Hamburg. Cordula Stratmann und der „Stromberg“-Schauspieler werfen bei Hamburgs neuem Lesefest mit Beleidigungen um sich. Wen es besonders trifft.

Muss man das eigentlich persönlich nehmen, wenn einem einer gleich beim ersten Date ein unverblümtes „Sie mich auch!“ entgegenpfeffert? Immerhin ist die Elb.Lit, frisch erfundener Hamburger Ableger des großen Kölner Lesefestivals Lit.Cologne, neu in der Stadt. Und zelebriert am Sonnabend zum Auftakt direkt Empörungskultur vom Feinsten: Zur Eröffnung der allerersten Elb.Lit-Ausgabe – von Programmleiterin Eva Schuderer im ausverkauften Großen Saal der Elbphilharmonie bescheiden als „kleines Pop-up-Festival“ begrüßt – widmen sich die Humoristin Cordula Stratmann und der Schauspieler Bjarne Mädel dem hingebungsvollen Beleidigen und ordnungsgemäßen Gekränktsein.

Im vergangenen Winter waren Bjarne Mädel und Cordula Stratmann mit ihrer Kunst der Kränkung und des Gekränktseins schon einmal in der Laeiszhalle zu Gast.
Im vergangenen Winter waren Bjarne Mädel und Cordula Stratmann mit ihrer Kunst der Kränkung und des Gekränktseins schon einmal in der Laeiszhalle zu Gast. © FUNKE Foto Services | Thorsten Ahlf

Bevor der eine oder die andere im Saal ins Grübeln geraten konnte, wie muksch man eigentlich zur Kenntnis nehmen sollte, dass da also Kölner Buchveranstalter kommen müssen, um die durch das Aussetzen des Harbour Front Literaturfestivals entstandene Literaturfest-Versorgungslücke im Norden zu schließen, hauen Stratmann und Mädel einander auch schon die ersten Affronts um die Ohren: „Pferdegesicht! Breitärschig!“ Und erklären den Abend kurzerhand zum Desensibilisierungsexperiment. (Dass sie das vor weniger als einem Jahr weitgehend pointengleich schon einmal in der Laeiszhalle getan hatten, ficht zumindest im Publikum keinen an – die Show macht das schließlich nicht weniger lustig.)

Neues Festival Elb.Lit: Bjarne Mädel vergleicht die Elbphilharmonie mit einem „Gästeklo“

Es zeugt von Selbstironie der Lit.Cologne-Gäste, dass der erste mit Verve vorgetragene Text ausgerechnet das erbarmungslose Köln-Bashing des Schriftstellers Rolf Dieter Brinkmann ist, der einst die „Kloake von einer Million Menschen“ besang, „ein mieses katholisch verseuchtes Stück Erde“, und kein gutes Haar an den „schmierigen Rheinländern“ mit ihrer „Pellkartoffel-Mentalität“ ließ: „Es wäre schon gut, wenn es das Rheinland nicht geben würde.“ Hier zufällig mitlesenden Rheinländern sei übrigens versichert, dass die anwesenden Hamburgerinnen und Hamburger in der Elbphilharmonie sich zwar zum deutlich vernehmbaren „Hohoho“ hinreißen lassen, aber zumindest an dieser Stelle nicht applaudieren. Hanseatische Kinderstube, so wichtig.

Lit  RUHR 2022
Programmleiterin Eva Schuderer begrüßte das Hamburger Publikum und dankte unter anderem der Kulturbehörde. © Kai Schulz | Kai Schulz

Solange man in Hamburg nicht die Hamburger beleidigt (was sich an diesem Abend tatsächlich keiner traut, näher als Pinneberg kommen die Einschläge nicht), ist ja ohnehin alles paletti. Cordula Stratmann hat für solche roten Linien in der lokalen Zartbesaitung feine Antennen: „Wennde nich aufpasst, biste schnell die Leute am Dissen.“ Pointierter kann man „Achtsamkeit“ nicht formulieren.

Bjarne Mädel in der ausverkauften Elbphilharmonie: „Hatte ich mir größer vorgestellt“

Stark sein müssen stattdessen die Augsburger, deren empörungsbegabter damaliger Oberbürgermeister Mitte der 1970er-Jahre die Ehre nicht schnallte, immerhin von Thomas Bernhard, dem österreichischen Großmeister der Brüskierung, geschmäht worden zu sein. Die Leute aus Brake, erzählt Bjarne Mädel, bewiesen da unlängst mehr Humor und machten sich den Slogan „Trostlosester Ort Deutschlands“ kurzerhand zu eigen.

Mehr Kultur in Hamburg

Es ist ein hübsch austariertes Hin und Her zwischen Plauderei, Therapiestündchen, Stand-up und literarischer Textarbeit. Nur an einer Stelle trifft das liebevoll-fiese Frotzeln der beiden Improvisationskünstler Mädel und Stratmann (die insbesondere die Zügel führt) die Hamburger dann doch direkter – als sich nämlich Bjarne Mädel in der voll besetzten Elbphilharmonie umblickt, die er sich „größer vorgestellt“ habe. Süffisantes Grinsen: „Bisschen wie auf dem Gästeklo“. Oha, zu viel Harmonie ist halt auch nicht abendfüllend.

Aber die korrekte Reaktion auf aufwallende Eingeschnapptheiten wird hier direkt mitgeliefert und brav im Chor trainiert: „Das macht mir nix.“ Ja, man kann zusammenfassen: Die Hamburgerinnen und Hamburger können mit dem stichelnden Humor einiges anfangen, die (wenn auch geschickt erschlichenen) Standing Ovations bescheren der ersten Elb.Lit auch ohne großes Eröffnungsbohei einen vielversprechenden Auftakt. 23 weitere Veranstaltungen stehen bis fast Ende November im Stadtgebiet an, darunter Abende mit populären Namen wie Herbert Grönemeyer, Iris Berben oder Hape Kerkeling. Die können uns in diesem Literaturherbst dann also mal gernhaben.

Programm und Karten gibt es unter www.elblit.de

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