Hamburg. Bjarne Mädel und Cordula Stratmann mit einem fröhlichen Abend rund ums Thema Beleidigung. Auch Hamburg bekam sein Fett weg.

Beim Fest der Liebe droht ja mitunter der ein oder andere angestaute Konflikt aufzubrechen. Dass der Schauspieler Bjarne Mädel und die Humoristin Cordula Stratmann also kurz vor Weihnachten zu einem fröhlichen Abend rund um das Thema Beleidigung einladen, kommt quasi einer präventiven Reinigungskur gleich. Eine Art beherzte Vorab-Katharsis, damit es unterm Tannenbaum entspannter zugehen möge. Und nicht nur dort.

Bjarne Mädel und Cordula Stramann in der Laeiszhalle war komplett ausverkauft

Mit wohl dosierten Beschimpfungen wollen die beiden eine „Desensibilisierung‟ herbeiführen, um einer sich insgesamt laut und aggressiv hochschraubenden Empörungskultur entgegenzuwirken. Erst recht hierzulande, wie Stratmann ausführt. Neid und Entrüstung hielten sich in unserer Gesellschaft in etwa die Waage. Die Deutschen regen sich halt gerne auf, sinnieren und lachen aber offenbar ebenso gerne über diesen Umstand. Die Veranstaltung in der Laeiszhalle mit dem pointierten Titel „Sie mich auch!“ ist ausverkauft. Und zum Schluss gibt es, nach gepflegter Publikumsbepöbelung, heftigen Jubel und Standing Ovations.

Der Abend ist ein Mix aus Lesung, Comedy und Gruppentherapie. Mit fremden Schmähschriften, selbst erdachten Frotzeleien und konkreten Tipps, um nicht permanent in die Echauffierungsfalle zu tappen. Und die muntere Kabbelei beginnt bereits, als Stratmann und Mädel auf die Bühne kommen. Beide in Schwarz gekleidet. Mädel wie gewohnt bärtig und leicht verknautscht. Stratmann mit markant blondem Kurzhaar und wunderbar süffisantem Blick. Eine gute Kombi.

Ist eine Beleidigung womöglich Ansichts- und Interpretationssache?

Exemplarisch spielt das Bühnen-Duo durch, wie sich so ein Streit „hochjazzen“ kann. Von der höflichen Attacke „du Gesäß“ (Stratmann) zum schon etwas derberen „Pferdegesicht“ (Mädel), vom Schmollen über Tränen bis zur Versöhnung samt Umarmung. Im Anschluss versuchen die beiden dann einen Perspektivenwechsel. Ist eine Beleidigung womöglich Ansichts- und Interpretationssache? Er reite schließlich gerne, laviert sich Mädel hinaus. Und Pferde seien ja auch sehr schöne Tiere.

Die zwei votieren dafür, eine blöde Bemerkung auch einfach mal hinzunehmen. Denn, so Mädel: „Beleidigungen sind manchmal ein verrutschtes Kompliment.“ Und Stratmann betont, dass sie sich nicht nur jenen widmen wollen, die beleidigen. Sondern vor allem denen, die beleidigt sind. Denn die würden die Atmosphäre oftmals wesentlich langfristiger vergiften.

Cordula Stratmann sitzt in der Laeiszhalle aufs Schönste sauertöpfisch und pikiert daneben

Eine komplexe Gemengelage, bei der es auch darum geht, nicht sofort über jedes verbale Stöckchen zu springen, das einem hingehalten wird. Der Stresstest folgt für die passionierte Rheinländerin Stratmann auf dem Fuße. Denn Mädel liest Rolf Dieter Brinkmanns herrliche Hasstirade auf Köln. Ein „verpestetes Stückchen Erde in Westdeutschland“ sei die Domstadt, heißt es in „Fratzen in der Straßenbahn“. Stratmann sitzt aufs Schönste sauertöpfisch und pikiert daneben.

Überhaupt zieht sich das Motiv der Städte-Beleidigung wie ein feiner böser Faden durch den Abend. Von Augsburg, an dem Thomas Bernhard kein gutes Haar lässt, bis hin zu Brake (Unterweser), das Mädel jüngst als besonders trostlosen Drehort lobte. Im Oldenburger Land sorgte die Aussage zunächst für Verdruss, bis das örtliche Tourismusbüro daraus einen Postkarten-Slogan machte. Mitunter ist ein Kompliment eben auch eine verrutschte Beleidigung – und dann eine Marketingidee. Furor und Frust als Motor sozusagen.

Die beiden empfehlen sehr, nicht immer zwingend sofort „zurückzuarschen“

Vehement sprechen sich Mädel und Stratmann allerdings gegen all die vielen kleinen passiv-aggressiven Gesten aus, mit denen die Menschen andere im Alltag abschätzen. Besonders im Visier: das Kopfschütteln. Wenn sich etwa an der Bushaltestelle jemand vermeintlich zu nah eine Zigarette ansteckt. Sofort entlädt sich die innere Rechthaberei in einer entnervten Hin-und-Her-Bewegung. Die beiden raten dazu, den eigenen Kopf oder auch den von anderen in einem solchen Fall einfach mit den Händen an den Schläfen festzuhalten, bis diese missgünstige Gewohnheit abtrainiert ist. Großes Amüsement im Publikum.

Unterhaltsam und doch auch nachdenklich loten Stratmann und Mädel vor allem zwischenmenschliche Kränkungen aus. Heftig debattierte Beleidigungsbereiche von Internet-Shitstorms bis hin zu Cancel-Culture scheinen eher ein Hintergrundrauschen für diesen Abend zu sein, werden aber nicht ausführlich thematisiert. Die beiden empfehlen sehr, das eigene Ego auch einmal ruhen zu lassen und nicht immer zwingend sofort „zurückzuarschen“. Zudem plädieren sie unbedingt dafür, auf eine aufrichtige Entschuldigung kein „aber“ folgen zu lassen.

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Der Abend lebt von der Dynamik zwischen Stand-up-Comedy (eigentlich Sit-down-Comedy am Tisch mit Wasserglas) und richtig gut vorgelesenen Texten. Wenn Mädel etwa Tschechows Kurzgeschichte „Der Tod des Beamten“ vorträgt und sich dabei immer mehr in einen eskalierenden Fauxpas hineinsteigert, macht das schlichtweg großen Spaß.

Bjarne Mädel und Cordula Stratmann warten mit ultimativer Übung auf

Gegen Ende müssen lokalpatriotisch Veranlagte dann noch einmal ganz tapfer sein. Denn Stratmann und Mädel warten mit einer ultimativen Übung auf. Nach einer Beschimpfung einfach ohne Trotz sagen zu können: „Das macht mir nix.“ Für jede Stadt auf ihrer Tour haben sie sich dafür eigens eine hübsche Beleidigung ausgedacht. Das Hamburger Publikum sehe aus, „als wären alle mit dem Bus aus Pinneberg gekommen“. Puh. Das muss man aushalten können. Der letzte Satz der beiden grandiosen Gastgeber stimmt dann jedoch versöhnlich: „Was du nicht willst, das man dir tut, das füg‘ auch keinem anderen zu.“ Dann kann das Fest der Liebe ja kommen.