Hamburg. Eine lustige Pop-Revue im Operettenhaus ohne Tiefgang, aber mit 30 Hits und einem hervorragenden Ensemble. Dieses Stück macht Spaß!

Die letzten Hamburger Musical-Starts waren nicht so der Kracher: „Wicked“, „Hamilton“ und „Hercules“ blieben künstlerisch oder kommerziell (oder beides) hinter ihren Ansprüchen zurück, und den ollen wieder aufgelegten „Tanz der Vampire“ brauchte man auch nicht unbedingt. Es wird für Stage Entertainment also langsam mal wieder Zeit für einen echten Hit. Wie gut, dass es Max Martin gibt, den entscheidenden Faktor hinter dem Musical „& Julia“, das am Mittwoch Premiere im Operettenhaus feiert.

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Anne Hathaway (Willemijn Verkaik) will das Ende von „Romeo & Julia“ ändern. Ihr Mann William Shakespeare (Andreas Bongard) ist eher skeptisch und singt: „I Want It That Way“. © Johan Persson/Stage Entertainment | Johan Persson/Stage Entertainment

Denn Martin steht für Hits, Hits, Hits. Der Produzent und Songschreiber aus Stockholm dominiert seit den 90er- und 2000er-Jahren das internationale Popgeschäft mit seinen Kompositionen für Backstreet Boys, Katy Perry, Pink, Britney Spears, Céline Dion, Bryan Adams, Ariana Grande, Taylor Swift, Justin Timberlake, Bon Jovi und viele weitere Superstars, die ohne seine Songs vielleicht keine geworden wären. Mit den Diamant-, Platin- und Gold-Auszeichnungen der Alben und Singles mit seiner Beteiligung könnte man wahrscheinlich die Esso-Hochhäuser-Brache neben dem Operettenhaus komplett auslegen.

„& Julia“: 2010 hatte Hit-Komponist Max Martin die Idee zum Musical

Da lag es für Martin 2010 mehr als nahe, um Lieder wie „I Want It That Way“ (Backstreet Boys), „... Baby One More Time“ (Britney Spears), „I Kissed A Girl“ (Katy Perry) und „Since U Been Gone“ (Kelly Clarkson) ein Musical zu stricken: „& Julia“ feierte 2019 in Manchester Premiere und war in den Folgejahren auch im Londoner Westend und am New Yorker Broadway zu erleben. Jetzt ist Max Martins deutsche „Lieblingsstadt“ dran, wie er Hamburg bei der Medienvorstellung am Vorabend der Deutschland-Premiere nennt.

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Die Handlung von „& Julia“ passt in einen Songtext: William Shakespeare (Andreas Bongard) arbeitet gerade an seinem tragischen Liebesdrama „Romeo und Julia“, als seine Frau Anne Hathaway (Willemijn Verkaik) vorschlägt, das Ende zu ändern: Nach Romeos Tod beschließt Julia (Chiara Fuhrmann), lieber doch keinen Selbstmord zu begehen, sondern Verona zu verlassen und mit ihrer Amme Angelique (Jacqueline Braun) und ihrer Freundin May (Bram Tahamata) in Paris ein neues Leben zu beginnen.

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Von Verona geht die Reise nach Paris in „& Julia“. Die Stadt der Liebe und so ... © Johan Persson/Stage Entertainment | Johan Persson/Stage Entertainment

Deutschland-Premiere: In „& Julia“ taucht auch Romeo wieder auf

Sowohl Shakespeare als auch Anne schummeln sich in Nebenrollen spontan mit in das Stück rein, und auf einer Party in Paris bilden sich mehrere miteinander verwobene Beziehungsdreiecke, bis nach einigen Irrungen und Wirrungen am Ende jeder seinen eigenen Willen nicht nur träumen, sondern leben und lieben darf. Inklusive Romeo (Raphael Groß) übrigens, den Shakespeare von den Toten auferweckt.

Das ist es auch schon. Wer von politisch-gesellschaftlicher und historischer Themenüberfrachtung wie in „Hamilton“ auf einer Musicalbühne eher überfordert wird, kann in „& Julia“ zweieinhalb Stunden lang das Gehirn auf Stand-by schalten und einfach nur feiern. Dass sowohl die Rolle von May als auch ihre Besetzung non-binär ausgelegt ist, war 2019 noch eine Nachricht, heute ist es eher eine Reminiszenz an das englische Theater des 17. Jahrhunderts, in dem nur Männer auf den Bühnen standen – auch in Frauenrollen.

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Ziemlich beste Freundinnen: (v. l.) Angelique (Jacqueline Braun), May (Bram Tahamata), Julia (Chiara Fuhrmann) und April alias Anne (Willemijn Verkaik). © Johan Persson/Stage Entertainment | Johan Persson/Stage Entertainment

„& Julia“-Musical: Die Dialoge sind Stichwortgeber für den nächsten Song

Die witzigen Dialoge und Einzeiler sind vor allem Stichwortgeber für den nächsten von insgesamt 28 zum Glück nicht ins Deutsche übersetzten Pop-Klassikern (und die einzige Score-Komposition „One More Try“). Schon bei den ersten Takten von „Oops! … I Did It Again“ oder „Stronger“ gerät das Publikum in kichernde Vorfreude, und sobald das Geschehen auf der Bühne mit einigen Flugeinlagen, Ensemble-Choreos in Renaissance-trifft-Hip-Hop-Kostümen und von der Band ohne Musicalseife präsentierten Songs beherzt aufs Gas latscht, singt der Saal mit: „It’s My Life“ von Bon Jovi zelebriert Romeos Rückkehr, die von der Pause hart abgebremst wird.

Dem zweiten Akt, genreüblich für die Dramaqueens reserviert, fehlt es zu Beginn an Tempo, aber das fantastische Ensemble kriegt schnell die Kurve, allen voran Chiara Fuhrmann als Julia, die schauspielerisch das Beste aus der eher beschränkten Rolle macht und gesanglich absolut stadiontauglich abliefert. Mit dem zentralen Lied „Roar“ von Katy Perry hebt sie das Publikum mitten im Stück aus den Sitzen. Standing Ovations noch vor dem Finale, das ist wirklich selten zu erleben.

„& Julia“: Willemijn Verkaik brilliert als Shakespeare-Gemahlin Anne

Den gleichen Applaus, wenn nicht sogar mehr, verdient sich Hamburgs Ex-Eiskönigin Willemijn Verkaik als mal bissige, mal liebevoll ironische („Mein Mann verdient sein Geld mit Wortspielen“) Anne Hathaway. Ihr Spielwitz und Charme und natürlich die absolute Topdarbietung als Sängerin (sie war die deutsche Gesangsstimme von Elsa in Disneys „Die Eiskönigin“-Filmen) sind genau richtig für die eigentliche Hauptrolle von „& Julia“. Verkaiks Präsenz lenkt das Geschehen sowohl im Stück als auch in der Cast, eine geborene mitreißende Anführerin. Brillant!

Aber auch die Nebenrollen wie der Seal-sanfte Soulbruder Oliver Edward als Julias Kurzzeit-Verlobter Francois und Carlos de Vries als Clubbetreiber Lance, Andreas Bongard als eitler Dramakönig Shakespeare und Raphael Groß als „deeper“ Emo-Tränensack Romeo passen hervorragend zum Stück. Hier nimmt sich keiner auch nur die Spur ernst, die gute Laune überträgt sich weit über die Ausgangstreppe des Operettenhauses hinaus bis nach Hause.

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„& Julia“ ist noch mehr Pop-Revue als Musical, unterhält aber maximal mit unzerstörbaren Liedern und einer tollen Cast. © Johan Persson/Stage Entertainment | Johan Persson/Stage Entertainment

„& Julia“: Ein Musical, das seinem Anspruch gerecht wird – Spaß, Spaß, Spaß

Klar, irgendwann im Verlaufe des Stückes (so nach zehn Minuten) fällt schon auf, dass „& Julia“ flach und ohne Tiefgang ist, eine seichte Revue. Aber so besteht auch nie die Gefahr, durch Bedeutungsballast abzusaufen. Es geht schließlich immer noch um Popmusik aus der Feder von Max Martin, die ähnlich wie die Musik von ABBA und das entsprechende Musical „Mamma Mia!“ einfach nur Spaß machen soll. Diesem Anspruch wird „& Julia“ so was von gerecht, wenn mit „Everybody (Backstreet’s Back)“ von den Backstreet Boys und „Can‘t Stop The Feeling“ von Justin Timberlake pure Begeisterung auf der Bühne und in den Sitzreihen entfesselt wird.

Und mit dem ursprünglich aus dem Lied „The Girl Is Mine“ stammenden Michael-Jackson-Zitat „Ich bin ein Liebhaber, kein Kämpfer“ versteckt „& Julia“ auch noch einen Produkthinweis auf die nächste Deutschland-Premiere in Hamburg: In fünf Wochen startet „MJ – Das Michael Jackson Musical“ im Stage Theater an der Elbe. Das muss „& Julia“ erst mal schlagen – „Beat It“!

„& Julia“ Vorstellungen bis 31.8.2025, Stage Operettenhaus (U St. Pauli), Spielbudenplatz 1, Karten ab 63,99 im Vorverkauf; www.stage-entertainment.de

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