Hamburg. Nach Protest von Klimaaktivisten: Konzert des Bayerischen Staatsorchesters mit Vladimir Jurowski hatte auch politische Untertöne.
Manchmal sorgt der Zufall für die hintersinnigsten Erkenntnisgewinne, so auch beim Hamburg-Gastspiel des Bayerischen Staatsorchesters mit Vladimir Jurowski. Die Zutaten: zwei Klimaaktivisten in der Schweiz, ein Dirigent, ein Publikumsliebling aus dem Werkkatalog von Richard Strauss sowie zwei riesige Kreuzfahrtschiffe unmittelbar neben der Elbphilharmonie.
Elbphilharmonie: Konzert des Bayerischen Staatsorchesters hat auch politische Untertöne
Was war passiert und wie fügt es sich zu einer gesellschaftspolitisch denkwürdigen Lektion? Am vergangenen Freitag gastierte das Münchner Staatsopern-Orchester beim Lucerne Festival – und mitten in Bruckners Vierter huschten zwei junge Mitglieder von „Renovate Switzerland“ in „Act now!“-T-Shirts für alle überraschend auf die Bühne des Kultur- und Kongresszentrum Luzern und klebten sich ans Dirigentenpodest, um von dort aus Parolen in den Saal zu rufen.
Wütende Reaktionen à la „Maul halten!“ und „Runter mit euch!“ kamen umgehend zurück, bis Jurowski energisch das Wort ergriff: „Die jungen Menschen sagen jetzt ihr Wort, wir hören alle zu, ohne zu kommentieren. Lasst sie reden, und dann spielen wir unsere Sinfonie, sonst gehe ich von der Bühne.“
Sprach’s und setzte sich im Schneidersitz auf sein Podest, um unaufgeregt zuzuhören. Klare Haltung, von einem Künstler, der seit Langem genau dafür bekannt ist und der seit 2017 nicht mehr innereuropäisch zu seinen Engagements fliegt.
Elbphilharmonie: Klima-Aktivisten und eine sinfonische Bergwanderung
Nach dem Wortbeitrag und dem Abgang der Aktivisten ging das Konzert wie geplant weiter, und die örtliche Polizei überprüfte insgesamt fünf Personen, die wohl mit Strafanzeigen wegen Hausfriedensbruch und Nötigung rechnen müssen.
Außerdem veröffentlichte das Festival ein Statement, in dem es unter anderem hieß: „Grundsätzlich verstehen wir, dass man sich für die Anliegen der Natur einsetzt. Für die Art und Weise allerdings, wie die beiden Aktivisten gestern Abend agierten, haben wir überhaupt kein Verständnis.“
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Fast zur gleichen Zeit begab es sich aber in Hamburg, der nächsten Tour-Station des Orchesters vor dem Finale in der Berliner Philharmonie, dass der Hafen am Wochenende von etlichen großen Kreuzfahrtschiffen – mit entsprechend großen Schadstoff-Emissionen – besucht wurde. „Cruise Days“. Touristen-Spektakel. Ausnahmezustand.
Elbphilharmonie: Erinnerung an eine Aktion der „Letzten Generation“
Die meisten dieser schwimmenden Kleinstädte waren am Sonntag zu Konzertbeginn bereits wieder ausgelaufen. Die letzten zwei jedoch bewegten sich noch synchron zum Publikumseinlass in den Großen Saal an der südlichen Glasfassade entlang.
Und auf den Pulten des Staatsorchesters lag als dritter, umfangreichster Programmpunkt ausgerechnet die „Alpensinfonie“ von Richard Strauss. Eine sinfonische Dichtung wie eine Bergidyll-Fototapete, die bis in kleinste Details ungestörte, feinstaublose, ungetrübte Natur in Tönen abbildet, Wasserfall, blumige Wiese, Gewitterdröhnen. Natur pur, naturbelassen. Porentief rein.
Jurowskis Meinung zu dieser Konstellation in dieser Hafen-Kulisse wäre interessant gewesen, doch das Orchester hatte vor Konzertbeginn mitgeteilt, dass man sich nicht weiter äußern wolle, auch nicht zum Festival-Statement.
Eine Unterbrechung wie im November 2022, als sich Aktivisten der „Letzten Generation“ bei einem Elbphilharmonie-Konzert der Sächsischen Staatskapelle ans Dirigentpult-Geländer klebten und mit dessen abmontierbarem Geländer von der Bühne gebracht wurden, gab es im Verlauf dieses Abends jedenfalls nicht.
Elbphilharmonie: Das reine, perlende Vergnügen
Was es gab: ein beachtliches, hinreißend klarsichtiges, eindrucksstarkes Konzert, mit drei Werken, die das nachhaltige Orchester- und ebenso das Dirigenten-Niveau in München klarmachten. Dass und wie sehr etwa 2000 Menschen begeistert auf Bergs Violinkonzert, einen Klassiker der Zwölftonmusik, reagieren, ist auch im sechsten Elbphilharmonie-Jahr immer noch ein Grund zur Freude.
Vilde Frang, die norwegische Solistin, machte es allen allerdings auch sehr leicht damit, die konzeptionelle Komplexität des Stücks zu überhören und als mögliche Empathie-Hürde auszublenden. Frang ging mit großem Ernst und kühl, aber nicht kalt leuchtendem Ton ins Werk.
Sie spielte klar und fokussiert, enthielt sich der Versuchung, mit spätromantischem Schwelgen, und sei es auch nur stellenweise, gegen das abstrakte Noten-Material anzuarbeiten. Eine sehr uneitle, sehr aufrichtige Interpretation, mit einem Solo-Part, der sich in den Gesamtklang einbettete, anstatt ständig überstrahlen zu wollen.
Elbphilharmonie: Spitzen-Opernorchester bringt reines Vergnügen
Um Liebe und Verlust – Berg hatte das Stück der tragisch früh verstorbenen Tochter Alma Mahlers gewidmet – war es bereits im Auftakt gegangen, in Wagners „Tristan“-Vorspiel. Heimspiel für die Münchner, dort war die Oper schließlich uraufgeführt worden.
Dass man es mit einem Spitzen-Opernorchester zu tun hatte, war vom ersten Tristan-Akkord an klar – hier wurde gemeinsam geatmet, gemeinsam gelitten, gemeinsam Herzblut vergossen, nirgendwo ein Wackler in der Balance oder der Feinabstimmung. Als ähnlich tief bohrendes Wagner-PS spendierte Jurowski später das Vorspiel zum 3. „Meistersinger“-Akt als Zugabe.
Nach der Pause jedoch stand eine Runde Bergwandern an. Die zwei Tuben waren mittig vor den Pauken platziert, drum herum das Riesen-Orchester, um mit straffem Schritt den vertonten Gipfel anzustreben.
Jedes Detail wurde wie in HD von der Saal-Akustik abgebildet, das Funkeln der Tropfen des Wasserfalls, die gute, klare Luft, das Donnern des Gewitters. Wie nicht anders von diesem Orchester zu erwarten, war das hohe Blech in jeder von Strauss verlangten Höhe absolut schwindelfrei. Diese Bergtour mit Jurowski war das reine, perlende Vergnügen.
Aktuelle Einspielung: Vilde Frang. Violinkonzerte von Beethoven und Strawinsky. Dt. Kammerphilharmonie Bremen, Pekka Kuusisto (Warner Classics, CD ca. 14 Euro)