Hamburg. Die Band schrieb Klassiker wie „Yellow“ und bezauberte viele. Dann wollte sie plötzlich allen gefallen. Man hört sie nur noch heimlich.
Kürzlich hat der notorische Chris Martin verkündet, dass seine Band Coldplay bald an ein Ende komme: Nur noch zwei weitere Alben seien geplant. Diese Nachricht dürfte sehr, sehr viele Menschen erleichtert haben. Menschen, für die jeder Coldplay-Song akustische Umweltverschmutzung ist. Wobei die meisten von ihnen zugeben dürften, dass die Engländer ein paar ganz gute Alben gemacht haben bis circa „Viva La Vida“ im Jahr 2008.
Aber irgendwann sind sie dann im Plastikpop gelandet, haben mit Rihanna und K-Poppern gesungen und sich dem totalen Kommerz zugewandt. Was immer schon ein Überbietungsgestus war: Stadien hätten sie auch ohne Songs wie „My Universe“ und „Hymn For The Weekend“ gefüllt. Sie waren riesengroß, sie sind riesengroß. Coldplay ist eine Stadionband, und ihre Konzerte machen Spaß. Ihre Emotionalität ist barrierelos, Coldplaytexte sind nie von Shakespeare, und Coldplaymelodien sind einfach, also gut. „Every Teardrop Is A Waterfall“ kann man schrecklich finden, aber auch ziemlich mitreißend. Das ist ja das Gute, wenn man kein Native Speaker ist: Auf Englisch klingen Wasserfälle weniger peinlich.
Neues Album von Coldplay: Gigantisch gedachter weltumarmender Quatsch
Ein Dutzend Alben wolle man insgesamt machen, erklärte Martin also. Das zehnte heißt „Moon Music“ und erscheint jetzt. Es ist quasi die B-Seite des 2021 herausgekommenen „Music Of The Spheres“ und genauso konzeptionell gedacht. Jetzt kommt’s: Die verschiedenen physischen Versionen des Albums sind aus Plastikmüll gefertigt. Coldplay ist eine weltanschaulich total okaye Band, sie will die Welt retten. Mit den Tourneen verbraucht sie schon genug Ressourcen. Und Plastikmüll ist das, wofür viele ihren Sound halt mittlerweile halten.
„Moon Music“ ist derselbe gigantisch gedachte weltumarmende Quatsch, den diese einst so tolle (und freilich immer schon kitschige) Rockband seit einiger Zeit so dermaßen von sich selbst überzeugt verbreitet. „In the end it‘s just love“, beschwört Martin im Album-Abbinder „One World“, der vor Geigern und Schmelz nur so strotzt, die Einheit des Planeten. Bono war ein ganz kleines Predigerlicht gegen diese fette Leuchtkugel des Friedens.
„Moon Music“ von Coldplay: Der Sound der Pop-Gegenwart
Man kann also an diesem Album, das mal so schwerstelegisch wie der Opener und Titelsong daherkommt und dann wieder mit Bee-Gees-Gedächtnis-Gesang krasse Disco-Feelings hervorrufen will, alles hassen. Geht ganz leicht, wirklich. Aber wer Pop in seiner irgendwie auch reinsten Form („feelslikeimfallinginlove“) etwas übrig hat, der darf, wie der Verfasser dieser Zeilen, auch beharrlich mitsummen und sich sagen: Sollen sie‘s halt machen. Sollen sie der ästhetischen Zeitgenossenschaft hinterherrennen. Mit Chris Martin wird der Sound der Gegenwart doch mehr als nur erträglich, oder?
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Ich sage es frei heraus: Ich hasse Coldplay, und ich liebe Coldplay. Wie das halt oft so ist bei guilty pleasures. Es gibt wenige Bands, die auf allen Kontinenten eben auch geliebt werden – bei der zweiten Single „We Pray“ sind die britische Rapperin Little Simz, der nigerianische Sänger Burna Boy, die palästinensisch-chilenische Künstlerin Elyanna und die argentinische Sängerin Tini mit dabei. Das stellt man sich genauso vor: Dass Chris Martin und Kollegen beim Chai Latte und veganen Keksen mal eben schnell durchgehen, wer in Sachen nationaler Diversität denn so helfen könnte beim Songaufnehmen und Welterobern.
Neues Album „Moon Music“: Max Martin saß an den Reglern
„Jupiter“ fängt so süß an wie der vielleicht süßeste Song des Jahres: „I call her Jupiter, the beauty of a rose/She says somewhere inside is an orchestra of rainbows/I call her Jupiter, a siren and a swan/She says somewhere inside there‘s a movie and a theme song“. Sorry, ich mag‘s halt.
Und „Good Feelings“ ist ein Dancefloorknaller. Absolut drauf angelegt, ganz schlimm, aber hebt halt die Laune. Bei Coldplay muss immer alles dabei sein, die Schwermut und der Übermut. Ein Album als emotionaler Durchlauferhitzer. Vielleicht muss man den Mainstream so überwältigen wie sie, einer muss den Job ja machen. Und jeder weiß ja, dass Coldplay immer noch besser sind als, sagen wir: Foo Fighters.
Eine ganze Riege von Produzenten, unter ihnen Hitmacher Max Martin, hat dieses so unfassbar künstliche („Aeterna“ ist eine Frechheit) und auch künstlich gedachte Album auf Massentauglichkeit getuned. Der Gag ist, wie gesagt: Vor lauter Großdenkerei hat die Band längst vergessen, dass sie mit weniger genauso viele Menschen abholen würde. Man darf die Message dieses gar nicht mal so naiv gedachten Albums lieben: Liebe und Freude sind nicht die schlechtesten Dinge, die uns passieren können.
Kommen sie noch mal nach Hamburg in den nächsten Jahren: Ich gehe trotzdem hin.