Hamburg. Glänzend: „Herr Puntila und sein Knecht Matti“ ist am Schauspielhaus oft ausverkauft. Karten gibt es bis Ende Januar. Eine Theaterkritik.

  • Intendantin Karin Beier hat „Herr Puntila und sein Knecht Matti“ am Schauspielhaus selbst inszeniert
  • Einmal wird das Publikum im Parkett direkt angesprochen: „Der Millionär steht bitte mal auf!“
  • Bestsellerautor Joachim Meyerhoff spielt die Hauptrolle und sorgt für Kartenandrang

Vor ein paar Jahren ließ der Regisseur Volker Lösch in einer Inszenierung am Deutschen Schauspielhaus mal die Namen der reichsten Hamburger samt ihrer bekannten Vermögensangaben auf der Bühne laut vorlesen – von einem Chor aus echten Hartz-IV-Empfängern. Der Vorgang sorgte für einen amtlichen Theaterskandal – einige Reiche wollten lieber inkognito bleiben, die damalige Kultursenatorin Karin von Welck versuchte, diesen Part der Inszenierung zu unterbinden.

Ob dem einen oder anderen im Schauspielhaus-Parkett das wohl kurz in den Sinn kommt, als nun das Saallicht in der Premiere von Bertolt Brechts „Herr Puntila und sein Knecht Matti“ plötzlich aufflackert und Joachim Meyerhoff in der Titelrolle direkt die ersten Reihen taxiert? „Hier sind wahrscheinlich mehr Arbeitgeber als Arbeiter!“ Rein rechnerisch müsse mindestens ein Millionär darunter sein: „Der Millionär steht bitte mal auf!“ Müßig zu erwähnen, dass sich niemand outet. Zumal das Angebot wenig verlockend erscheint: „Hätten Sie vielleicht Lust, sich für mich tot zu arbeiten?“

Pressefoto Deutsches Schauspielhaus Hamburg - Herr Puntila und sein Knecht Matti
Gastschauspielerin Lilith Stangenberg als Eva in „Herr Puntila und sein Knecht Matti“ (im Hintergrund Kristof Van Boven und Josef Ostendorf). © Katrin Ribbe | Katrin Ribbe

Nein, als Chef wünscht man sich diesen Herrn Puntila nicht. Ausbeuter sein will allerdings auch keiner. Und so bleiben die Scheinwerfer in Karin Beiers Brecht-Inszenierung zur Spielzeiteröffnung nach der kleinen Ausnahme wieder ganz beim Bühnengeschehen, wo der Prolog („Geehrtes Publikum, die Zeit ist trist“) schließlich trotzdem „ein komisches Spiel“ angekündigt hatte, bei dem der Spaß „nicht mit der Apothekerwaage“ ausgemessen werden solle. Und das Versprechen wird eingelöst.

Deutsches Schauspielhaus Hamburg: Joachim Meyerhoff berserkert schwitzend über die Bühne

Der frisch eingestellte „Schofför“ Matti (Kristof Van Boven) ist skeptisch, als sein neuer Chef ihm beim wilden Gläschenrücken den Aquavit aufdrängt. Mit gefährlich flackernden Augen, in denen das Raubtier nie schläft, gibt Meyerhoff den so mackerhaften wie jovialen Großgrundbesitzer, der im Suff so gern ein Menschenfreund wäre. Doch die Verhältnisse, sie sind nicht so. Die einen besitzen, die anderen müssen für sie (und sich) schuften –oben und unten – schwarz und weiß.

So muss es der realitätsnüchterne Matti, den Van Boven mit reizbarer Schicksalsergebenheit spielt, seinem renitenten Herrn wieder und wieder erklären. So deuten es auch die vorrangig in Schwarz und Weiß gehaltenen Kostüme von Wicke Naujoks in der verwahrlosten Bühne von Johannes Schütz an. Reste vergangener Versprechungen und Gelage bedecken den Boden, darauf ein Hausgerippe, im Hintergrund ein ranziger Wohnwagen, aus dem heraus zwei Livemusiker melancholisch ihren Teil beitragen. Ab und zu schneit es. Weiße Flocken, White Trash. Das gesellschaftliche Klima findet sich wieder in der bis ins Parkett wirbelnden Kälte.

Pressefoto Deutsches Schauspielhaus Hamburg - Herr Puntila und sein Knecht Matti
Oben und unten, gesellschaftlich sind die Verhältnisse klar definiert: Joachim Meyerhoff (unten) spielt mit Kristof Van Boven als „Herr Puntila und sein Knecht Matti“ am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg © Katrin Ribbe | Katrin Ribbe

Doch so schwarz und weiß sind all die Charaktere gar nicht, die Karin Beier da auflaufen lässt und zwischen denen ein glänzender Meyerhoff verschwitzt und in ungezügelter Jekyll-und-Hyde-Manier berserkert. Wobei es auch in seinem Naturell keine klaren Grenzen gibt, immer schwingt auch das Negativ mit. Sein Puntila, dessen kräftiger Körper alle anderen überragt, ist zugleich (in Wahrheit also?) das kleinste, weinerlichste Würstchen von allen. Ein wuchtiger Kerl im Luden-Look mit strähnigem Haar, Schnauzer und Goldkettchen, der protzig Eisbärenfell (Nordfinnland!) trägt und seine Tochter mit einem Diplomaten verheiraten will, sie im Suff dann aber dem Angestellten Matti verspricht. Sich selbst verlobt er gleich mit vier Dorfmädchen, die er rüde abweist, sobald der Pegelstand sinkt.

„Puntila“ am Schauspielhaus Hamburg: Vor dem Theater wird am Premierenabend demonstriert

Der „Bund der Bräute“ wird bei Beier übrigens ausnahmslos von männlichen Schauspielern übernommen, was die vermeintlich klare Rollenaufteilung (das schlichte Apothekerfräulein, die naive Melkerin) vielmehr in weiteren Grautönen changieren lässt. Und was einem fantastischen Schauspielerquartett – Michael Wittenborn, Jan-Peter Kampwirth, Josef Ostendorf, Maximiliam Scheidt – Raum gibt für lakonische Nebenbei-Perlen, poetische Momente, Slapstick. Es sind auch diese abseitigen Figuren und Szenen, die hängen bleiben, ohne dass Beier dabei das Gesamtbild aus dem Auge verlieren würde: Wenn der üppige Ostendorf ganz zart singt und der schmale Wittenborn als von Puntila gedemütigtes Gesinde-Material im beiläufigen Schwanzvergleich eine feine Pointe nicht verschenkt, dann ist das nicht nur lustig oder anrührend. Immer erzählt es auch etwas über Status, Abhängigkeiten und Abgründe.

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Als Puntilas Tochter Eva behauptet Lilith Stangenberg furios ihre Präsenz in diesem so variantenreich armseligen (und trotzdem überlegenen) Männerhaufen, von dem keine Rettung zu erwarten ist. Auch ihr Charakter, zugleich verwöhnt und erniedrigt, schillert wie das lange Silberkleid und die Heringe, mit denen sie sich vollstopft. Stangenberg spielt diese Eva ausschweifend, schamlos, hysterisch, cool, ist wie Van Boven und Meyerhoff eine (auch nackte) Körperspielerin, die wie Marlene Dietrich im langen Pelz betört und bis zur Erschöpfung ackert.

Hinter all dem grollen Aufmärsche über die Tonspur, donnert in der Ferne Geschützfeuer, erinnern Vogelschwärme auf der rückwärtigen Leinwand zeichenhaft an Fliegerstaffeln (Video: Severin Renke). Das Stück schrieb Brecht 1940 im finnischen Exil nach einem Entwurf seiner Gastgeberin Hella Wuolijoki. Die Lagerkämpfe, die rote Gesinnung gegen die rechte, die Gewalt, die Beklemmung, die Veranlagung zur Verachtung, das Verhältnis von Macht zu Ohnmacht, alles drin. Und Karin Beier versteht es wie wenige, all das in einem unterhaltsamen, unheilvollen, gegenwartsrelevanten Abend zu transportieren. Während draußen vor dem Theater am Premierenabend, der zugleich der Wahlabend in Brandenburg ist, gegen den neuen Faschismus demonstriert wird. Geehrtes Publikum, die Zeit ist trist.

„Herr Puntila und sein Knecht Matti“, Deutsches Schauspielhaus, Termine bis 25. Januar 2025, Karten unter www.schauspielhaus.de

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