Hamburg. Wie immer oberhalb von rasant: Yuja Wang und das Mahler Chamber Orchestra mit einem maßgeschneiderten Programm in der Elbphilharmonie.

„Ist dies schon Wahnsinn, so hat es doch Methode …“ Kleiner als ein „Hamlet“-Zitat darf es nicht sein, um staunend zu erfassen, was die Überschallpianistin Yuja Wang im Laufe eines Konzerts mit nur zehn Fingern anstellt, als wäre das alles höchstens lauwarmes Einspieltraining. Zunächst spielte sie mit dem in jeder Lebenslage vorzüglichen Mahler Chamber Orchestra (MCO) das Ravel-Konzert, in der zweiten Hälfte die niedlich überdrehte „Jazz Suite“ des „sowjetischen Gershwin“, Alexander Tsfasman.

Danach, gerade halbwegs auf Betriebstemperatur, gönnte sie sich eine gute Handvoll sehr guter Zugaben, darunter die Bearbeitung eines Satzes aus Schostakowitschs 8. Streichquartett, für das es regulär acht Hände braucht. Wäre es in dieser Konzentration nicht so toll, wäre es furchterregend. Schon weil man nie das Gefühl loswird, dass diese Pianistin beim Tempo nach oben keine Unmöglichkeitsgrenze hat und nur noch durch so lästige Dinge wie Schwerkraft, Luftwiderstand oder heißgelaufene Flügelmechaniken ausgebremst werden könnte.

Yuja Wang in der Elbphilharmonie Hamburg: Alle Hände voll zu tun und Spaß dabei

Die Mischung des Programms, mit dem Wang kurz nach ihrem Duo-Abend mit Víkingur Ólafsson erneut in der Elbphilharmonie gastierte, ist nicht ganz neu, aber erneut clever arrangiert: Im Januar hatte sie im Großen Saal eine erste Runde mit dem MCO gedreht, mit selten Gespieltem von Strawinsky, leicht Abseitigem und was mit Jazz; damals zauberte sie die weniger bekannte Jazz-Band-Fassung der „Rhapsody in Blue“ aus den Handgelenken.

Das MCO präsentierte sich nun mit Strawinskys fast barocker Bach-Annäherung „Dumbarton Oaks“ als hochsensibel aufeinander aufpassendes Kammerensemble. Spritzig, hell, mit scharfer Transparenz und einem unentwegt antreibenden Grundpuls. Da wackelte, verklumpte oder hakte nichts.

Erst recht nicht, wenig später und stilistisch ganz anders aufgestellt, in Ravels „Le tombeau de Couperin“, ohne Dirigent kein kleines Kunststück, aber einzig vom Konzertmeister elegant und klangfarbgebungssicher in der Spur gehalten. Nichts, was man mal eben in einer Probenphase passabel zusammenlötet, dafür braucht es jahrelanges, freundschaftliches Mit- und Füreinander.

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Dieses Freundschaftsverhältnis dürfte auch ein Schlüssel zu der fröhlichen Emphase sein, mit der sich Wang und das MCO immer wieder bei ihren Tournee-Projekten aufeinander einlassen. Da schadet es dann eben auch nichts, wenn sie als tapfere Nebenberufsdirigentin vom Flügel aus den einen oder anderen Einsatz gibt, ohne dass das Orchester ihn überlebensnotwendig bekommen müsste. Denn natürlich läuft alles ja auch so.

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Elbphilharmonie: Beim Tsfasman waren Orchester und Solistin eigentlich schon in der Bonusrunde

In den Kopfsatz des Ravel startete Wang übermütig flott, es konnte gar nicht schnittig genug gehen, schon um immer wieder starke Kontraste zu den verträumt vor sich hin grübelnden Passagen aufzubauen. Besonders fein gelang Wang das im langsamen Mittelsatz, leise und zart entließ sie dort silbrig fragile Töne behutsam in die Luft. Sie kann also auch, genauso grazil, ganz anders. Genau das ist es ja, was sie von den vielen Fleißsternchen unterscheidet, denen der Erzählstoff umso eher ausgeht, je weniger Noten sie zu spielen haben.

Beim Tsfasman waren Orchester und Solistin eigentlich schon in der Bonusrunde. Dieses Show-Stück gönnt sich mit breitem Grinsen eine Menge Ironie, wenn der erste Satz schon „Snowflakes“ heißt, schneit es eben mächtig und wieder und wieder Notenläufe, wie durchgepaust bei Fats Waller oder Art Tatum. Die Solo-Klarinette grätscht immer wieder kiebig dazwischen, bis auch der letzte diese Pointe kapiert hat. Und mit dem rasanten „Career“-Finale schien Wang ins Guinness-Buch der Rekorde kommen zu wollen.

Nächstes MCO-Konzert: 26.1. Mit Mitsuko Uchida (Klavier) und Werken von Mozart und Janáček. Elbphilharmonie, Gr. Saal. Aktuelle Einspielung: Yuja Wang „The Vienna Recital“. Werke von Beethoven, Ligeti, Skrjabin u. a. (DG, CD ca. 17 Euro)

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