Hamburg. Die Pianisten Víkingur Ólafsson und Yuja Wang spielten ihr Publikum im Großen Saal der Elbphilharmonie bei ihrem Klavierabend schwindlig.

Vorab hatte es natürlich auch leicht putzige Vergleiche über diese – tatsächlich nur 20-fingrige – Supergroup gegeben: Sie die „Rihanna der Klassik“, er ein Styling-Bruder von Philipp Amthor. Yuja Wang, als Überschall-Pianistin unüberholbar, und der eher nach innen hörende Isländer Víkingur Ólafsson, mit seiner Hingabe an Bach, mit bis zu zwei Flügeln, in einem Konzert?! Ein prallerer Charakter-Gegensatz ist momentan, abgesehen vom anders sehr gemischten Doppel Igor Levit und Christian Thielemann, kaum zu haben.

Doch bei dem Klaviere-Abend, der durch sechs Zugaben verlängert wurde, zeigte sich im Großen Saal der Elbphilharmonie sofort: Das geht. Das passt, und wie. Das macht Sinn und zeigt außerdem beide Hälften dieses Star-Aufgebots in jeweils anderem Licht, als Teamplayer. Schon weil sie sich mit einem Großteil des zurechtgelegten Repertoires sehr clever darum bemühten, die Klischees zu umspielen und sinnstiftend anstrengend für ihr Publikum zu sein.

Wang und Ólafsson: Synchronzaubern mit vier Händen auf 176 Tasten

In jeder Programmhälfte dominierten zwar zwei klassische Schwergewichte das Konzept: Schuberts große, mal himmelhochseufzende, mal zu Tode vergrübelte f-Moll-Fantasie, eigentlich für vierhändiges Klavier angelegt, hier aber auf zwei Flügel und damit auch auf zwei sich ergänzende Klangphilosophien verteilt – Wangs silbrig schnittiger, federleicht zupackender Anschlag in der Oberstimme, aber auch mit anrührend zarten Momenten, eine Etage tiefer Ólafssons geerdetes Fundament als Ruhe hineinbringender Kontrast. Und dazu nach der Pause die „Sinfonischen Tänze“ von Rachmaninow als nächstes Kraftpaket.

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Im Original wären diese drei Sätze genügend Arbeit für ein groß besetztes Orchester. Hier ließ sich Ólafsson ebenbürtig auf den Spaß ein, saftig Akzente in seine Tastatur zu hämmern und fast Saite an Saite neben Wang durch den spätromantischen Fantasiereichtum zu toben, ohne sich dabei von ihr abhängen zu lassen.

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Erstklassisch mit Mischke:Pianist Víkingur Ólafsson

Erstklassisch mit Mischke

Natürlich sind die beiden pianistisch über alle handwerklichen Zweifel erhaben, überraschend aber war, wie sehr sie musikalisch auf eine gemeinsame Linie gefunden haben, zu aufrichtiger Vertrautheit, und dabei keine Spur von Ego-Duellen oder Applausneid. Stattdessen: Synchronzaubern mit vier Händen auf 176 Tasten. Ohne jedes Gefühl, die beiden hätten sich erst kurz vor Tourneebeginn gerade so sehr aufeinander eingespielt, dass es unfallfrei fürs Durchkommen auf ihrem hohen Niveau reichen würde.

Yuja Wang und Vikingur Olafsson
Musikalisch sind Yuja Wang und Víkingur Ólafsson klar auf einer Linie, keine Spur von Ego-Duellen. © Sebastian Madej | Sebastian Madej

Andererseits umrahmten die beiden diese großen Bravour-Stücke mit handverlesenen, zeitgenössischeren Sonderbarkeiten: Das „Wasserklavier“ aus den „Encores“ von Berio eröffnete elegisch vor sich hinplätschernd das Konzert denkbar unspektakulär. „Experiences I“ von Cage folgte, eine noch lieblicher verschrobene Kurz-Meditation, die beide tiefenentspannt geschehen ließen (ach ja, Cage, groß eingeschenkt, im Großen Saal, Riesen-Nachholbedarf …!). Pärts „Hymn to a Great City“ kreiste später etwas zu sehr um die überschaubare Idee, eine Kadenz-Akkordfolge mit arg achtsamen Verzierungen in eine klassikradioverdauliche Dauerschleife zu stellen, ging aber wenigstens schnell vorbei.

Elbphilharmonie: Yuja Wang und Víkingur Ólafsson blieben cool

In Nancarrows „Study No. 6“ dagegen, deutlich raffinierter gebaut, hatten die beiden immer so gerade eben aneinander vorbeizuspielen, dass sie sich trotzdem nicht aus dem jeweiligen Metrum brachten. Für ein rein mechanisches Player Piano nur eine Frage der geölten Technik, für zwei Menschen ein rasanter Hindernislauf. Ginge es anders schwieriger? Mit Adams‘ „Hallelujah Junction“ durchaus, bei dem beide mit funkensprühender Feinmotorik begeisterten. Adams verlangt akrobatisch aufgehitzte Musik, die wie ein Uhrwerk mit viel Spaß an seinem Job herunterschnurrt. Wer zuerst verschreckt bremsen würde, verlöre. Wang und Ólafsson aber blieben cool und preschten so lässig durch das Stück, als sei nichts einfacher als das.

Nächste Konzerte: 23.11. Yuja Wang, Mahler Chamber Orchestra. Werke u. a. von Ravel und Strawinsky. 12.11. Víkingur Ólafsson, London Philharmonic, Edward Gardner. Werke u. a. von Brahms und Bártok. Elbphilharmonie, Gr. Saal. Evtl. Restkarten an der Abendkasse. Aktuelle Aufnahmen: Yuja Wang „The Vienna Recital“. Werke von Albeniz, Beethoven, Kapustin, Ligeti und Skrjabin (DG, CD ca. 20 Euro). Víkingur Ólafsson „Continuum“. Werke von J. S. Bach (DG, Vinyl, ca. 33 Euro).

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