Hamburg. Hamburgs Vollgas-Autorin hat ein neues Buch geschrieben. Es geht um Urlauber auf einer Insel. Sie glauben, lebendig wie nie zu sein.
Die haben alle eine insgesamt recht gute Zeit. Die Sonne scheint ihnen, in diesem Fall Claudius, auf den Unternehmerwanst. Sie können, wie Marc, herrliche Strandläufe machen. Oder einen Cocktail im Sonnenuntergang schlürfen. Wie Heidi. Es ist aber auch so – weil Geschichten vom Glück lahm sind –, dass selbst auf einer griechischen Urlaubsinsel Wolken aufziehen. Probleme gibt es immer. Die Ehepaare in „Nach uns der Himmel“, dem neuen Roman der Hamburger Vollgas-Autorin Simone Buchholz, sind nicht welche aus dem Bilderbuch.
Sie haben entweder einen todkranken Sohn wie Marc und Sara. Oder einer betrügt den anderen wie bei Claudius und Elisabeth, wie bei Annike und Benedikt. Praktischerweise sind es Elisabeth und Benedikt, die miteinander schlafen, es ist auf engem Raum also einiges geboten. Was das mit den „dunklen Wolken“ angeht, die „aufziehen“: Findet man nie in einem Roman der dennoch wenig zimperlichen Spracharbeiterin Buchholz. Sie schreibt lieber Sätze wie „Ihr Blick hat die Durchschlagskraft einer Machete“. Das geht völlig in Ordnung so.
Neues Buch von Simone Buchholz: Verpaarungen mit sexueller Geschäftigkeit
Was ist „Nach uns der Himmel“ also, ein sommerfrisches Kammerspiel über das, was in einer kleinen Gruppe von Menschen im Urlaub für außeralltägliche Dynamiken entstehen können? Ja, durchaus. Es kommt zu neuen Verpaarungen, natürlich mit sexueller Geschäftigkeit. Heidi etwa, eine noch nicht alte Frau, ist wesentlich älter als der 16-jährige Vincent, und fängt dennoch etwas mit ihm an. Kein Schocker, sondern eine schöne Lovestory.
Vor allem aber ist „Nach uns der Himmel“ ein schwungvoll und irre unterhaltsam geschriebenes Mysterystück von der Art Hervé Le Telliers, der zuletzt in seinem Bestseller „Die Anomalie“ ein Flugzeug nach schweren Turbulenzen gleich zweimal in New York landen ließ (beziehungsweise in New Jersey), Doppelgängeralarm. Bei Buchholz ist es auch so, dass ein Flieger, diesmal auf dem Weg von Athen auf die Insel, fast abstürzt. Er kommt dann doch an. Aber etwas ist seltsam. Die Inselbewohner ignorieren die acht Heldinnen und Helden weitgehend, beziehungsweise wirken wie autistische Pappfiguren. Was auch daran liegt, dass die Protagonisten sich so lebendig wie lange nicht mehr fühlen.
„Nach uns der Himmel“ von Simone Buchholz: Was soll das für eine Strömung sein?
Der Dialog-Spezialistin Buchholz gelingt es sehr gut, den Verdacht, dass sich hier etwas Paranormales abspielt, in das Bewusstsein der Leserinnen und Leser einsickern zu lassen. Klar ist das alles nicht subtil, wie immer bei dieser Autorin, die Thrill auch dann zum Impulsgeber ihrer Geschichten macht, wenn diese nicht zum Krimi-Genre gehören. Und die grundsätzlich Bock auf smarte Dialoge hat.
Es ist ein heller Grusel, der sich allmählich bei der Lektüre einstellt. Warum schafft es die Yacht, die der stinkreiche Claudius seiner Peergroup spendiert, nicht aufs Meer hinaus, was soll das für eine Strömung sein, die das Schiff vom richtigen In-See-Stechen abhält? Und was für hierarchisch unterschiedlich angesiedelte Leute welcher Organisation auch immer sind das, die auf einer zweiten Handlungsebene in Los Angeles Verhandlungen über einen schiefgegangenen Arbeitsauftrag führen? Geht es um die anderen Passagiere, die auch mit an Bord waren?
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Die Fragen müssen unbeantwortet bleiben, Spoileralarm. Verraten werden darf, dass Buchholz „Outer Range“, „Stadt der Engel“ (oder „Der Himmel über Berlin“) und „Sophia, der Tod und ich“ couragiert in den Plot-Mixer geworfen hat. Herausgekommen ist ein anregender Roman für einen langen Herbstabend. Wer ewig leben will, findet hier Hoffnung. Fast zumindest.
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