Hamburg. Bei einer besonderen Heymann-Lesereihe weiß das Publikum vorab nicht, wer kommt. Diesmal erntete der berühmte Gast spontan Freudenschreie.
Die Tür in den Keller der Buchhandlung Heymann an der Osterstraße wirkt wie der Eingang in eine andere Welt. Die Stimmung in höhlenartiger Gemütlichkeit ist fast ausgelassen. Das vierte „Blind Date“ bei Heymann in Eimsbüttel ist restlos ausverkauft.
Auch diesmal ist die NDR-Moderatorin Anouk Schollähn die Einzige, die weiß, welcher schreibende Gast erwartet wird, und entsprechend fröhlich. Ihr Gesprächspartner, der Schauspieler Stephan Benson, weiß das nicht. Diese Tatsache entspannt ihn aber umso mehr. Und so freut er sich auf den „Ritt auf der Rasierklinge“. Bald tasten sich die beiden langsam über einzelne Stichworte und Hilfe aus dem Publikum an das mysteriöse Wesen heran.
Enthüllung: Blind Date mit TV-Star zur Lesung in der Eimsbüttler Buchhandlung
Benson liest wie immer Seite 28 des umschlaglosen, nicht allzu dicken Buches, um das es hier geht, sie offenbart eine Art Selbstgespräch, das in Richtung Achtsamkeit denken lässt. Anouk Schollähn streut Stichworte ein. „Geistesblitze“. Hm. „Niemand ist eine Insel“. Aha. Bald steht zumindest fest, es handelt sich um ein Sachbuch, keinen Roman. Die Spannung steigt.
Nach einer halben Stunde entrollt Stephan Benson schließlich das Transparent und erntet Freudenschreie: Es ist die Kölner Schauspielerin, Komödiantin – und auch praktizierende Familientherapeutin – Cordula Stratmann mit ihrem Buch „Wo war ich stehen geblieben? Grübeleien und Geistesblitze“. Darin sinniert sie sich einmal quer durchs Alphabet: von Taxifahrern, die Familienmitglieder von ihr während der Fahrt telefonisch blitzberaten lassen, bis zum Meer, das sie äußerst komisch verunglimpft. „Ich wollte Gegend, aber die anderen nicht. Okay, ich bin mit ans Meer.“ Während sie also ihre Haltung zum Meer noch einmal überprüfen will, empfindet sie doch nur Ödnis.
„Der Sand, Strand genannt, geht ja über in das Meer. Das Meer in der Farbe gräulich, so weit das Auge reicht“, liest Stephan Benson jovial. „Dann haben wir noch den Horizont, der im April in einem Grau erscheint, der mit dem Meer eine einheitliche graue Grauheit bildet. So weit das Auge reicht.“ Es dämmert Cordula Stratmann schon früh, dass sie sich hier im Norden natürlich in einem Raum mit absoluten Meer-Liebhabern befindet. Und schon hat sie wieder einen Saal zum Lachen gebracht.
Blind Date bei Heymann: Das Publikum darf eigene Fragen auf einem Bierdeckel notieren
Das ist bis heute ihre Stärke. Legendär war ihr Improvisationstalent in diversen TV-Formaten. Zunächst als Annemie Hülchrath bei „Zimmer frei!“ Im WDR Fernsehen oder in der Improshow „Schillerstraße“ auf Sat 1. Später folgten eigene Comedy-Programme. Stratmann, das wird auch im Gespräch deutlich, ist ein TV-Profi. Häufig ist sie spontan witzig, manchmal, nach ihrem Schreibtalent oder dem Umgang mit Bekanntheit gefragt, auch ein wenig eitel, dabei aber dennoch selbstkritisch. „Ich habe mir immer schon Beobachtungen und Schlüsse aus diesen vorgenommen. Das ist meine Leidenschaft.“ Auch das Publikum darf eigene Fragen auf einem Bierdeckel notieren. Und so stellt sich unter anderem heraus, dass Cordula Stratmann das „unnütze Talent“ des Pfeifens sehr gut beherrscht.
Benson liest mit sonorer Stimme ganz wundervoll, trotzdem wollen alle im Saal die Autorin hören, die prompt ein wenig ins Schleudern kommt. Macht aber nichts. Es ist ja schon wohltuend, hier nicht wieder eine Talkshow vor sich zu haben, sondern Menschen, die sich sehr zugewandt, angenehm unangestrengt und mit hohem Unterhaltungswert über das Schreiben, das Leben und das Lesen unterhalten.
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Und weil das Format des „Blind Dates“ so beliebt und immer ausverkauft ist, findet die nächste Ausgabe am 4. Dezember in größeren Räumlichkeiten statt, in Alma Hoppes Lustspielhaus in Eppendorf. Cordula Stratmann liest in Hamburg wieder am 17. November im Centralkomitee im Rahmen des neuen Festivals Elb.lit.