Hamburg. Luft nach oben beim zweiten Gastspielabend des Oslo Philharmonic in der Elbphilharmonie mit Klaus Mäkelä und Vilde Frang.
Strawinskys Violinkonzert mit Zitronensaft zu vergleichen („ein bisschen sauer, aber so frisch“), das hat was. Geigerinnen und Geiger, die lieber schnell mit Süßigkeiten punkten wollen, machen einen sehr weiten Bogen um dieses sonderbar geistreiche Werk. Weil es, bei allem Witz und allen Schwierigkeiten, auch ganz gern zur Schau stellt, wie klug es Anfang der 1930er als Anspielung auf barocke Formen gebaut wurde.
Vilde Frang ist da ganz anders getaktet. Sie nahm bei ihrem Elbphilharmonie-Auftritt mit dem Oslo Philharmonic die Herausforderung an – und ihr dadurch einen großen Teil der intellektuellen Schärfe. Denn Frang entdeckte auch den anspruchsvoll verklausulierten Humor zwischen den Zeilen und jonglierte damit; sie führte den Spaß an den ständigen Farbwechseln, dem kammermusikalisch agilen Miteinander und dem anti-romantischen Klarheitsgebot vor, als wäre dieses ungefällige, dankbare Konzert auch als ein Handlungs-Ballett für kluge Gedanken gedacht. Mit ihrer Geige, ihrem Charakter als faszinierend sprunghafter Hauptdarstellerin.
Mäkelä, Frang, Oslo in der Elbphilharmonie: Frischer Strawinsky, Abzüge bei der Weltschmerz-Note
Klaus Mäkelä erwies sich dabei auch am zweiten Gastspielabend als effektiv sortierende Begleitkraft. Der klein geführte Orchesterapparat schnurrte wie eine bunt geschminkte Zirkuskapelle mit Altsprachler-Abitur durch die vier Sätze, warf sich die vielen Motivbälle zu, hörte aufeinander und kam dabei nie aus dem tänzelnden Tritt. Allerliebst. Auch, weil Frang mit einem Sonatensatz von Montanari eine Portion tatsächliches Barock als komplementäre Zugabe nachlieferte.
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Alles andere als akademisch hatte der Abend begonnen, mit Enescus erster „Rumänischer Rhapsodie“ – noch eines dieser Feinschmeckerstücke, die man nur selten hört. Volksliedthemen aus Enescus Heimat Rumänien, feierlich herausgeputzt, auf Orchesterformat gebracht, elegant aufgeschäumt. Aus dem gediegen beginnenden Arrangement entwickelt sich in wenigen Takten eine hochprozentige Balkan-Party, mit viel Tsching, mächtig Derassa und ordentlich Bumm, gerade am Ende. Tolle Musik, toll gespielt, reines unbeschwertes Vergnügen.
Bei Tschaikowskys Vierter müsste man, schockdepressiv, unmittelbar nach der ersten Fanfare der Hörner schon zur nächstbesten Wodkaflasche greifen wollen, um sich das Elend des Lebens vergeblich schönzutrinken. Es fängt düster an und wird immer dunkler, die trotzigen Hoffnungsmomente und selbst die verspielte Pizzicato-Episode im dritten Satz können an dieser Fatalismus-Langstrecke nichts ändern. Ausgerechnet in dieser Abteilung aber schwächelte Mäkeläs Umgang mit dem Material. Vieles wirkte zu unpoliert, zu ruppig behauptet und gegeneinandergestellt, als ob demonstrative Lautstärke allein schon den ungenügenden Feinschliff wettmachen würde. Abzüge bei der Weltschmerznote also, Luft nach oben. Es bleibt spannend mit diesem jungen Mann.
Nächstes Konzert: 17.12., Mahlers 6. Sinfonie, Wiener Philharmoniker, Elbphilharmonie, Gr. Saal, evtl. Restkarten an der Abendkasse. Einspielung: Beethoven/Strawinsky Violinkonzerte, Vilde Frang, Pekka Kuusisto, Dt. Kammerphilharmonie Bremen (Warner Classics, CD ca. 15 Euro).
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