Hamburg. Der blanke Luxus: Die Wiener Philharmoniker in der Elbphilharmonie, mit Christan Thielemann und Werken von Mendelssohn und Strauss.

Geht es an – natürlich umjubelten – Abenden wie diesem in der Elbphilharmonie wirklich noch um mehr als darum, zum x-ten Mal die eigene Stargast-Großartigkeit vorzuführen? Geht es bei dieser Premium-Lieferung von Markenartikeln noch um das spontane Entdecken musikalischer Möglichkeiten, eine vielleicht nur momentweise, ansatzweise spürbare Überforderung oder wenigstens hier und da einen Überraschungsreiz im Hier und Jetzt? Wenn die Wiener Philharmoniker mit einem dieser Nummer-sicher-Programme auf Tournee gehen, das sie garantiert auch unfallfrei hinbekämen, nachdem man sie mitten in der Nacht aus dem Tiefschlaf reißt und noch halbwach ins nächstbeste Rampenlicht schiebt – dann wird man das schon mal fragen dürfen.

Mendelssohns „Schottische“ Sinfonie und Strauss‘ „Heldenleben“, eine romantisierende Klangpostkarte und eine mit Riesenbesetzung spektakelnde Ego-Vertonung, mit dem Klangvergolder Christian Thielemann als Ehren-Wiener, diese Kombination klingt sehr nach routiniertem Einschalten der ganz großen Autopilotfunktion zu Konzertbeginn. Und, nebenbei bemerkt, auch nach einem Luxusproblem, das die meisten anderen Orchester sehr gern hätten.

Elbphilharmonie: Thielemann und Wiener Philharmoniker mit nobler Maßarbeit

Wie menschlich also, so gesehen, dass es zumindest einige wenige Ausrutscherchen gab, die dem Unfehlbarkeits-Nimbus dieses Orchesters kleine Schönheitsfehler verpassten. Damit man, etwa einen halben Takt lang, wieder bemerken konnte, dass der Perfektionsgrad drumherum harte Arbeit gewesen sein muss, bis diese Erfolgsmaschine wieder so rundläuft, als hätte man sich den Stolperer eben wohl nur eingebildet.

Schade deswegen, dass man in Konzerten nicht kurz zurückspulen kann, um nachzuhören, wie geschickt und schnell die Holzbläser sich im stimmungsvollen Beginn des Mendelsohn-Kopfsatzes fingen, nachdem sie ihren ersten Einsatz nur irgendwie bekamen, aber nicht auf den Punkt. Als Entschädigung und Entschuldigung servierte Daniel Ottensamer das erste kurze Solo-Klarinetten-Glanzlicht einfach noch schmucker.

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Daniel Ottensamer: „Meine Kinder glauben, alle Menschen spielen Klarinette“

Erstklassisch mit Mischke

Auch die kleine Unsicherheit im Trompetensatz, mittendrin im „Heldenleben“, bei einer der vielen knackig zu schmetternden Fanfarenmotive: hoppala, nur ganz knapp vorbei an der Ideallinie, dann aber sofort wieder im Kollektiv zurechtjustiert. Spielen selbst bei den Wienern ist dann doch menschlich, sagen einem solche Momente.

Thielemann musste unterdessen, warum auch, bei diesem Programm um nichts mehr kämpfen. Größere Anstrengungen waren nicht vonnöten. Was er noch zu vermitteln hatte, waren vor allem seine Tempovorstellungen, dieses sanft spürbare Anziehen und Herauszögern, die Steigerungen in der Dramatik, das dezente Ziehen nach vorn. Wie ein Schatzgräber schöpfte er dabei das viele Schöne von unten nach oben, mit Bewegungen, die eher klein und unklar blieben, weil großräumiges, straff erzieherisches Echauffieren auf diesem Niveau ein Gesichtsverlust wäre. Thielemanns Linke flatterte vage umher, der Rest fand sich auch so.

Strauss liegt Thielemann wie kaum jemandem sonst

Den ganzen großen Rest, erst recht im Strauss, erledigten die Wiener nämlich schon schön selbst: Das Fast-Dutzend Hörner im „Heldenleben“ funkelte; die Es-Klarinette ging in diesem „Erkennen Sie die Melodie?“-Sammelalbum mit etlichen Strauss-Selbstzitaten wie ein vorwitziges heißes Messer durch die Butter; der Kollege an der Großen Trommel klopfte frohgemut seine Triolen gegen den Marsch-Rhythmus. Und Philharmoniker-Konzertmeister Rainer Honeck holte mit einer gepflegten Klangsüße und lässigen Selbstverständlichkeit zu seinen Soli aus, für die manche andernorts einen Virtuosen dazubuchen müsste, weil Konzertmeister in diesem Stück zu sehr nach Konzertmeister mit Nervenflattern klingen würden.

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Satt und süffig war der Klang, den die Wiener und einer ihrer Lieblingsgäste gemeinsam produzierten. Für den Mendelssohn alles in allem etwas zu schwer, zu viel Goldkante, zu sehr auf den frühen Wagner schielend, etwas zu undurchhörbar in der Struktur. Beim Strauss aber, der Thielemann generell liegt wie kaum jemandem sonst, war man sich einig: wenn schon dieser Strauss, dann aber so. Und, bittschön, von uns.

Nächstes Elbphilharmonie-Konzert der Wiener Philharmoniker: 17. Dezember: Mahler 6. Sinfonie, Klaus Mäkelä (Dirigent), Restkarten unter T. 35 35 55 oder www.elbphilharmonie.de