Hamburg. Das Albert-Schweitzer-Jugendorchester spielt zu seinem Jubiläum ein Violinkonzert mit Christian Tetzlaff. Ein Ortstermin.

  • In der Laeiszhalle trat das Albert-Schweitzer-Jugendorchester auf - wir haben die Proben begleitet
  • Die Solopartie übernahm der berühmte Geiger Christian Tetzlaff
  • Das renommierte Nachwuchsorchester wurde vor 50 Jahren am Albert-Schweitzer-Gymnasium gegründet

So eine Ansage hört ein Orchester nicht alle Tage. „Spielt so unklar wie möglich“, sagt Sebastian Beckedorf und macht eine Geste, als wollte er das Auftakt-Achtel zu einer Wolke aufplustern. „Bloß nicht zu früh weitergehen!“ Als die jungen Musikerinnen und Musiker dann einsetzen, klingt der Auftakt tatsächlich so wattig und vieldeutig, wie der Dirigent sich das wohl vorgestellt hat. Dies ist schließlich die Ouvertüre zur Operette „Die Fledermaus“ von Johann Strauß Sohn, einem Geniestreich der flatterhaften Muse, und diese Flatterhaftigkeit darf man ruhig hören.

Albert-Schweitzer-Jugendorchester.
Das Albert-Schweitzer-Jugendorchester probt für sein Jubiläumskonzert. Vor 50 Jahren wurde das Orchester gegründet. © FUNKE Foto Services | Marcelo Hernandez

Für die erste Tuttiprobe hat das Stück schon beeindruckend Gestalt. Ist ja nicht ganz ohne, den Walzer-Schmäh hinzukriegen, die parallel geführten Bläser-Staccati, die virtuosen Geigenläufe. Mit der Strauß-Ouvertüre beginnt am 7. November das Jubiläumskonzert des Albert-Schweitzer-Jugendorchesters, kurz ASJ, in der Laeiszhalle; das Orchester wurde vor 50 Jahren am Albert-Schweitzer-Gymnasium gegründet. Außerdem steht die „Rosenkavalier“-Suite von Richard Strauss auf dem Programm (die beiden Komponisten sind weder verwandt noch verschwägert), noch so ein Werk mit hohem Unterhaltungswert, und als Kontrast dazu das romantisch-ernste Violinkonzert von Brahms. Die Solopartie übernimmt kein Geringerer als Christian Tetzlaff.

Laeiszhalle: Warum Stargeiger Christian Tetzlaff mit dem Albert-Schweitzer-Jugendorchester auftritt

Dass ein Weltstar mit einem Schulorchester auftritt, damit hat es natürlich seine Bewandtnis: Tetzlaff ist selbst aufs Albert-Schweitzer-Gymnasium (ASG) gegangen und war lange Jahre Mitglied des ASJ, vom Tutti-Steppke bis hin zum Konzertmeister und Solisten.

„Für mich war das Orchester wesentlich. Der Gründer und Leiter Dieter Lindemann war eine sehr positive Figur in meiner Jugend. Er hat mir eine gesunde Grundbegeisterung vermittelt, obwohl ich mit Musik sowieso schon viel zu tun hatte“, erinnert sich Tetzlaff am Telefon – zu den Proben wird er erst kurz vor dem Konzert dazustoßen. „Als jetzt die Anfrage kam, habe ich gedacht, wenn ich ein bisschen was zurückgeben kann, dann mache ich das selbstverständlich. Außerdem spiele ich das Brahms-Konzert so gerne. Und zum ersten Mal habe ich es mit dem ASJ in der Laeiszhalle gespielt!“ Auch bei Violinkonzerten von Beethoven, Vieuxtemps und Vivaldi hat das ASJ Tetzlaffs Debüts dort, damals hieß der Konzertort noch Musikhalle, begleitet. Das war in den frühen 1980er-Jahren.

Albert-Schweitzer-Jugendorchester.
Im Walzerschwung: Sebastian Beckedorf probt mit dem Albert-Schweitzer-Jugendorchester die Ouvertüre zu Johann Strauß‘ Operette „Die Fledermaus“. © FUNKE Foto Services | Marcelo Hernandez

Tetzlaff ist nicht der einzige Musiker von Rang, der Mitglied im ASJ war. Auch die Geiger Heime Müller, langjähriges Mitglied des Artemis Quartetts, und Michael Mücke, der dem Fontenay Trio angehörte, haben mitgespielt. Tetzlaffs jüngere Schwester Tanja war ebenso mit dem Cello dabei wie Jens Peter Maintz, der heute als Solist und Kammermusiker unterwegs ist und eine Professur an der Universität der Künste Berlin hat, oder Martin Löhr, Solocellist bei den Berliner Philharmonikern.

ASJ ist von einem landläufigen Schulorchester Galaxien entfernt

Eine gute Adresse also, das ASJ. Nun muss man aber sagen: Von dem, was einige sich landläufig unter einem Schulorchester vorstellen – schiefe Töne, Jugendliche, die sich nebenbei mit der Verfertigung und dem Abschuss von Papierkügelchen befassen, während vergeblich Disziplin eingefordert wird – ist das ASJ Galaxien entfernt. „Es ist ein Auswahlorchester“, betont der Dirigent Beckedorf. Es gibt noch drei weitere jahrgangsübergreifende Orchester am ASG: das Junior-, das Mittel- und das Oberstufenorchester. Dazu werden in jedem Jahrgang Orchesterklassen und Vokalklassen mit je eigenen Ensembles eingerichtet sowie weitere Musikgruppen. Nicht von ungefähr gilt das ASG als eins der führenden Musikgymnasien in Hamburg.

Das Albert-Schweitzer-Jugendorchester ist nicht den Schülerinnen und Schülern des ASG vorbehalten. Der 14-jährige Gustav aus den zweiten Geigen etwa wohnt in Wedel. Es sei schon sein drittes Projekt, erzählt er in der Probenpause. „Meine Schwester spielt auch hier“, sagt er in einem Ton, als wäre es das Normalste der Welt, für eine Orchesterprobe quer durch das HVV-Gebiet zu fahren. Er weiß, warum: „Ich finde, es klingt schön, wenn alle spielen. Man ist so mittendrin.“

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An den Blasinstrumenten sitzen überwiegend Musikstudierende. „Das ist für mich das Besondere am ASJ, dass man mit Studenten spielen und viel von denen lernen kann“, sagt der Hornist Bela Marock. Er hat dieses Jahr Abitur am ASG gemacht und bereitet sich nun auf die Aufnahmeprüfung fürs Musikstudium vor. Bela kümmert sich um Besetzungs- und Organisationsfragen, er ist gleichsam Urgestein des Orchesters: „Mein Vater und viele andere aus meiner Familie haben auch schon hier mitgespielt.“

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Der 14 Jahre alte Geiger Gustav Breum kommt für die Proben des Albert-Schweitzer-Jugendorchesters aus Wedel. © FUNKE Foto Services | Marcelo Hernandez

Laeiszhalle: Geigerin Julia Saßmannshausen kam 2002 erstmals ins Orchester

Auch die Geigerin Julia Saßmannshausen hat eine lange Geschichte mit dem ASJ. Sie ist jetzt als Aushilfe dabei. 2002 kam sie erstmals ins Orchester. „Es war eine Ehre, aufgenommen zu werden, und eine Chance, als junger Mensch so ernsthaft zu musizieren“, sagt die 37-Jährige und schwärmt von der Arbeit des damaligen Leiters Manfred Richter, der das Ensemble fast drei Jahrzehnte lang geformt hat. „Er wollte, dass wir die Musik sinnlich erfahren. Wir haben oft ganze Passagen geatmet oder gesungen.“ Saßmannshausen hat im Orchester auch ihren späteren Mann getroffen, der saß in der Cellogruppe. Ihre beiden Kinder haben sie Louis (nach Beethoven) und Clara (nach der Pianistin Clara Schumann) genannt.

So umstandslos die Orchestermitglieder in den Quasselmodus verfallen sind, kaum dass Beckedorf das Wort „Pause“ ausgesprochen hat, so präsent sind sie, als die Probe weitergeht. Nach einer schmelzenden Oboenkantilene bricht Beckedorf ab. „So muss allein ich bleiben …“, singt er die Melodie nach und erklärt: „Da nimmt die Ouvertüre vorweg, was die Ehefrau Rosalinde später zu ihrem Mann sagt – aber die meint das natürlich nicht so. Die ist froh, wenn sie ihn mal los ist.“ Kichern im Orchester.

So lernt man fürs Leben. Musik hat die Kraft, Biografien zu prägen, ganze Familien. Wenn sie einen Ort hat wie im Albert-Schweitzer-Jugendorchester.

Jubiläumskonzert Do 7.11., 20.00, Laeiszhalle, Tickets ab 20,- unter T. 35 76 66 66; www.elbphilharmonie.de

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