Hamburg. Debüt auf den allerletzten Drücker in der Elbphilharmonie: Das Lucerne Festival Orchestra, Riccardo Chailly und Daniel Lozakovich.

Immer wieder interessant mitanzuhören, wie sich ein Spitzen-Orchester auf einen ihm noch unbekannten, anspruchsvollen Saal einpegelt. Je besser das Tutti, desto schneller endet diese Phase. Mehr als sieben Jahre nach der Eröffnung der Elbphilharmonie sind solche Debüt-Abende allerdings selten geworden, denn nahezu alles, was weltweit Rang und Namen hat, ist ja inzwischen da gewesen – doch das Lucerne Festival Orchestra (LFO), eine handverlesene All-Star-Angelegenheit mit Sitz direkt am Vierwaldstätter See, tatsächlich noch nicht. Scala, BR, Concertgebouw, Mahler Chamber Orchestra, Berlin (und wenigstens zwei Namen aus Hamburger Orchestern), an diesen Adressen hat Riccardo Chailly sich das Personal zusammengesucht, um die einnehmende Magie des LFO-Gründers Claudio Abbado weiterwirken zu lassen.

Es hätte an diesem Sonnabend vielleicht eine entspanntere, rundere Premiere werden können, wäre das LFO nicht nach dem Gastspiel in der Philharmonie de Paris sieben Stunden lang in Orly zwangsgeparkt worden, weil sein Flieger technische Probleme hatte. So kam man erst auf den ziemlich allerletzten Drücker in Hamburg an. Ungeplanter Tournee-Stress, nicht schön. Um sich vor dem Auftritt wenigstens kurz im Großen Saal akustisch zu orientieren, war fast keine Zeit mehr. Ohren auf und durch wurde also die Devise, Chailly sollte es schon richten können, dürfte man sich backstage gedacht haben.

Debüt für Lucerne Festival Orchestra und Chailly in der Elbphilharmonie: Alles geschafft, nicht alles gekonnt

Sibelius‘ Violinkonzert war dafür die erste Mutprobe – für das Orchester aber etwas überschaubarer, weil es sich über weite Strecken darauf zurückziehen konnte, den Solisten Mittelpunkt sein zu lassen. Daniel Lozakovich (sehr jung, smart und schon eine nobel glühend klingende Stradivari in den Händen) verließen im Laufe des Stücks mehr und mehr die Zuversicht und das Selbstvertrauen in die eigene Treffgenauigkeit. Bei den vielen Schwierigkeiten, mit denen Sibelius seinen Interpreten in die kalte, klare, unerbittliche Einsamkeitsbewältigung schickt, kein Wunder. Andererseits aber praktisch zu wenig, um von dieser auf Akkuratesse zielenden Interpretation, der man die Tagesform anhörte, überzeugt zu sein oder gar überwältigt zu werden. Auch das Tutti war sehr damit beschäftigt, seine innere Balance auszutesten. Noch wurde deutlich gearbeitet, nicht gespielt.

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Das Ergebnis war ein Sibelius, der lauwarm blieb, zu wenig in die notwendigen Extreme ging, zu verbindlich abgespult. Dass Lozakovich wirklich wunderschöne Pianissimi gelangen, machte die Profil-Defizite an anderen Stellen nicht wett. So gespielt, war es am Ende – zieht man das verrutschte Finale als ein letztes kurzes Nervenflattern ab – lediglich irgendwie geschafft, mit Betonung auf irgendwie, aber nicht gekonnt.

Pressefoto Elbphilharmonie - 19.10.2024: Kleiner Saal / Lucerne Festival Orchestra / Daniel Lozakovich / Riccardo Chailly
Der Geiger Daniel Lozakovich spielte das Sibelius-Violinkonzert auf der „ex-Sancy“-Stradivari von 1713. © Daniel Dittus | Daniel Dittus

Pause, Durchatmen, nun wurde es schicker. Rachmaninows „Sinfonische Tänze“, immer gern genommen, um die Show-Qualitäten eines Orchesters ins Schaufenster zu stellen. Das makellos servierte Altsaxofon-Solo im ersten Abschnitt, viel Schwung und nun auch Präzisionsvergnügen im weiteren Verlauf. Die Musik begann abzuheben, das Orchester, von Chailly etwas lockerer geführt, bekam hörbar Spaß am eigenen Können. Ging also. Aparte Absacker-Zugabe für Repertoire-Feinschmecker: das d-Moll-Scherzo, das der 14-jährige Rachmaninow schrieb, nachdem er sich offenbar sehr oft durch die Partitur von Mendelssohns „Sommernachtstraum“-Musik geblättert hatte. Ein Happy End, doch noch.

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