Hamburg. Bissig, rau, ungestüm, energisch – und in jedem Tempo mühelos: Yuja Wang und das Mahler Chamber Orchestra begeistern mit Handverlesenem.

Man kann nicht immer alles haben, selbst bei solchen Ausnahme-Begegnungen mit Yuja Wang nicht, an denen das Auge im Großen Saal der Elbphilharmonie kaum glauben kann, was das Ohr hört. Denn so ausgefallen, eigen und pfiffig handverlesen die drei Stücke auch waren, die sich diese in jeder Hinsicht einzigartige Künstlerin für das Tour-Konzert mit dem Mahler Chamber Orchestra ausgewählt hatte – ausgerechnet der Startblock in den Abend war von ausgesuchter Unnötigkeit. Und wurde auch noch so brav und wie nassgekämmt gespielt.

Denn außer bei „Jugend musiziert“-Halbfinalrunden oder in gepflegten Bläser-Kammermusik-Zirkeln ist es nicht allzu dringend angeraten, sich Mozarts Es-Dur-Serenade KV 375 zu widmen, während eine Pianistin wie Yuja Wang backstage nur darauf wartet, sich endlich vor Publikum am Flügel ausleben zu können.

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Nach dem Entbehrlichen folgte das Spannende – jeder der drei Programmpunkte war speziell besetzt, immer um den Flügel als Epizentrum gruppiert und geschickt die Konventionen der jeweiligen Entstehungszeiten aushebelnd. Ein Klavierkonzert, von Strawinsky, aber eben nicht, wie man das jahrhundertelang so regelte, mit gut ausbalancierten Streichern und Bläsern, sondern einzig mit Bläsern.

Und einem wild verschrobenen Klavierpart, der sich mit seinen neoklassizistischen Anleihen zwar beim barocken Größtmeister Bach bediente, aber von Wang mit coolem, glasklar auftrumpfenden Ton unentwegt angestachelt und in die Frühmoderne geholt wurde, bissig, rau, ungestüm und energisch aufgedreht.

Elbphilharmonie: Yuja Wang, die Pianistin, die alles mit links spielen kann

Noch sonderbarer und schrulliger ging es nach der Pause weiter, mit Janaceks „Capriccio“ für nur eine präzisionsvirtuose Klavier-Linke (als ob Wang nicht ohnehin absolut alles mit links spielen würde), eine Flöte, zwei Trompeten, drei Posaunen und eine Tenortuba, eine Mischung aus Militärkapellchen und geistreichen Herumalbern im selbst gebauten Rahmen.

Hin und wieder musste sich Wang festhalten, um nicht vom eigenen Schwung aus der Körperspannungs-Balance geschleudert zu werden; auch hier war es die reine, unbändige, funkelnde Spielfreude, der Genuss beim lässigen Nehmen jeder noch so gemein aufgestellten Hürde, mit dem Wang sich eine gute Zeit auf der Bühne machte.

Bei Gershwins „Rhapsody in Blue“ hatte sich Yuja Wang für die frühere, kleinere Jazzband-Besetzung entschieden.
Bei Gershwins „Rhapsody in Blue“ hatte sich Yuja Wang für die frühere, kleinere Jazzband-Besetzung entschieden. © Sebastian Madej | Sebastian Medej
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In Gershwins „Rhapsody in Blue” durfte sie wieder beidhändig aktiv werden, hin und wieder auch – eine noch neue Facette an ihr – als einsatzverteilende Nebenberufs-Dirigentin. Und auch hier spielte sie absichtlich neben der Spur, weil das Mahler Chamber Orchestra als Allrounder-Ensemble mittlerer Größe groß genug ist für die kleinere, jazzigere Erstfassung dieses Publikumslieblings.

Weniger Drumherum also, noch mehr Aufmerksamkeit für die Solistin, und bei jeder rasanten Phrase das Gefühl, sie könnte all das mühelos auch im doppelten Tempo und mit verdoppeltem Spaß fliegen lassen. Das Stück, das diese Musikerin nicht spielen kann, muss noch geschrieben werden.

Aktuelle Aufnahmen: Yuja Wang „The American Project“ Musik von Abrams und Tilson Thomas (DG, CD ca. 18 Euro). Mahler Chamber Orchestra „Strawinsky Pulcinella Suite u. a.“ Pablo Heras-Casado (Dirigent) (harmonia mundi, CD ca. 24 Euro)