Hamburg. Die Hamburger Schauspielerin Mechthild Großmann über ihr Aus beim „Tatort“ und die Arbeit am St. Pauli Theater. Was sie sonst noch vorhat.
Kürzlich überraschte sie bei der Spielzeit-Eröffnungsgala des St. Pauli Theaters mit einem ungewöhnlichen, durchaus anzüglichen Text, in dem auch das deutsche Wort mit „f“ vorkommt.: „Über die Verführung von Engeln“, ein Gedicht von Bertolt Brecht. Sie habe dieses sehr oft aufsagen müssen, in allen Sprachen, erzählt Mechthild Großmann, es sei Teil eines Stücks von Pina Bausch gewesen. Mit der legendären Regisseurin und Choreografin hatte sie 34 Jahre zusammengearbeitet. „Und ich kann nur das eine Gedicht“, sagt die 75-Jährige lachend.
Ebenso überraschend wie der Brecht-Text auf St. Pauli kam für manche im Sommer die Ankündigung, dass Mechthild Großmann als Staatsanwältin Ende 2025 beim „Tatort“ Münster aufhören wolle. Zwischen den Drehtagen (in Köln) und der Wiederaufnahme für Yasmina Rezas Stück „James Brown trug Lockenwickler“ am St. Pauli Theater nahm sich die seit fast drei Jahrzehnten auf der Uhlenhorst lebende Schauspielerin mit der markanten tiefen Stimme Zeit für ein Interview.
Mechthild Großmann („Tatort“): „Wenn der WDR eine Mörderin sucht, bin ich wieder da“
Hamburger Abendblatt: Wie war es denn für Sie, jetzt nach Köln zu fahren, in dem Wissen, dass es Ihr vorletzter „Tatort“ sein wird?
Mechthild Großmann: Jetzt habe ich diesen noch gedreht. Und im nächsten Frühjahr werde ich noch mal einen drehen, der dann erst im Herbst/Winter 2025 gesendet wird. Ich hätte nie gedacht, dass irgendeiner überhaupt darüber schreibt, ich finde es schon verblüffend: Es ist doch nur eine kleine, sehr freundliche Rolle.
Jedoch eine überaus populäre!?
Ich hab die dann 23 Jahre gespielt, und die Dame muss mindestens einen Zehner jünger sein als ich. Ich werde, wenn ich aufhöre, 77 Jahre alt sein, und das war es. Wer macht mit 77 noch so was?
Wie wichtig ist Ihnen, dass es ein selbstbestimmter Abschied vom „Tatort“ ist?
Also, ich habe es dem WDR so früh mitgeteilt, weil ich ein freundlicher Mensch bin. Ich habe an sich nie Rollen gespielt, die ganz aus meinem Alter herausfielen. Am Theater macht man das manchmal. Zum Beispiel, wenn Barbara Nüsse am Thalia Pippi Langstrumpf spielt. Ich könnte die Frau küssen, ich finde sie großartig. Und auch ich möchte nicht aufhören zu arbeiten. Und wenn der WDR mal eine bösartige Mörderin sucht, bin ich sofort wieder da! Mit einem großen Messer (lacht).
Sie haben die feste Schauspieler-Crew, die ja beim Münster-„Tatort“ mit sechs Leuten ungewöhnlich groß ist, mal als „eine Familie wie am Theater“ bezeichnet. Wie waren die Reaktionen auf Ihren Ausstieg?
Die wussten das auch. Ich hab immer gesagt, ich werde das nicht ewig mehr machen, aber ich habe nie gesagt, wann genau. Das waren und sind wirklich tolle Kollegen, weil man sich ja seit 23 Jahren zweimal im Jahr trifft. Es war mir eine Ehre und ein Vergnügen, und ich habe mich bei jedem Einzelnen bedankt.
Gibt es bereits jetzt besondere Momente, auf die Sie gern zurückschauen?
Ich arbeite seit 56 Jahren in diesem Beruf. Und davon ist „Tatort“ wirklich der geringste und kleinste Teil. Ich habe keinen „Tatort“-Altar oder so etwas. Und manche Drehbücher waren wunderbar, andere, wenn ich sagen darf, fand ich nicht so stark. Und ich bin jetzt nicht in einem großen Abschiedsschmerz.
Hier in Hamburg stehen Sie vor der Wiederaufnahme von „James Brown trug Lockenwickler“ im St. Pauli Theater. In Yasmina Rezas Stück spielen Sie eine namenlose Psychiaterin. Was ist daran die größte Herausforderung? Die Textmenge?
Yasmina Reza schreibt tolle und sehr kluge Stücke. Ihre Sprache ist schon eine sehr eigene. Kann man denn das überhaupt sprechen? Was kann die damit meinen?, habe ich mich gefragt. Ich schreibe meinen Text immer ab, handschriftlich. Das macht keiner mehr. Das macht nur meine Generation. Ich mache das oft auch, weil ich den Text besser verstehe, wenn ich ihn aufschreibe und dabei lernen kann. Man lernt ja auch visuell. Hier habe ich 26 Seiten für mich auf DIN-A4 (sie deutet auf ihre Zettel).
Anfang dieses Jahres haben Sie mir erklärt, 80 Prozent Ihrer Tätigkeit sei immer die Theaterarbeit gewesen ...
.... und die ist sehr verschieden. Es ist ja ein Riesenunterschied, ob ich mit Pina Bausch gearbeitet habe in einer Tanz-Compagnie oder mit Schauspiel-Regisseuren wie jetzt Ulrich Waller am St. Pauli Theater oder früher mit Jan Bosse am Schauspiel Frankfurt.
Haben Sie noch eine Traumrolle?
Traumrollen kenne ich nicht. Es kommt nicht so sehr auf die Rolle an. Es kommt darauf an, wer was mit dir arbeitet oder herausfindet. Die Figur, was hat die für Ängste? Wie gestaltet man etwa Maria Stuart? Ich bin kein großer Brecht-Anhänger, aber er hat gesagt: Auch Maria Stuart muss aufs Klo. Das müssen wir einfach wissen. Das sind auch Menschen.
Spüren Sie bei Ihrer Arbeit eine Form von Altersrassismus?
Es gibt keine Rollen für alte Frauen. Dass es Frauen am Theater ab 40 früher, zu meiner Zeit, relativ schwer hatten, war so. Da gibt es heute noch an jedem kleineren Theater oder Stadttheater eine Frau, die alle Rollen zwischen 60 und 90 spielt. Und das sind meistens kleinere. Das ist nicht der Rassismus der Regisseure und der Theater. Das ist das Ergebnis der Geschichte unserer Gesellschaft.
Wissen Sie schon, was beruflich als Nächstes auf Sie zukommt?
Dieses Jahr mache ich noch einige schöne Lesungen, und ich weiß auch, was ich zum Beispiel im nächsten Jahr drehen werde. Aber ich kann ja nicht mehr jeden Tag arbeiten in meinem Alter. Und ich arbeite ziemlich viel!
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Das Drehbuch zu Ihrem letzten „Tatort“ kennen Sie aber noch nicht?
Wer soll das denn wissen! Das wird ja noch geschrieben.
Ob und wie Sie als Staatsanwältin rausgeschrieben werden, wissen Sie auch noch nicht?
Nein. Und wenn, würde ich es ganz sicher nicht verraten.
„James Brown trug Lockenwickler“ WA 10.–13.., 15./16. u. 18.–20.10., jew. 19.30, So 18.00, St. Pauli Theater, Spielbudenplatz 29/30, Karten zu 22,- bis 64,- (zzgl. Gebühren) in der Abendblatt-Geschäftsstelle, Großer Burstah 18–32; www.st-pauli-theater.de