Hamburg. Das City of Birmingham Symphony, Mirga Gražinytė-Tyla und Vilde Frang sorgten für Begeisterung beim Publikum.

Keine Zugabe? Kaum zu glauben, aber die Geigerin Vilde Frang fasst auch beim wiederholten Verbeugen die Dirigentin Mirga Gražinytė-Tyla einfach bei der Hand, beide lächeln freundlich in die Weite des Elbphilharmonie-Saals und gehen ab. War der Applaus nicht frenetisch genug? War vielleicht das Violinkonzert von Elgar nicht sensationell genug?

Beides könnte zusammenhängen. Vom unbekümmerten Tschingderassabum eines „Pomp and Circumstance“, Elgars populärstem Werk, ist das dichtgearbeitete Violinkonzert weit entfernt. Schon mit der Einleitung setzen Gražinytė-Tyla und das City of Birmingham Symphony Orchestra (CBSO) den Ton: Hier geht es um gewichtige Themen, so vielgestaltig wie das Leben selbst. Kunstvoll verflechten sie die Stimmen, arbeiten Kontraste und Figuren heraus und ziehen gleichsam den Vorhang für den Einsatz der Sologeige auf.

Elbhilharmonie: Man muss schon hinhören, um alle Kostbarkeiten zu entdecken

Frang bewegt sich hingegeben und zugleich in engem Kontakt mit dem Orchester durch die Seelenlandschaften von Drama, Schwärmerei und Resignation, die fast unmerklich ineinander übergehen. Es wirkt vollendet natürlich, wie sie mit dem Zeitmaß, mit Stauungen und Beschleunigungen umgeht, und dank ihrer samtig timbrierten Guarneri-Geige kann Frang ihren betörenden Nuancenreichtum entfalten.

Dieses Werk ist, ungeachtet der spieltechnischen Schwierigkeiten, an zweckfreiem Virtuosentum nicht interessiert, und entsprechend verinnerlicht spielt es Frang. Konzert und Interpretin drängen sich nicht auf. Man muss schon hinhören, um alle Kostbarkeiten zu entdecken – zumal Frang gerade im ersten Satz öfter im Klang des Orchestertuttis untergeht, als das Elgar mit seiner Kompositionsweise vermutlich ohnehin beabsichtigt hat. Ein wenig geht ihr hochdifferenziertes Musizieren auf Kosten schlichter Parameter wie Lautstärke und Balance.

Für die zweite Konzerthälfte hat Gražinytė-Tyla eine eigene Fassung von Prokofjews „Romeo und Julia“ arrangiert und sich dafür aus drei konzertanten Suiten bedient, die der Komponist nach seiner Ballettmusik geschaffen hatte. In dieser Sichtweise geht es nicht primär um Herzschmerz über eine unmögliche Liebe, sondern um das Rohe, Grausame, Politische des zugrundeliegenden gesellschaftlichen Konflikts.

Bei „Romeo und Julia“ fahren die Bässe in die Magengrube

Wenn zu Beginn die verfeindeten Familien der Montague und Capulet zum Tanz der Ritter aufeinandertreffen, fahren einem die Nachschläge der Bässe förmlich in die Magengrube. Es dauert, bis sich das junge Liebespaar zu gedämpften Streicherklängen und sternfunkelnden Holzbläser-Tupfern auf dem Balkon treffen darf. Ein gestohlener Moment. Kein Happy End, nirgends. Dirigentin und Orchester haben hörbar kein Interesse daran, über diese schroffe, verstörende Interpretation irgendein besänftigendes Klangmäntelchen zu legen.

Großer Jubel – und wieder keine Zugabe. Sie haben nämlich keine, wie Gražinytė-Tyla in lupenreinem Deutsch erklärt. Die Dirigentin entschädigt dafür mit einem Ballett der besonderen Art: Mit ihren unprätentiös-anmutigen Bewegungen lädt sie die Musiker ein, zum Applaus aufzustehen – und zwar nicht nur die Stars, die immer aufstehen dürfen, wie Horngruppe oder Schlagwerker, sondern auch die Streicher und von ihnen zuerst die zweiten Geigen. Eine anrührende Würdigung der kollektiven Leistung ohne einen Hauch von Eitelkeit.