache.
Wäre das nicht so, könnte man die „Discounter“-Macher vielleicht doch mal fragen, ob die Art und Weise, wie Jonas‘ Schwulsein in den ersten beiden Staffeln beständig kompromittiert wurde, nicht doch entlarvend wirken könnte. Im Zweifel für leicht homophoben Pennälerhumor.
Als eingespieltes Supermarkt-Ensemble liefert der Cast auch in den neuen Folgen – sehr schön: der Betriebsausflug ins Kunstschneeparadies – das ab, nach was es den Zuschauerinnen und Zuschauern verlangt. „Die Discounter“ ist die komische Betrachtung von Menschen, die in einem Dienstleistungsjob ihr Dasein fristen. Beim Supermarkt an der Kasse sitzen: Ganz schöner (Alb-)Traum.
„Die Discounter“ ist ab 22. November auf Amazon Prime abrufbar.