Hamburg. Der Stuttgarter Popbarde über den holprigen Karrierebeginn, seinen Traum, ein guter Sänger zu sein, und die kommende Show in der Sporthalle.

Zugegeben, von den Hunderten Künstlerinnen, Künstlern und Bands, die jährlich beim Reeperbahn Festival auftreten, verschwinden die meisten wieder in der Versenkung. Philipp Poisel allerdings, 2008 noch völlig unbekannt im Schmidts Tivoli zu erleben, hat sich behauptet und sich bis heute als Top-Ten-Gast in den Albumcharts etabliert. Und das, obwohl – oder gerade weil – er nicht wie der Glitzersuperstar wirkt.

Auch im Gespräch vor seinem Konzert am 16. Oktober in der Sporthalle Hamburg steht der in Stuttgart lebende Songschreiber authentisch zu seinen vermeintlichen Schwächen: „Ich wäre gern ein richtig guter Sänger“. Sein Vorbild war und ist einer seiner frühen Förderer: Herbert Grönemeyer.

Philipp Poisel: „Dass ich falsch singe, war mir nicht bewusst“

Hamburger Abendblatt: Erinnern Sie sich noch an Ihren Auftritt beim Reeperbahn Festival 2008 vor vielleicht 100 Zuschauenden im Schmidts Tivoli?

Philipp Poisel: Tatsächlich ja. Allerdings habe ich nur Bilder von vor und nach dem Konzert im Kopf, vom Auftritt weiß ich nichts mehr. Das war alles ein einziger Flash.

Ihr Debütalbum „Wo fängt dein Himmel an?“ war gerade erst erschienen, und der Weg bis dahin war ziemlich uneben. Stimmt es, dass Sie aus einem Chor ausscheiden mussten, weil Sie nicht gut genug singen konnten?

Ich konnte gut zeichnen und hatte dabei auch echtes Selbstbewusstsein. Beim Singen hatte ich das allerdings überhaupt nicht, aber ich habe trotzdem gern gesungen. Dass ich falsch singe, war mir nicht bewusst, bis ein Mädchen im Chor neben mir mich bat: „Hey, bitte komm nicht mehr!“

Autsch!

Ich wollte auf jeden Fall trotzdem weitersingen, zwar nicht in diesem Chor, aber zu Hause, wo ich auch das Bedürfnis entwickelte, selber Songs zu schreiben, Lieder zu covern, mit der Gitarre auf Reisen zu gehen. Das ist ein Privileg und ein Segen, und vielleicht wäre es nie so weit gekommen, wenn die neben mir nicht diesen Spruch gebracht hätte.

Philipp Poisel: Grönemeyer kam zum Konzert in der schäbigen Berliner Bar

Nicht persönlich nehmen, aber Sie sind gesanglich nicht gerade Freddie Mercury oder Chris Cornell, es geht eher so in die Richtung … Herbert Grönemeyer. Nahmen Sie Gesangsunterricht, auch um zu lernen, die Stimme zu schonen? Warmsingen, Tonleitern, Atemübungen und alles, was dazugehört?

Meistens schieße ich einfach los, aber ich merke auch, dass das heute nicht mehr so gut geht wie früher, und singe mich vorher ein. Ich leide zwar nicht darunter, kein guter Sänger zu sein, aber ich wäre gern ein richtig guter Sänger. Ich würde einiges darum geben, wie Freddie Mercury singen zu können.

Philipp Poisel
Auf seiner aktuellen Tour interpretiert Philipp Poisel sein Album „Neon“ (2021) in akustischer Form. © Sophie Seybold | Sophie Seybold

Aber das kann ja auch ein Markenzeichen sein. Bob Dylan ist es auch herzlich egal, wie er singt. Oder besagter Herbert Grönemeyer, der Sie am Anfang Ihrer Karriere ja gefördert hat mit einem Platz bei seinem Grönland-Plattenlabel. Wie kam es dazu?

Ich hatte denen schon ein paar Jahre vorher mal ein Demo geschickt, das bei denen im Stapel gelandet war. Dann hatte ich das Glück, dass sich in Stuttgart, wo ich mein Abi nachholte, Leute am Nebentisch über Musik und ihr Studio unterhalten haben. Denen habe ich mich aufgedrängt und fand so meinen Manager, eine Möglichkeit, Songs aufzunehmen und Konzerte zu spielen. Da wurde auch Grönland wieder hellhörig, und eines Abends kam sogar Herbert überraschend zu einem Auftritt in der Kopierbar in Berlin. Das war ein ziemlicher Schrottladen, eher eine Baustelle, die wir mit Schubkarren leer räumen mussten. Aber das Unfassbare ist passiert: Ich durfte bis heute vier Alben bei Grönland veröffentlichen.

Philipp Poisel: Nach seinem erfolgreichsten Album gönnte er sich eine Auszeit

Vier Alben zwischen 2008 und 2021 sind nicht gerade viel. Das dritte „Mein Amerika“ schaffte es 2017 an die Chartsspitze, da hätten Sie im Anschluss eigentlich richtig loslegen müssen.

Ich habe mir stattdessen nach „Mein Amerika“ eine Auszeit gegönnt, das hat mir auch gutgetan. Ich musste mal etwas anderes sehen nach Jahren mit denselben Menschen um mich herum. Dazu kommt, dass man als Künstler unglaublich präsent in den sozialen Medien sein muss, da haben wir schon die Anfänge verpasst.  

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Sie waren nie der Sänger, der immer den gleichen Stiefel herunterspielt, sondern haben sich auch live immer was Neues einfallen lassen. Jetzt kommen Sie mit dem Neon Acoustic Orchestra in die Sporthalle, um Ihr viertes Album „Neon“ neu zu interpretieren?

Wir führen das Livealbum „Neon Acoustic Orchestra“ auf, das im März erschienen ist und im kleinen Kreis in Metzingen aufgenommen wurde. Für mich ist das eigentlich das „Neon“-Hauptalbum und das „Neon“-Studioalbum eher die Vorlage dafür. In den Live-Arrangements werden viele Lieder noch eindringlicher, intensiver, und ich finde es immer spannend zu erleben, wie gut ein Song in verschiedensten Versionen bleibt.

Philipp Poisel: „Hamburg ist generell immer ein Highlight“

Sie waren in Hamburg schon in der Sporthalle, in der Barclays Arena, im Stadtpark, in der Laeiszhalle, im CCH, Docks, Knust, Uebel & Gefährlich und Schmidts Tivoli zu erleben. Haben Sie einen Lieblingsort in Hamburg?

Hamburg ist generell immer ein Highlight, die einzige Stadt, in der man ganz viel Zeit verbringen will. In anderen Städten bleibt man lieber im Tourbus … ha, ha, gar nicht wahr! Aber es ist schon die schönste Stadt in Deutschland. Auf den Stadtpark zum Beispiel war immer Verlass, auch wenn es anderswo nicht so gut lief. Die Hamburger Fans sind mir wirklich sehr ans Herz gewachsen.

Philipp Poisel & Neon Acoustic Orchestra Mi 16.10., 20.00, Sporthalle (U Lattenkamp), Krochmannstraße 55, Karten ab 53,20 im Vorverkauf; www.philipp-poisel.de