Hamburg. Mit seinem Posterboy-Charme und ganz viel Pyrotechnik gibt Schlagerrocker Vollgas und kommt bei Fans gut an. Einen kleinen Patzer gab‘s dennoch.
Vorher liefen Niels Frevert und Tomte vom Band (wer hat das ausgesucht?), dann gingen die Lichter aus, sphärische Klänge, der Countdown auf der Anzeige lief knapp vier Minuten runter. Holla! Ben Zucker gönnte sich am Sonnabendabend eine Volldröhnung Selbstinszenierung. Um 20.15 Uhr flackerten dann die Lichter, und Deutschlands populärster Schlagerrock beschallte die Barclays Arena.
Man dachte, als dieser sehr aktuelle Kirmeskünstler der Deutschen gleich seine Maskulinitätshymne „So ein Mann“ wirklich, nun ja, schmetterte, mit seiner, nun ja, Reibeisenstimme, einmal mehr: Das ist die Bodybuilding-Version von Matthias Reim. Kraftmeierndes Schlagergerumse mit viel Schmalz halt.
Ben Zucker in Hamburg: Posterboy-Charme und jede Menge Pyro
Muskulös waren übrigens auch die Hardrocksoli der Gitarristen. Ben Zuckers Songs sind emotional sofort zugänglich; vom Sound her kommen sie direkt aus den 80ern, von den Lyrics aus der Klischeehölle, aber mitreißend sind sie wohl.
Es geht um Liebe, Freundschaft, das Ich und das Du, und vor allem um ungeniert vorgetragenen Ballermann-Rock, der auch in Hamburg diese ganz spezielle Form von, tatsächlich, Mainstreamgeborgenheit herstellte. Der Berliner Ben Zucker ist als Posterboy der Eindeutigkeit ein Entertainer, der genau wie Helene Fischer Alltagsfluchten ermöglicht.
Meist sang und tänzelte er auf der vorgelagerten Bühne, und Songs wie „Guten Morgen Welt“ und „Stadt für uns allein“ machten auch den hier und da anwesenden Kindern Spaß. Im Upbeat ist Zucker, Geburtsname Benjamin Fritsch, besonders Autoscooter-mäßig unterwegs. An Effekten durfte es da nicht fehlen: Wobei die Pyroflammen so hirnrissig too much waren, dass es schon wieder herrlich war. Ein Ben-Zucker-Konzert ist die Feier der genau einen Ebene, auf der jeder trittsicher ist, der nicht zu viel nachdenkt.
Ausgelassene Stimmung: 8000 Fans bejubeln Ben Zucker bei Hamburg-Konzert
Das Cover von Hans Hartz‘ Friedenslied „Die weißen Tauben sind müde“ brachte dann ernste Vibes in die hochgestimmte Arena. Die Geschichte des spät zu Ruhm gekommenen Musikers ist so sympathisch wie die offensiv vorgetragene Hemdsärmeligkeit. Putzig ist Zuckers Faible für Bruce Springsteen, den er seinen internationalen Lieblingskünstler nennt.
Seine Videoclips haben auf YouTube bis zu 45 Millionen Aufrufe, auf Spotify hören ihn 800.000 Menschen: Kommerziell ist der Mann ein Faktor. In Hamburg waren 8000 da, um die Stücke seiner bisher vier Alben zu erleben.
Auf der Leinwand sahen sie zwischen den Songs Einspieler, auf denen der „Straßenjunge“ über sein Herkommen räsonierte. Mehr demonstrative Bodenständigkeit geht nicht. „Ist mir egal, heute nicht“, sang das Publikum ziemlich laut, als Zucker seine Resilienz-Hymne anstimmte. Ja, heute war alles erlaubt, auch die ganz große Schlagerwelle.
Gastauftritt in Hamburg: Ben Zucker holt Kerstin Ott virtuell auf die Bühne
Bei „An diesen Tagen“ sang Duettpartnerin Kerstin Ott vom Screen, und man wippte sachte mit dem Fuß mit.
Schlager sind ja gar nicht der schnellste Weg in die Verzweiflung, sondern womöglich gesamtgesellschaftliche Notwendigkeiten und Grundpfeiler der emotionalen Erbauung. Populäre Musik ist auch keine kleine Kunst, und Germanisten sollen sich mal nicht so haben. „Nein, ich weine nicht um dich/Hab‘ keine Träne mehr für dich/Schau‘ jetzt nach vorne und nicht mehr zurück/Denn das Leben wartet auf mich“ ist ja fast Rilke.
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Bei genau diesem „Ich weine nicht um dich“ kam der Sänger bei den Lyrics kurz durcheinander. Wer das gar nicht mitbekam, wurde von Ben Zucker anschließend darauf gestoßen – der Musiker entschuldigte sich für den Patzer. Gute Erziehung ist alles.