Hamburg. Brahms‘ 2. Klavierkonzert und seine Dritte mit Igor Levit, Christian Thielemann und den Wiener Philharmonikern in der Elbphilharmonie.
Die Wiener Philharmoniker mit zwei Publikumslieblingen des Wahlwieners Johannes Brahms? Selbstgänger, diese Kombination, darauf käme so ziemlich jeder, bei dem eins und eins zwei ist. Aber Igor Levit, der sehr jetzige Impuls-Individualist, und Christian Thielemann, gern als vor allem gestrig in der Schublade „straffer Kapellmeister ganz alten Schlags“ einsortiert, gemeinsam auf einer Bühne, ob nun mit den Wienern oder einem anderen Spitzenorchester?
Glaubt man erst, dass das unfallfrei gut gehen kann, wenn man diese speziellen Charaktere tatsächlich gemeinsam erlebt. Und dann dabei erleben kann, wie gut und geschmeidig sie harmonieren, mit klar verteilten Weisungsbefugnisrollen und ohne auch nur einen Hauch von Ego-Reibereien. Hier könnten sich zwei gefunden haben. Das 2. Brahms-Konzert haben sie bereits eingespielt, eine kleine Live-Auswärtsrunde damit brachte sie alle und die Dritte nun auch – doppeltes Heimspiel in der Geburtsstadt des Hamburger Ehrenbürgers – in die Elbphilharmonie.
Elbphilharmonie: Man brahmst nur mit dem Herzen gut
Andere Pianisten drehen bei Brahms Zwei gern frontal voll auf, gehen dann auf direktem Weg in den Lufthoheits-Clinch mit dem Dirigenten und spielen, wie im Tunnel, nur auf Sieg. Levit, Überraschung!, nicht. Der ordnete sich nicht nur ins Gesamtgeschehen ein, sondern auch dankbar und dezent unter. Viel Augenkontakt zu Thielemann brauchte es dazu nicht, ihr Rücken-Schulter-Kontakt regelte bereits sehr viel, die beiden waren intuitiv auf einer geradezu feinschmeckerischen Interpretationslinie unterwegs, die weitestgehend vom fast drei Jahrzehnte älteren Thielemann vorgegeben wurde, vorbei an allen Reibungsmöglichkeiten.
- Elbphilharmonie: Wiener Philharmoniker – was für ein Orchester, was für ein Klang
- Dirigent Thielemann vor Rückkehr nach Bayreuth
- Elbphilharmonie: Orchestrales Schaulaufen - Christian Thielemann erzählt von Mahler
Klar hörbar war, wie viel Bewunderung und demütigen Respekt Levit vor diesem Repertoire und diesem Kollegen hat, wie sehr er offen ist für dessen Wegweisungen und Erfahrungen, um sich hineinzuspielen in Brahms‘ oft leicht vernebelte Einzelgänger-Welt. Von Levit kam vor allem klug dosiertes Understatement, ohne forcierte Härten oder ruppiges Durchgaloppieren. Geschwindigkeitsrekorde um des Eifers willen wollte weder der eine aufstellen noch der andere durchgehen lassen. Die heftigen pianistischen Herausforderungen, die Brahms reichlich verabreicht, nahm Levit geradezu spielerisch leicht, alles andere ungemein ernst.
Thielemann konnte unterdessen (und später in der 3. Sinfonie) noch besser und aufregender tun, wonach ihm war: die Wiener Philharmoniker als die Wiener Philharmoniker glänzen lassen. Mit großem Erzählatem ins Träumen geraten oder mit energischem Zugriff Drama und Tempo hineinbringen.
Elpbhilharmonie: Igor Levit und die Liebeserklärung an Brahms
Alles gar kein Problem – mit einem Handgelenksschlenker bekommt man, wenn die alle mitmachen mögen, dieses Orchester dazu, mal eben enorme Intensitätsreserven auffunkeln zu lassen, um im nächsten Moment wieder in feinstes, detailklares Raunen abzutauchen. Weil sie es nun mal können wie andere Radfahren. Natürlich war dann auch das Cello-Solo im Andante des Klavierkonzerts ein sanftes Küsschen auf die Ohrmuschel. Levit revanchierte sich in diesem Satz mit einer weiteren leisen Liebeserklärung an Brahms, auch als Zugabe konnte es nur einen geben. Eben. Das späte, bittterzarte Es-Dur-Intermezzo aus op. 117.
Ohne Solopianisten waren die Wiener und der Preuße noch nicht in Gedanken beim gemeinsamen Neujahrskonzert im Goldenen Saal des Musikvereins, sondern mit der 3. Sinfonie in einer wunderbaren Inszenierung dieser Musik vereint. Das Orchester glänzte mit lässig ausgereizter Disziplin. Die Streicherbegleitung fast bis auf null reduzieren, um im Kopfsatz die Holzbläser sanft schimmern zu lassen? Immer nach vorn wollen, aber sich nicht hetzen? Habe die Ehre, bitte sehr, bitte gleich. Und so formvollendend und packend bitte gern bald wieder.
Orchester glänzt mit lässig ausgereizter Disziplin: bitte gern bald wieder
Nächste Levit-Konzerte: 2./4./9.2. Bartók-Klavierkonzerte mit dem NDR Elbphilharmonie Orchester und Alan Gilbert, evtl. Restkarten. Aktuelle Alben: Igor Levit „Mendelssohn: Lieder ohne Worte“ (Sony Classical, nur digital, CD erscheint am 26.1.), Erlöse aus diesem Album gehen an zwei deutsche Organisationen, die Antisemitismus bekämpfen, spenden – die OFEK Beratungsstelle bei antisemitischer Gewalt und Diskriminierung und die Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus e.V. / Igor Levit „Fantasia“ (Sony Classical, CD, ca. 18 Euro). Christian Thielemann/Wiener Philharmoniker „Complete Bruckner Symphonies Edition“ (Sony Classical, 11 CDs, ca. 70 Euro).