“Unendlicher Spaß“? Vor allem machte der Roman “Infinite Jest“ seinem Übersetzer Ulrich Blumenbach unendlich viel Mühe. Jetzt, nach sechs Jahren, ist sie tatsächlich überstanden. David Foster Wallaces 1100-Seiten-Meisterwerk, in dem sich eine durchgeknallte Welt spiegelt, erscheint bald auf Deutsch.
Hamburg. Auf den ersten Blick geht es nur um ein Buch. Obwohl - Buch ist untertrieben, und "nur" auch. Nach sieben Jahren Arbeit an der Rohfassung erschien 1996 "Infinite Jest" des US-Autors David Foster Wallace. Ein furchterregender Trumm. Im Original 1079 klein bedruckte Seiten, die als unübersetzbar galten, davon mehr als 100 Seiten noch kleinere Anmerkungen als Übersätttigungsbeilage. David Foster Wallace ist berühmt-berüchtigt für seine Fußnotenflut. (1)
Sträflich verkürzt, geht es in "Infinite Jest" (der Titel ist ein "Hamlet"-Zitat) um ein Tennis-Talent mit einem Faible für Wörterbücher, das in einer Tennis-Akademie erzogen wird, und um die Insassen einer Reha-Anstalt für Drogenabhängige. Die Zeit: Irgendwann in naher Zukunft, unter anderem auch im "Jahr der Inkontinenz-Unterwäsche", denn der bisherige Kalender ist abgeschafft. US-Großkonzerne können sich ganze Jahre kaufen und nach einem ihrer Produkte benennen.
Seinem Verleger hatte Wallace gesagt, der Roman sei prima für den Strandurlaub - als Schattenspender. Der Verleger hatte einen ähnlich speziellen Humor, keine Angst und verlegte es trotzdem. "Infinite Jest" wurde von Kritik und Autoren-Kollegen wie Jonathan Franzen ("Die Korrekturen") oder Dave Eggers (2) gefeiert. Man kann nur vermuten, in wie vielen Bücherregalen "Infinite Jest" gut sichtbar, aber auch so gut wie ungelesen abgestellt wurde. Als Erinnerung daran, dass große Literatur beinharte Kopf-Arbeit sein kann.
Ulrich Blumenbach (3) ist der Letzte, den das noch verwundern würde. Auf frühes, verzweifeltes Kapitulieren nach wenigen Seiten angesprochen, meint der Übersetzer nur: "Wallace ist ein leserfeindliches Arschloch. Der hat die ersten 50 Seiten bewusst abschreckend geschrieben. Danach kommen wirklich schöne Sachen. Da findet er, dass der Leser sich ein Zuckerli verdient hat." Na dann. Blumenbach ist auch derjenige, der das aus eigener Langstrecken-Erfahrung besser beurteilen kann als irgendwer sonst. Mitte 2003 hatte er begonnen, sich der Herausforderung zu stellen. Nachdem er ein Drittel von "Infinite Jest" gelesen hatte (am Ende war er, "einigermaßen flott", nach 50 Stunden), unterschrieb er.
"Dass das eine Sauarbeit wird, wusste ich da natürlich schon."
Das Honorar betrug 52.000 Euro. Aber so eine Übersetzung, so ein Solo-Gewaltmarsch auf einen der gefürchtetsten Literatur-Achttausender ist vor allem eine Frage der Ehre. Erst recht bei solchen Beträgen. Blumenbach nahm die Herausforderung an. Damals dachte er noch, er würde es in vier Jahren schaffen. Es wurden sechs, auch deswegen, weil das Honorar natürlich nicht zum Leben reichte. Dafür sorgen Stipendien und eine Erbschaft, nachts übersetzte Blumenbach Fachtexte für eine Bank.
Und so vergingen die Jahre.
Blumenbach muss tagein, tagaus diszipliniert in seinem Arbeitszimmer gesessen und sich tagein, tagaus die Haare gerauft haben. "Zu Wallaces Stilprinzipien gehört die Maxime ,Schreib nie einen kurzen Satz, wenn's auch ein langer tut.'" Er bekam es büschelweise mit kunstvoll verschachtelten Sätzen zu tun, "neben denen sich Thomas Mann oder Proust wie Hemingway lesen." Die waren auch noch mit Vokabeln gespickt, die Blumenbach als "Rarwortgestöber" bezeichnet: "ascapartic" zum Beispiel. Was das bedeutet, hat er erst in einem Wörterbuch von 1906 gefunden, dem er zufällig in einem Antiquariat begegnete. Da stand dann: "Ascapart: in alten Romanzen ein gewaltiger Riese, den Bevis of Hampton besiegte." Na dann. Er hätte aber auch ganz einfach in einer Ausgabe von Shakespeares "The Second Part of King Henry V." von 1594 fündig werden können. Ein Wort nur. "Infinite Jest" hat 1079 Seiten.
Es gab aber sogar noch eine von Wallace eingebaute Steigerung des Glücksgefühls: Wenn man es als Übersetzer geschafft hat, Wallaces hundsgemeine "Leserverarsche" zu durchschauen und eine völlig abgelegene Vokabel als ein "von ungebildeten Romanfiguren falsch buchstabiertes" Wort zu identifizieren. "Das Buch besteht nur aus Knoten. Wenn einer platzte, konnte ich sofort drangehen, die nächsten aufzudröseln."
Hier und da musste Blumenbach sogar etwas tun, was Übersetzer eigentlich vermeiden sollten - er machte den Text unverständlicher, indem er sich für einzelne Charaktere Dialekte zusammensuchte, deren Exzentrik denen der Originale zu entsprechen hatten. Wenn man seine Frau fragen würde, dann sei er beim Endspurt 2008 "ziemlich unansprechbar für andere Themen" gewesen.
Es wäre natürlich entschieden einfacher gewesen, wenn Blumenbach mit dem Urheber der vielen Denksportaufgaben Kontakt gehabt hätte. Versuche scheiterten jedoch. Im letzten Herbst erhängte sich Wallace. (4)
"Wenn ich auch nur mit ihm gesprochen hätte, wäre das sehr viel schwerer zu verkraften gewesen", erklärt Blumenbach seine eigene Gefühlslage dazu. "So war es für mich ,nur' ein Autor, ,nur' ein Buch. Aber mir fehlte natürlich etwas - ich hatte vorher eine Stimme im Hinterkopf, die mir dieses Buch vorlas. Das war verstummt. Ansonsten habe ich so um ihn getrauert wie Sie wahrscheinlich auch - als ein Leser, der traurig war, dass einer der besten Autoren der amerikanischen Literatur es nicht mehr ausgehalten hat." (5)
Seine Aufgabe als Übersetzer sieht Blumenbach ganz prosaisch: "Ich bin ein Hufschmied des Pegasus. Ich presche also nicht selber über den Parnass, ermögliche aber den Autoren den Galopp in meine Sprachheimat." Um sich in die Tennis-Szenen einzufinden, hat er etliche Matches von Roger Federer gesehen, um das Vokabular der Kommentatoren zu studieren. Für die Passagen, die mit Drogen zu tun haben, kontaktierte er Suchtberatungsstellen und seinen Vater, einen Arzt.
Die erhoffte lange Pause, die gab es allerdings nicht. Blumenbachs nächster Auftrag ist weniger umfangreich, aber ähnlich spektakulär. Er soll sich für den Rowohlt Verlag die Originalfassung von Jack Kerouacs Kultroman "On The Road" vornehmen, die, die Kerouac 1951 auf durchgehende Papierrollen getippt hat. Wie lang es dauern wird, da will sich Blumenbach lieber noch nicht festlegen.
Vorerst gönnt er sich etwas Mitleid mit Rezensenten. Für die "Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung" liefert einer wochenweise Zwischenstände, wild entschlossen, bis zum Veröffentlichungstermin am Ende der 1547 Seiten angekommen zu sein.
Bleibt noch die fundamentale Frage, ob man "Unendlicher Spaß" tatsächlich lesen muss, oder ob es nicht vielleicht schon genügt, es nur zu haben . Als Herausforderung an die eigene Aufnahmefähigkeit. Als Reportage-Monster aus einer durchgeknallten Fast-Gegenwart. Auch dafür hat Blumenbach eine Antwort parat: ",Unendlicher Spaß' ist eines der wichtigsten Bücher in der Bibliothek der ungelesenen Werke. Ich bin ganz sicher, dass es im Weihnachtsgeschäft oft verschenkt werden wird. Und als ziegelsteingewordenes schlechtes Gewissen als Prestigeobjekt im Bücherschrank verschwindet."
Einige Anmerkungen zu Übersetzer, Autor, Leben und Werk
(1) David Foster Wallaces Romane, Erzählungen und Reportagen (u. a. "Der Besen im System", "Kleines Mädchen mit komischen Haaren", "Kurze Interviews mit fiesen Männern") machten den Sohn eines Philosophieprofessors und einer Englischlehrerin zu einem Star der US-Gegenwartsliteratur. Wallace litt unter Depressionen. Am 12. September 2008 nahm er sich im Alter von 46 Jahren das Leben.
(2) Dave Eggers, zitiert im Begleitband zur deutschen Übersetzung, schrieb: "Das Buch ist 1547 Seiten lang, und es gibt nicht einen einzigen müßigen Satz."
(3) Ulrich Blumenbach hat u. a. James Joyce, Essays von Arthur Miller und Stephen Fry übersetzt. Er wurde mit dem "Hieronymusring für besondere Leistungen in der literarischen Übersetzung" geehrt, zudem wird ihm in diesem Jahr auch der Rowohlt-Übersetzerpreis der Heinrich Maria Ledig Rowohlt-Stiftung verliehen, der mit 15.000 Euro dotiert ist.
(4) Am Ende eines im KiWi-Begleitband zitierten Nachrufs schreibt Franzen: "David Foster Wallace war in den Schacht der unendlichen Traurigkeit hinabgestiegen, von Geschichten nicht mehr zu erreichen, und er hat es nicht mehr herausgeschafft. Aber er hatte eine schöne, sehnsuchtsvolle Unschuld, und er hat es versucht."
(5) 2005 hielt Wallace vor College-Absolventen eine Rede zur Frage "Wie schaffen wir bloß das Leben vor dem Tod". Ihr Ende: "Die Wahrheit mit dem großen W meint das Leben vor dem Tod. Sie meint, es bis 30 oder vielleicht bis 50 zu schaffen, ohne sich eine Kugel in den Kopf schießen zu wollen." Komplett in: "This Is Water: Some Thoughts, Delivered on a Significant Occasion, about Living a Compassionate Life" (Little Brown Book, ca. 15 Euro)
Hommage: "Ein David-Foster-Wallace-Abend" mit Ulrich Blumenbach, KiWi-Verleger Helge Malchow und Literaturkritiker Denis Scheck. 6. Juli, 20 Uhr, Literaturhaus. "Infinite Jest" erscheint am 24. August (KiWi, 1547 Seiten, 39,90 Euro), dazu gibt es ein Taschenbuch mit "Zusatzmaterial" (KiWi, 96 Seiten, 5 Euro).