Hamburg. Das Altonaer Theater zeigt das Stück nach dem legendären Kinofilm – und stößt auf große Begeisterung. Warum der Besuch sich lohnt.

  • Der legendäre Kinofilm „Der Club der toten Dichter“ mit Robin Williams funktioniert auch auf der Bühne.
  • Das Altonaer Theater zeigt Vorstellungen bis Ende Oktober.
  • Das junge – wenn auch rein männliche – Ensemble ist mit Energie und Spaß bei der Sache.

Eigentlich bringt das Altonaer Theater vor allem Bücher auf die Bühne (gerade läuft „Das Kind in mir will achtsam morden“), regelmäßig jedoch sind damit auch Drehbücher gemeint. Die dann wiederum im Einzelfall zur Literatur zurückführen können – ein besonders schönes Beispiel findet sich im Programm der aktuellen Saison.

Der Club der toten Dichter; Altonaer Theater
Tobias Dürr (Mitte) spielt den unkonventionellen Lehrer Keating. © G2 Baraniak | G2 Baraniak

„O Captain! My Captain!“ ruft da der neue Literaturlehrer in die Klasse und fragt: „Wer weiß, wo das herkommt?“ Spätestens seit 1990 antwortet, wer damals alt genug war, um ins Kino zu gehen, vermutlich ohne Umschweife: aus „Der Club der toten Dichter“! Das Zitat stammt natürlich aus einem Gedicht des amerikanischen Poeten Walt Whitman, das Erweckungsdrama mit Robin Williams allerdings (der als Lehrer Keating zum ersten Mal in einer ernsthaften Rolle zu sehen war) ist längst ebenfalls ein Klassiker – aus einer Zeit, in der man davon ausgehen konnte, dass auf dem Schulhof alle in etwa dieselben Filme gesehen hatten. Auf der großen Leinwand.

Der Club der toten Dichter; Altonaer Theater
„Der Club der toten Dichter“ am Altonaer Theater: Die pubertierende Klasse spult Choreografien der Konformität ab. © G2 Baraniak | G2 Baraniak

„Der Club der toten Dichter“ erhielt damals den Oscar für das beste Drehbuch und einen Haufen weiterer Auszeichnungen, der Ausruf „O Captain! My Captain!“ stand 2014 über nahezu jedem Nachruf auf Robin Williams, als der Schauspieler sich das Leben genommen hatte.

„Der Club der toten Dichter“ am Altonaer Theater: Warum das Stück viel Publikum verdient

Nun zeigt das Altonaer Theater den Stoff von Tom Schulman in der deutschen Fassung von Joern Hinkel und Tilman Raabke und in der frischen Regie von Lea Ralfs. Und man kann eigentlich nur hoffen, dass nicht nur cineastische Nostalgiker, sondern auch möglichst viele junge Menschen, die die Filmvorlage womöglich gar nicht kennen, von dieser mitreißenden Inszenierung Wind bekommen.

Der Club der toten Dichter; Altonaer Theater
Ulrich Bähnk macht sich in seinen Rollen als gewaltbereiter Schuldirektor und verkniffener Vater gleich doppelt unsympathisch. © G2 Baraniak | G2 Baraniak

In Altona ist Tobias Dürr in der Robin-Williams-Rolle besetzt, und er macht seine Sache ausgesprochen souverän. Gleich in seiner ersten Szene durchbricht er die unsichtbare vierte Wand zum Zuschauerraum und fordert seine Schüler auf, schonungslos ins Parkett zu blicken: „Schauen Sie sich diese Gesichter aus der Vergangenheit an!“

Wir befinden uns in einer autoritären Eliteschule für Jungen, weshalb auch die Besetzung rein männlich bleibt. Der denkbar revolutionärste Gedanke ist der, dass auch Mädchen unterrichtet werden könnten, sie kommen hier nur als gesichtslose Wunschpuppen vor (Ausstattung: Ulrike Engelbrecht).

„Der Club der toten Dichter“: Das junge Ensemble ist mit Energie und Spaß bei der Sache

Lea Ralfs lässt die pubertierende Klasse auf verschiebbaren Bücherstapeln Choreografien der Konformität abspulen. Es gelten Zucht, Druck und militärische Strenge. Anpassung wird von Eltern wie Kollegium gefördert und gefordert, eine an den Sohn weitergereichte Militärpistole ist der Gipfel der elterlichen Zuwendung. Schikane und Prügelstrafe sind als pädagogische Mittel etabliert, als der neue Lehrer plötzlich Poesie („Das ist es, wofür wir am Leben sind!“), das Hinterfragen von Regeln, Aufbrechen von Dogmen und ein freies Denken ins Spiel bringt: „Carpe diem!“

Der Club der toten Dichter; Altonaer Theater
Premiere am Altonaer Theater: Das Spiel von Johan Richter und Celio-Silvestre Tamele (vorn) fällt im starken Ensemble besonders auf. © G2 Baraniak | G2 Baraniak

Mit Energie und offensichtlichem Spaß spielt sich das junge Ensemble durch die Coming-of-Age-Handlung. Die Tragikomik, die diesen Stoff ausmacht, hat ihren Schwerpunkt über weite Strecken mehr auf der komischen als auf der tragischen Seite, schafft aber dennoch die Balance. Man hört diesen Figuren zu, man folgt der Geschichte bis zum emotionalen Höhepunkt, jener legendären Szene, wenn die Klasse sich aus Solidarität mit dem unkonventionellen Lehrer auf ihre Tische stellt. Das Publikum, dem in großen Teilen der Ausgang des Plots bekannt sein dürfte, ist durchweg gebannt dabei.

Sadistischer Direktor, destruktiver Vater: eine ganze Bandbreite toxischer Männlichkeit

Das liegt zum einen an der Intensität des Spiels und der auffallend starken Besetzung: Neben Tobias Dürr sind insbesondere Johan Richter als glühender Theaterenthusiast Neil Perry und Celio-Silvestre Tamele als zunächst schüchterner, schließlich kraftvoll impulsiver Todd Anderson (der im Film von dem jungen Ethan Hawke gespielt wurde) hervorzuheben. Baran Sönmez, Tim Jesse Koch und Tobias Gebhard zeigen ihre Kommilitonen mit ebensolcher Leidenschaft, Präsenz und Genauigkeit.

Ulrich Bähnk glänzt gleich doppelt unsympathisch: als sadistischer, offen gewaltbereiter Direktor und als verkniffener, nicht weniger destruktiver Vater, der seinem Sohn nicht einmal in die Augen blicken kann, während er aus einem eigenen Minderwertigkeitskomplex heraus Gehorsam und Unterwerfung verlangt. Eine ganze Bandbreite toxischer Männlichkeit, die man in dieser Schamlosigkeit altmodisch finden kann. Ob das Prinzip dahinter jedoch so überwunden ist, wie man bisweilen hoffnungsvoll meint, darauf dürfte nicht jede Gesellschaft dieselbe Antwort finden.

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Nicht zuletzt ist „Der Club der toten Dichter“ ein lebendiges, ausgelassenes Plädoyer für die unbedingte Freiheit der Kunst, die es auch heute noch aktiv zu sichern gilt. Das Stück macht die Angst des Autoritären vor der Freiheit sichtbar, insbesondere vor der Freiheit und Veränderungsmacht von Kunst, Sprache und Kultur, vor der ihr eigenen Hoffnung und Zuversicht. Und es zeigt damit, welche Kraft darin liegt.

Beim Publikum stößt das am Altonaer Theater auf einhellige Begeisterung: Standing Ovations und lang anhaltender Applaus für ein Stück, dem man ganz unbedingt viele Zuschauerinnen und Zuschauer wünscht.

„Der Club der toten Dichter“ am Altonaer Theater, zahlreiche Termine zunächst bis zum 26. Oktober, Karten unter www.altonaer-theater.de