Hamburg. Die Shanty-Rocker verrichten wie immer ohne Scham ihr Heimatprogramm. Warum auch nicht: Wenn es draußen stürmt, wärmt diese Band.

Es windete in Hamburg, und ungemütlich war es vor allem wegen des Regens. Schietwetter für Seefahrer, für kernige Küsten-Kerle und Küsten-Kerlinnen. Aber so kernig muss man auf und vor der Bühne ja am Ende doch nur in Gedanken sein: Die Shanty-Rocker von Santiano spielten am Sonntag unter dem schützenden Dach der Barclays Arena. Bestimmt 11.000 waren da, und die wärmten sich am nordischen Heimat-Konzertabend lieber ohne die Brise von vorn.

Weil: So muss das dann wohl sein. „Gott muss ein Seemann sein“ und „Salz auf unserer Haut“ sind live zum Ausklang des Wochenendes die richtige Portion eingehegtes Fernweh, behaglich da verabreicht, wo Salz höchstens am Brezelstand aufzufinden ist.

Es werde Licht: Auch Santianos Arena-Tour „Auf nach Doggerland!“ entbehrt keinerlei Seefahrer-Pathos.
Es werde Licht: Auch Santianos Arena-Tour „Auf nach Doggerland!“ entbehrt keinerlei Seefahrer-Pathos. © FUNKE Foto Services | Thorsten Ahlf

Es war ein schönes, unbedingt volkstümlich zu nennendes Get-together von maritim gepolten Konzertgängerinnen und -gängern, die den aus Schleswig-Holstein stammenden Musikern auf der Bühne über zwei Stunden lang ein kräftiges „Ahoi“ entgegenriefen – metaphorisch gesprochen.

„Es klingt nach Freiheit“, die Hymne vom Losfahren ins Ungewisse, holte die Leute in der Barclays Arena schon bei diesem ersten Song von den Sitzen. Das Feuer war entzündet, unterstützt von Pyroeffekten. Schunkeln? Ja, aber gerne!

Santiano-Fans könnten auch an einen Erotik-Klassiker denken

Als neutraler Beobachter konnte man der Band einmal mehr allergrößten Respekt nicht versagen. Mit ihrer Seefahrer-Romantik hat sie es geschafft, monothematisch seit 2012 bereits sechs erfolgreiche Alben zu veröffentlichen. Dabei sind Santiano ein glasklarer Fall von „live sind sie eh am besten“. Wegen der Eingängigkeit ihres Sounds und ihrer Texte (die kann man wahrscheinlich selbst nach der Buddel voll Rum noch mitsingen oder wenigstens mitsummen). Das Publikum war eher herbstblond als glattgesichtig, aber Letzteres gab’s auch. Santiano ist eine All-Ager-Band.

„Salz auf unserer Haut“ also – Romanleser und Filmgucker könnten kurz an den Erotikklassiker gleichen Namens denken. Allerdings ist der Santiano-Song halt ein reinrassiger Sehnsuchtsporno direkt von Deck: „Mit dem Salz auf unserer Haut/Und dem Wind im Gesicht/Fahren wir raus weit in die Ferne/Wir fürchten uns nicht/Bis ans Ende der Welt/Bis ans Ende der Zeit/Der Sonne stets entgegen/In die Unendlichkeit“.

Santiano evozieren den Goldstandard norddeutscher Ekstase

Ach, man möchte auch beim Hören von Songs wie „Es gibt nur Wasser“ und „Nichts als Horizonte“ am liebsten sofort seinen Segelschein machen und anschließend wenigstens die Außenalster bezwingen. Oder wenigstens fürs Söhnchen das Piratenschiff vom Speicher holen.

Da wird einem warm ums Herz: Santiano während ihres Konzerts in der Barclays Arena.
Da wird einem warm ums Herz: Santiano während ihres Konzerts in der Barclays Arena. © FUNKE Foto Services | Thorsten Ahlf

„Hamburg, habt ihr das schön? Wir haben es auch schön mit euch“, rief Hauptsänger Björn Both den Leuten in der Barclays Arena zu. Und rief dann mit dem nächsten Song (in diesem Fall „Kinder des Kolumbus“) schon wieder ozeanische Kräfte an, sie müssen enorm sein, gemessen an der maritimen Begeisterungsfähigkeit des Publikums. Schon vor den Zugaben gab es im Innenraum den Goldstandard norddeutscher Ekstase zu bewundern: eine lupenreine Polonaise. Grüße nach Blankenese, logo.

Botschaften gegen rechts: Santiano ist kein braunes Schiff

Both beschwor die Schutzbedürftigkeit der Meere, die eben keine „Müllhalde“ sind – wichtig und richtig, dass die laute Band Santiano gesellschaftspolitische Aussagen trifft auf ihren Konzerten. Boths („Dieses Land braucht dringend mehr Mut und weniger Wut“) Ansagen gegen rechts sind ein Gedicht (und holten sich in Hamburg locker ihren Applaus ab), in Sachsen und Thüringen tritt diese Band übrigens auch auf.

Hamburg hatte es schön mit Santiano.
Hamburg hatte es schön mit Santiano. © FUNKE Foto Services | Thorsten Ahlf

Sollte man grundsätzlich in Zeiten wie diesen, in denen die See, gesellschaftlich gesehen und im Hinblick auf rechtspopulistische Wahlerfolge, besonders rau ist, eine Band hören, die auf „Heimat“ und „Freiheit“ macht? Ja, ja, ja: Santiano ist kein braunes Schiff, und die See ist international, da ist kein Raum für Fremdenhass.

Santiano-Frontmann Both ist ein begnadeter Conférencier

Both (ein begnadeter Conférencier) und seine bestens eingespielte, mit ihm live siebenköpfige Mannschaft navigierten sehr sicher durch ihr Gischt-spritzendes Programm aus Schlager, Rock und Folk. In der zweiten Konzerthälfte zogen die Musiker das Tempo an, und das Publikum mobilisierte alle Sonntagabendkräfte. Vom bislang letzten Album „Doggerland“ stammten übrigens die meisten Stücke dieses Konzerts, aber es gab auch alle Fanfavoriten.

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„Hooray for Whiskey“, „Sieben Jahre“, „Lieder der Freiheit“ und das doppeldeutige „Wenn die Kälte kommt“ (ein Song, der ganz allein reicht, um einen für Santiano einzunehmen!): Es war ein plakativer, stimmungsvoller und kurzweiliger Abend für alle, die ihr Herz immer auf einem Segelschiff auf die Reise schicken würden. Es wird irgendwo ankommen, an fernen Gestaden. Oder auf einem Santiano-Konzert.

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