Hamburg. Mit Mahlers Vierter und Larchers Zweiter Symphonie begeisterten Klaus Mäkelä und das Oslo Philharmonic bei Konzert in Hamburg.

Ein Konzert über das große, das existenzielle Einerseits-Andererseits des Daseins. Nicht weniger als das sollte es sein, am ersten der zwei Gastspielabende des Oslo Philharmonic mit seinem ebenso jungen wie charismatischen Chefdirigenten Klaus Mäkelä in der Elbphilharmonie.

Einerseits Mahlers vergleichsweise handliche Vierte, deren Kopfsatz so kindlich-naiv mit Schlittenfahrt-Schellen und einer unscheinbaren Motiv-Stammzelle beginnt, „als ob er nicht bis drei zählen kann“ (O-Ton Mahler), um dann doch schnell sehr mehrdeutig und doppelbödig zu werden, endend mit dem selig verklärenden „Wunderhorn“-Lied über die Freuden des „himmlischen Lebens“.

Und andererseits die Zweite Sinfonie des Österreichers Thomas Larcher, 2016 uraufgeführt, die auch dessen Schrecken und Verzweiflung über die vielen im Mittelmeer ertrinkenden Flüchtenden reflektieren soll. Sehr irdische, sehr akute Tragödien also, als harter, schmerzhafter Gegenschnitt zum entrückten Sinnieren über das Jenseits.

Elbphilharmonie Hamburg: Klaus Mäkelä, das himmlische Leben und das irdische Sterben

Die kleinen Mahler-Deutungsprobleme, die Mäkelä vor gut einem Jahr, damals mit dem Orchestre de Paris, bei dessen Zweiter hatte, haben sich seitdem nicht völlig gelegt – nach wie vor konnte er nicht immer der Versuchung widerstehen, in den aufbrausenden Passagen zu sehr auf den sichtbaren Effekt hinzudirigieren, allerdings ohne dabei eine charakterklare Linie zu finden. Die Temperamentsausbrüche, die Gemütsschwankungen wurden musikalisch deutlichst inszeniert, toll gearbeitet und bestens ausbalanciert, das schon, Mäkelä müsste sich daher gar nicht ständig derart ausholend echauffieren. Und dennoch wollte sich der Eindruck gekonnt polierenden Übereifers nicht ganz geben.

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Wäre da nicht der dritte Satz gewesen, bei dem Mäkelä die Mahler-Vorgabe „Ruhevoll“ voll und ganz verinnerlicht hatte und verwirklichte. Die Streicherlinien wurden innig Richtung Publikum verabschiedet, das Ganze wirkte und klang wie behutsam aus Watte herausgestreichelt, damit sich auch ja kein einzelner Ton, keine Phrase unter Erfolgsdruck gesetzt fühle. Blendet man aus, dass „herzallerliebst“ ein übles Groschenroman-Etikett ist – hier passte es, auch, weil Mahlers Harmoniebedürfnis derart liebevoll vorbereitet in den Schlusssatz weitergetragen wurde. Dass dort Johanna Wallroths Sopran, reizend und quellwasserklar, licht, aber etwas zu leicht für die Begegnung mit dem nur mittelgroßen Mahler-Orchester war – höchstens eine klitzekleine Schönheitstrübung in diesem Abschluss.

Konzert in Elbphilharmonie Hamburg: Das Tutti tobte und brodelte

Larchers Zweite begann danach wie mit einem ersten von vielen Schlägen in die Magengrube. Das Tutti tobte und brodelte. Panik, Terror, virtuos in drastische Klänge und peitschende Rhythmen umgesetzt, mitunter übertrieb Larcher es mit der Vertonung von Windböen, Wellengang und pathetischem Insichzusammenfallen.

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Eine Natur, die sich wildgeworden nicht mehr bändigen lässt und wahllos tötet, wurde hier porträtiert: „schön“ in dieser Grausamkeit, überwältigend, bis zum Zerreißen gespannt. Anwandlungen von Mahler-Andeutungen oder das kurze Aufscheinen und Versinken einer Bach-Choral-Erinnerung sorgten für weitere verstörende Momente. Festen, sicheren Boden unter den Füßen gewährt diese Musik jedenfalls nicht. Der Einzige, den es dennoch nicht wegspülte, war der energiegeladene Tutti-Dompteur Mäkelä, für den diese Symphonie der Extreme ein geradezu ideales Bestätigungsfeld war.

CDs: „Sibelius” Klaus Mäkelä, Oslo Philharmonic (Decca, 4 CDs, ca. 30 Euro). Zweites Mäkelä-Konzert: Heute, 20 Uhr, Elbphilharmonie Gr. Saal. Werke von Tschaikowsky, Dutilleux und Rimski-Korsakow, evtl. Restkarten