Hamburg. Einen Roman über crashende Othmarschener hat Norbert Klugmann bereits veröffentlicht. Jetzt legt er nach: Es geht um Ü70-Fahrtraining.
Das Schöne an einer Reputation ist: Man sticht heraus. Poppenbüttel will im Falle dieser schmissig erzählten Story Othmarschen nicht ganz das Feld überlassen, sondern im Gegenteil gegen „den Westen“, wie es immer heißt, mächtig anstinken. Und zwar, indem man die Geschichte der betagten Crash-Kids aus der Waitzstraße weiterdreht. In Poppenbüttel, auf dem Marktplatz, sollen nun also Trainingslager für eingereiste SUV-Besitzer stattfinden. Feinmotorik, Stadtmobiliar, Fensterglas, das soll da alles im Mittelpunkt stehen.
Klingt nach Satire? Ist es natürlich. Der Hamburger Autor Norbert Klugmann, ein viel beschäftigter Mann, hat zuletzt den Roman „Bitte parken Sie nicht in unserem Schaufenster“ veröffentlicht. Mit viel Humor schrieb er da über die bundesweit bekannt gewordene Unfallserie in der Waitzstraße. Jetzt also widmet sich der 73-Jährige dem Thema erneut. Vom anderen Ende der Stadt aus gesehen, sozusagen. Der Titel des neuen Buchs ist so plakativ wie der des Vorgängers: „Opa parkt in Poppenbüttel“.
Neues Buch „Opa parkt in Poppenbüttel“: Seelenschau der Schaufenster-Crasher
In der Fahrschule geht es nicht nur um den richtigen Einsatz des Gaspedals, sondern auch um Selbsthygiene und Seelenschau. Anders gesagt: Klugmann nähert sich seinen Einparkrowdys sensibel. Bei aller satirischen Übertreibung interessiert er sich auch für deren Sicht auf die Dinge.
Und so lässt er einen Alten über die, angeblich, tatsächlichen Hintergründe philosophieren: „Jeder kann einparken, wenn das Problem wirklich das Einparken wäre. Nur das Einparken, nichts drum herum. So ist das aber nicht. Am schlimmsten ist, dass wir alt sind. Ich habe nie ein Problem mit meinem Alter gehabt, ich habe auch nichts besonders Schlimmes angestellt. Die paar Erdbeeren auf dem Wochenmarkt … Ich denke, die Welt, wie sie gerade ist, das ist das, was uns fertigmacht. Nicht Gas und Kupplung und die Frage: Habe ich noch fünf Meter Platz oder eine Handbreit? In unserer Zeit wird um jeden Furz ein Bohei gemacht. Es gibt keine kleinen Probleme mehr. Entweder Paradies oder Weltuntergang, der Platz dazwischen wird immer kleiner – so wie manchmal der Platz beim Parken kleiner wird. Oder oft. Oder immer.“
Neuer Roman von Norbert Klugmann: Die Profilneurose Poppenbüttels
So kann man es natürlich auch sehen! Die Suada des Mannes geht übrigens noch weiter, wie Klugmann überhaupt, durch die Sprachrohre seiner Figuren, viel Worte macht. In den Sprechblasen der Dampfplauderer äußerst sich die verbale Penetranz zum Beispiel der Standortpolitiker, auch diese karikiert Klugmann. Dennoch, trotz aller erzählerischer Methodik – ein wenig Straffung hätte der Text vertragen können.
Viel Aufwand betreibt der Autor, um die Profilneurose des Hamburger Nordostens ins Bild zu rücken. Den Poppenbüttelern geht es darum, ähnlich wie die Elbvororte mit ihrer Waitzstraße Aufmerksamkeit zu bekommen. Deswegen die vielen Diskussionen, zum Beispiel am Tresen, wie man mit einem Poppenbütteler Projekt den privilegierten Leuten im Hamburger Westen etwas Ebenbürtiges entgegensetzen könnte. Als wären in Schaufenster rauschende Limousinen und SUVs nichts weiter als ein Publicity Stunt. Klugmanns Parodie betrifft auch die Mechanismen der Medien.
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Gefallen an diesem flott geschriebenen Buch dürften vor allem Lokalpatrioten finden. Autor Klugmann lebt seit Jahrzehnten in der Gegend, er kennt Poppenbüttel. Vielleicht kann man seinem Erzähler folgende Mentalitätsbeschreibung durchaus glauben: „Es war die Regel und nicht die Ausnahme, dass Tag für Tag Bewohner Poppenbüttels erst lange nach der Rückkehr in ihre Behausung realisierten, wie viele Besorgungen sie heute wieder nicht durchgeführt hatten, mochten sie auch dringend sein (Grundnahrungsmittel, Nahrungsergänzung, Medikamente, Lotto). Sie hatten sie schlicht vergessen, was nicht in mangelnder geistiger Präsenz begründet war, sondern eine Folge der Poppenbütteler Bedächtigkeit darstellte. Über dem Ortsteil im äußersten Nordosten der Metropole lag käseglockengleich eine Haube, bestehend aus Komm-ich-heut-nicht-komm-ich-morgen-Mentalität.“
Aber was die Fahrschüler aus den noblen Elbvororten angeht, sind die Poppenbütteler dann doch ganz umtriebig, wie in Norbert Klugmanns Hamburg-Roman „Opa parkt in Poppenbüttel“ nachzulesen ist.
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