Hamburg. Klaus Mäkelä und das Oslo Philharmonic zu Gast in der Elbphilharmonie, mit einem Solisten, der spielend auch ohne Dirigent klargekommen wäre.
Diese Zeit der scheinbar endlosen Flitterwochen, in denen sich beide Seiten alle Wünsche von den Augen ablesen und sofort voll und ganz erfüllen, die war einmal für Klaus Mäkelä und das Oslo Philharmonic. Vor vier Jahren, mit gerade 24, wurde er dort Bestimmer und auch an anderen Adressen zum steil in die Höhe schießenden Hoffnungsträger. Inzwischen dürfte er gedanklich schon auch bei den nächsten, prominenteren Arbeitgebern sein: in Amsterdam beim Concertgebouw und in Chicago, als Nachfolger des doch nicht unersetzbaren Riccardo Muti, beides ab 2027, mit entsprechend langen Anläufen.
Will Mäkelä nun etwas aus seinem enorm leistungsfähigen norwegischen Orchester herausholen, muss er mitunter – der erste der beiden Gastspiel-Abende in der Elbphilharmonie machte das klar – sehr deutlich dafür arbeiten und sich großgestisch darum bemühen. Chef zu werden war eher nicht schwer, Chef zu sein dagegen sehr. Welpenschutz hält nun mal nicht ewig. Was andererseits aber auch kein Grund zu unkendem Pessimismus über Überschätzung ist, denn die Resultate dieser ersten Oslo-Leistungsschau, mit Beethovens 5. Klavierkonzert und Bartóks „Konzert für Orchester“ waren nach wie vor bezwingend, umwerfend gut.
Elbphilharmonie Hamburg: Mäkelä, Andsnes, Oslo – Beethoven und Bartók als starke Teamarbeit
Einen großen Anteil daran hatte zunächst ein weiterer Norweger: Für Leif Ove Andsnes, der Beethovens Konzerte wahrscheinlich vorwärts, rückwärts und danach seitwärts spielen kann, hätte es, so der Eindruck schon beim ersten rauschhaften Brausen durch die heldenhaft strahlende Einleitung, die ordnenden Hände von Mäkelä überhaupt nicht gebraucht. Das bisschen Orchester drum herum wäre für Andsnes’ Solisten-Charisma auch ohne regulären Dirigenten gar kein Problem gewesen. Mit einer Klangtiefe, die gut und gern zwei Beethoven-Konzerte zum Abheben bringen kann, und glasklarer Durchhörbarkeit prägte Andsnes das Gesamtgeschehen: Nie ging sein millimetergenau ausgereizter Solo-Part im sehnig federnden Orchesterklang der Ecksätze unter, immer war es das von ihm von der Kette gelassene Klavier, das sich genussvoll auskostend als Erstes unter Gleichen mit Beethovens musikalischen Dialog-Stichworten auseinandersetzte. Mäkelä war klug und gut genug, diese Energie zu nutzen und sie verlustfrei ins Orchester weiterzureichen.
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Beim Bartók dagegen war es voll und ganz Mäkeläs Verdienst, dass dieses spektakuläre, vielschichtige Stück zu einem Hör-Krimi wurde. Für das dunkle Raunen der Auftaktszene dirigierte sich Mäkelä noch fast aus dem Smoking-Zweireiher, um die Orchestermaschine aus dem Standgas auf Trab zu bringen. Unablässig stellte Mäkelä die jeweils kurz ins Rampenlicht gerückten Orchestergruppen auf kleine Showtreppen, alle Details, alle Stimmungsumschwünge blitzsauber herausgearbeitet. Um vorzuführen, wie abwechslungsreich und effektvoll Bartóks Handschrift war. Aber erst recht auch, um mit diesem Repertoire-Kracher zu betonen, dass seine Lern- und Überzeugungskurve einiges an Strecke zurückgelegt hat.
Aktuelle Einspielung: Schostakowitsch Sinfonien 4, 5, 6 (Decca, 2 CDs, ca. 20 Euro)
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