Hamburg. Schauspieler, Bestsellerautor, Gaststar in Brechts „Puntila“: über exzessives Spiel, frühe Kränkungen und manisches Arbeiten.

  • Großes Interview mit Schriftsteller Joachim Meyerhoff
  • Schauspieler gibt Einblicke in seine Arbeit – von den Anfängen bis heute
  • Passend zum Hamburg-Start von „Herr Puntila und sein Knecht Matti“

Solche Doppelbegabungen sind selten. Wer sich in diesem Herbst über „den neuen Meyerhoff“ freut, der könnte gleich zweierlei meinen: Das nächste Buch des Schriftstellers Joachim Meyerhoff – Titel: „Man kann auch in die Höhe fallen“, ein Hölderlin-Zitat – erscheint im November und wird vermutlich wieder ein Bestseller. Und schon an diesem Wochenende kehrt der Schauspieler Joachim Meyerhoff als Puntila in „Herr Puntila und sein Knecht Matti“ zurück ans Deutsche Schauspielhaus in Hamburg.

Eine Spielzeiteröffnung in der Regie der Intendantin Karin Beier, auf die man sich unter anderem seinetwegen freuen kann. Und ein doppelter Grund, mit ihm über Volldampf und Kränkungen, Alkohol am Theater und gebackene Leber auf den Proben zu sprechen – und ein bisschen über seine Mutter, die „wilde Hummel“.

Schauspieler Joachim Meyerhoff
Der Schauspieler und Autor Joachim Meyerhoff probt derzeit am Schauspielhaus in Hamburg. © picture alliance/dpa | Jens Kalaene

Wenn man Ihrem Alter Ego im neuen Buch glaubt, dann haben Sie eine Zeit lang mit dem Schreiben ebenso gehadert wie mit dem Spielen, damit also, so beschreiben Sie es, mit Mitte 50 „seine Haut zu Markte zu tragen“ wie ein „uraltes Zirkuspferd“. Gerade stecken Sie mitten in den Endproben am Schauspielhaus. Gehen Sie gern hin?

Ja, ich gehe wahnsinnig gern zu den Proben. Mit Karin Beier und dem Ensemble ist es eine wirklich besonders schöne Arbeit. Aber ich hatte immer wieder Momente, in denen ich mit dem Theater gehadert habe. Das war vor vielen Jahren auch mein Einstieg ins Schreiben: eine Theaterkrise. Ich wollte anders erzählen, ich wollte an die Wurzel des Erzählens. Und dann, Jahre später, hatte ich meinen Schlaganfall, seither gehen manche Sachen auf der Bühne nicht mehr so gut. Hier am Schauspielhaus habe ich ja zum Beispiel „Schule der Frauen“ mit Herbert Fritsch gemacht. Zehn Jahre ist das her. Zweieinhalb Stunden unter Volldampf! Das könnte ich heute so nicht mehr. Soll ich auch nicht.

Joachim Meyerhoff am Schauspielhaus Hamburg: „Alkoholexzesse sind kein Teil meiner Persönlichkeit“

Aber Sie tun es trotzdem? Beim letzten Hamburger Theater Festival haben wir nach Ihrem Gastspiel getitelt: „Joachim Meyerhoff spektakulär bis zur Erschöpfung“ …

Das exzessive Spiel ist eben gleichzeitig so unmittelbar mein Spiel. Oft weiß ich gar nicht, was ich anderes machen soll. Ich habe ja die Sehnsucht, mich zu verausgaben.

Pressefoto Pressefoto Deutsches Schauspielhaus Hamburg: Herr Puntila und sein Knecht Matti
In der Regie von Karin Beier spielt Joachim Meyerhoff diesmal die Titelrolle in „Herr Puntila und sein Knecht Matti“ am Deutschen Schauspielhaus. © Katrin Ribbe | Katrin Ribbe

Warum spielen Sie den Puntila? Weil Karin Beier Sie überredet hat? Weil Sie Brecht für den Autor der Stunde halten?

Da kommt vieles zusammen. Ich glaube, für Karin Beier ist es das erste Mal, dass sie Brecht inszeniert. Ich habe einmal vor 30 Jahren Hakenfinger-Jakob in der „Dreigroschenoper“ in Dortmund gespielt und seitdem nie wieder Brecht. Oh Gott, damals musste ich immer so tun, als ob ich singe, weil ich ja nicht singen kann … Auch irgendwie schrecklich. Egal. Karin und ich sind dem Brecht wiederbegegnet, weil wir etwas zusammen machen wollten. Und „Puntila“ ist auch deshalb so toll, weil es vielschichtig ist und viel irrationaler, als man meint. Komödie, Sozialdrama, Lehrstück, Volksstück, alles auf einmal! Das gefällt mir.

Joachim Meyerhoff über seine neue Rolle: „Puntila ist kein Kämpfer für bessere Arbeitszeiten am Theater“

Brecht selbst hat über den Uraufführungsschauspieler des Puntila, Leonard Steckel, damals geschrieben: „mit der Wucht eines Tanks und der Empfindlichkeit einer Mimose“. Finden Sie sich darin wieder?

Ja, eine treffende Beschreibung! Die Figur hat so eine Unerbittlichkeit gegen andere und gegen sich selbst, aber gleichzeitig so eine Empfindsamkeit in sich und seiner Weltwahrnehmung. Der ist ein Berserker und ein Kümmerling. Als Bühnenfigur ist das sehr theatral. Das ist so toll bei Brecht: Man spürt, dass der ein Praktiker ist. Oft gibt es Theaterstücke, die aus der Theorie kommen, aus der Vorstellung, die sind dann so unendlich weit von der Praxis entfernt. Brecht hatte einen durch und durch sinnlichen Zugang zu Szenen. Er hat seine Stücke selbst inszeniert, er war mit Helene Weigel verheiratet. Da ist immer etwas, was man spielen kann. Das ist ein Geschenk.

Pressefoto Pressefoto Deutsches Schauspielhaus Hamburg: Herr Puntila und sein Knecht Matti
Kristof Van Boven und Joachim Meyerhoff spielen in Brechts „Herr Puntila und sein Knecht Matti“. © Katrin Ribbe | Katrin Ribbe

„Herr Puntila und sein Knecht Matti“ ist nach der „Dreigroschenoper“ das meistgespielte Stück von Bertolt Brecht. Er hat damit gegen Machtdynamiken und die Ungleichheit in der Welt angeschrieben. Hat nicht so viel genützt, oder?

Ja, man sagt ja so gern: Ach, das ist gerade so modern! Dabei war es schon vor mehr als 80 Jahren modern – ein Stück über Ausbeutung und Machtverhältnisse ist immer modern, und nichts hat sich getan. Und deshalb müssen wir es auch immer wieder spielen.

Ganz schön tragisch eigentlich.

Einerseits unglaublich tragisch. Andererseits ist das wunderbar nah am Menschsein dran, dieses unermüdliche Reproduzieren.

Joachim Meyerhoff: „Kreative Berufe sind anfällig für Ausbeutung und Selbstausbeutung“

Tatsächlich ist die Beschäftigung mit Hierarchien, die im „Puntila“ eine große Rolle spielt, gerade am Theater in den letzten Jahren ein immer zentraleres Thema geworden. Die Schauspieler als offiziell „abhängig Beschäftigte“, die Regisseure als Allmächtige. Ist das hier Thema auf der Probe?

Gerade die kreativen Berufe sind anfällig für Ausbeutung und Selbstausbeutung. Jeder soll immer froh sein, dass er dabei sein darf. Aber unser Puntila ist jetzt auch kein Kämpfer für bessere Arbeitszeiten am Theater, ehrlich gesagt. (lacht) Ich kenne solche Regisseurstypen trotzdem noch ganz gut und habe das auch erlebt. Wie einer beim Inszenieren auf seiner Chaiselongue liegt und gebackene Leber isst, und die Probe geht gern bis Mitternacht ... In Wien, am Burgtheater! Das Tafeln gehörte zum guten Ton, und zu Hause musste man seiner Familie erklären, warum man nichts dagegen sagen konnte.

Edgar Selge spielt im Deutschen Schauspielhaus in Hamburg Theater
Mit seinem Schauspielkollegen Edgar Selge (links, als Faust) spielte Joachim Meyerhoff als Mephisto 2004 in „Faust I“ am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg. © picture-alliance / dpa | picture alliance

Der Großgrundbesitzer Puntila will ja im Rauschzustand die Verbrüderung, will als Mensch anerkannt sein ...

Klar, dieses Bacchantische, was der Brecht da beschreibt, das sind urmenschliche Prinzipien. Die Hemmschwellen sinken, es entsteht Nähe. Es ist im Theater oft gar nicht einfach, die Distanz aufrechtzuerhalten. Die Kantine, das gemeinsame Trinken ... Man ist seinem Chef vermeintlich ganz nah, aber er kündigt einem trotzdem. Das kann passieren. Mir persönlich ist das allerdings nicht so vertraut, weil Alkoholexzesse kein Teil meiner Persönlichkeit sind. Zu keinem Zeitpunkt meines Lebens habe ich mich hemmungslos weggetrunken. Was ich dagegen durchaus kenne, ist die Manie. Das manische Arbeiten und die anschließende Leere, darin erkenne ich eine Nähe.

Meyerhoff über seine Anfänge: „Das Unwohlsein in meinem Beruf ist mir unvergesslich nah“

Sie spielen Theater – eine Beschäftigung im Kollektiv, aber auch in der Abhängigkeit. Und Sie schreiben – eine im Vergleich einsame Tätigkeit, aber auch eine selbstständige. Ist dieses Hin- und Herflippen von absoluter schöpferischer Freiheit und dem Abgeben der Gesamtverantwortung eine Entlastung für beide Rollen?

Ich liebe es sehr, dass ich das beides mache. Wenn ich eine intensive Theaterproduktion habe, lebt die davon, dass man sozial interagiert. Man ist ein Gemeinschaftskörper. Und wenn man so schöne Proben hat wie wir gerade am Schauspielhaus, ist es unheimlich bereichernd, einander zu haben. Danach ist man erschöpft. Wenn man dann in den Schreibprozess geht und mit sich und dem Stoff allein ist, ist das auch wieder bereichernd. Man fühlt sich plötzlich frei! Und vereinsamt irgendwann natürlich auch ein bisschen. Im Theater wird man immer von den anderen gerettet.

Machen Sie sich zwischen den eigentlichen Schreibphasen eigentlich permanent Notizen? Oder haben Sie schon immer Tagebuch geschrieben? Es ist erstaunlich, wie präsent Sie auch frühe Berufserlebnisse noch haben – gerade das Scheitern, das Sie so tragikomisch erzählen können.

Das ist vielleicht die Mimose in mir. Tagebuch schreibe ich nicht, aber diese Kränkungen und dieses anfängliche Unwohlsein in meinem Beruf, das ist mir unvergesslich nah. Das hat sich eingraviert.

KEINE WEITERGABE Joachim Meyerhoff Schauspieler / Autor in der Schaubühne am Lehniner Platz am Kurfürstendamm in Berlin
Schauspieler und Bestsellerautor: Joachim Meyerhoff bringt im November seinen nächsten autobiografischen Roman heraus. © imago images/tagesspiegel | Doris Spiekermann-Klaas TSP via www.imago-images.de

Im neuen Buch erzählen Sie von Ihrem Anfänger-Engagement als Panther im Kinderstück „Dschungelbuch“. Damals haben Sie als junger, unterbezahlter Schauspieler für 5 D-Mark die Nacht in einem Büro genächtigt, aus dem Sie immer verschwinden mussten, bevor das Putzpersonal morgens kam. Ist das wirklich wahr?

Jaaa! Schrecklich! Ich wollte Geld sparen. Und ich habe diese Atmosphäre tatsächlich noch immer so sehr in mir gespeichert! Ich kann noch immer spüren, wie ich da in diesem Büro geschlafen habe. Obwohl das mehr als 30 Jahre her ist. Von dieser Genauigkeit der Erinnerung zehre ich.

Ganz schöner Weg bis zur Titelrolle am „Theater des Jahres“. Stehen Sie manchmal auf der Bühne mit so einem Gedanken?

Das gebe ich offen zu. Ab und zu freue ich mich, dass sich nach so einem langen Weg etwas eingelöst hat. Das hilft einem in den Proben allerdings nicht weiter. Auch Karin Beier hilft es in den Proben nicht, dass ihr Haus gerade „Theater des Jahres“ geworden ist. Aber es wäre ja seltsam, wenn man sich an solchen Sachen nicht erfreuen würde. Seit Corona freue ich mich übrigens besonders über die Festlichkeit, wenn so etwas wie Theater überhaupt stattfindet.

Mehr Theater in Hamburg

Sie schreiben immer autobiografisch. Erwischen Sie sich dabei, Ihr Leben nach Verwertbarem für die Literatur abzuscannen?

Es ist immer ein Ausloten, vor allem, weil ich mit der Buchreihe jetzt in meiner Gegenwart angekommen bin. Leute, die vorkommen, müssen teilweise so verfremdet werden, dass sie sich nicht wiedererkennen, das ist ganz wichtig. Der Verlag ist inzwischen viel akribischer als in meinen ersten Büchern, da hat man mich einfach so machen lassen. Da wundere ich mich jetzt selbst manchmal drüber. Schlimm fände ich, wenn ich extra etwas machen würde, nur damit ich anschließend darüber schreiben könnte. Aber klar habe ich eine Déformation professionnelle. Nicht nur als Autor, auch als Schauspieler. Gerade renne ich durch die Stadt und schaue mir Leute an, die betrunken sind. Aber ich verändere jetzt nicht mein Leben in einer Weise, dass ich darin vor allem nach Material suchen würde. Es ist ja übrigens eher so, dass man das gute Material erst im Nachhinein erkennt und nicht, wenn man mittendrin steckt.

Diesmal haben Sie über Ihre Mutter geschrieben. War sie sofort einverstanden, „Material“ zu sein?

Sie hatte es sogar vorgeschlagen! Ich war trotzdem richtig aufgeregt, als sie das Manuskript das erste Mal gelesen hat. Sie hätte ja auch sagen können: „Das geht gar nicht, furchtbar!“ Dann hat sie‘s gelesen, sie ist ja inzwischen 87, und hat gesagt: „Mensch, toll, ich bin ja ‘ne richtige wilde Hummel!“ Mehr musste ich nicht wissen.