Elmshorn. „Bella Italia“: Der designierte Generalmusikdirektor bei einem SHMF-Konzert mit Mendelssohn, Jazz und italienischen Volksliedern.
„Wie alles im Leben beginnt es normal und danach: verrückt …“ Mit diesem O-Ton des Dirigenten wäre eigentlich alles gesagt über diese wirklich nur ganz, ganz leicht verschrobene Konzertidee, in die Omer Meir Wellber die Programmplaner des Schleswig-Holstein Musik Festivals (SHMF) offenbar überrumpelnd virtuos hineingequatscht hat. Genau ein Jahr ist das nun her. SHMF-Dramaturg Frank Siebert eröffnete deswegen seine Begrüßung in der Elmshorner Reithalle mit einer eher ungewöhnlichen Ansage – er könne nichts zu dem Programm sagen. Man habe da wohl die Katze im Sack eingekauft. Den Pianisten kannte man beim SHMF übrigens vorher auch nicht.
Diese Katze, die der designierte Hamburger Generalmusikdirektor dem SHMF für dessen diesjährigen Venedig-Schwerpunkt für zwei Termine kreativ angedreht hatte, das war eine Promenaden-Mischung aus Mendelssohns „Italienischer“ Sinfonie mit klassischen Schmachtfetzen aus der ewigen Bella-Italia-Jukebox. Mit Meir Wellber – als schwungvoll ausholender Dirigent, leidenschaftlicher Akkordeonist und auch hingebungsvoller Mit-Sänger.
Omer Meir Wellber mit Mendelssohn und Hits der Bella-Italia-Jukebox
Mit dem Jazz-und-sonst-was-Pianisten Guy Mintus, den man sich für solche Fälle durchaus merken sollte. Und, last but not least einer fidel mitspielenden Orchesterchen-Delegation der Wiener Volksoper – jenes Hauses also, von dem sich Meir Wellber Ende 2023 vorzeitig aus der Führungsetage verabschiedet hatte, um damit mehr Freiraum für seine Planungen für den Posten an der Hamburger Dammtorstraße zu haben. All das in einer Reithalle mit Reithallen-Akustik und gehörig in der Luft liegendem Pferde-Aroma, in der ein Schild am Eingang die Gäste rot unterstrichen ermahnte: „Vor Verlassen der Halle: Abäppeln“. Na dann.
Klar wurde schnell, dass Urtext-Puristen, soweit im Publikum vorhanden, an diesem Abend wohl ganz tapfer sein mussten. Von Anfang an bemühte sich Meir Wellber, der schnell sein lachsfarbenes Sakko ablegte, um im T-Shirt weiterzumachen, gar nicht erst um allzu feine Feinzeichnung irgendwelcher Details, mit denen Mendelssohn sich beim Verfassen honorige Mühe gegeben hatte. Der Raum gab das eh nicht her, und auch die Wiener klangen in dieser Umgebung mitunter mehr wie ein ambitioniertes, in der Balance aber leicht unorganisiertes, fideles Schulorchester – wobei, ganz klar, nichts gegen fidele Schulorchester.
Dieses Postkärtchen aus Italien hatte jedenfalls ausschließlich strahlend satte Farben, das war kein verträumtes Aquarell eines Bildungsreisenden. Schon kurz nach der flotten Besichtigung des ersten Themas mischte sich erstmals auch Mintus vom Flügel aus in die Original-Partitur ein, während Meir Wellber sich das Akkordeon umschnallte. Zunächst bog Mintus mal kurz Richtung Gershwin ab, um die Raumtemperatur zu testen, dann aber – viel hilft viel – musste es als erste Wegmarke gleich eine Runde „O sole mio“ sein. Das Akkordeon schmachtete los, vor dem inneren Auge tauchte schon nach wenigen Takten eine Korbflasche mit Chianti auf und daneben Susi und Strolch beim verliebten Pasta-Zuzzeln im Mondlicht. Ab diesem Punkt ging das breite Grinsen im Gesicht dann auch nicht mehr weg.
Nach diesem Rezept ging es weiter durch die Vorlage. Mal nutzte Mintus eine rhythmische Idee als Gärteig für eine locker dazwischengeschobene Improvisation, mal nahm er einen Kadenz-Akkord einer Themenidee als Startblock für fröhliches Drauflosfantasieren.
„Herze“ reimte sich ganz doll auf „Schmerze“
Im Andante, melancholisch leicht verdunkelt, wurde aus dieser Gemengelage etwas, das auch als unverfilmter Fellini-Soundtrack durchaus bella figura gemacht hätte. Keine ganz genaue Ahnung, welches venezianische oder neapolitanische Volkslied zitiert wurde, auf jeden Fall aber reimte sich in dieser Stimmung das „Herze“ ganz doll auf den „Schmerze“, Meir Wellber scharwenzelte mit seinem Akkordeon gern hinein.
Letzter Mendelssohn-Gang, das Saltarello-Presto. Weil dieser Springtanz-Rhythmus seine Heimatwurzeln in und um Neapel hat, musste es ganz unbedingt auch eine Prise Pavarotti dazu. Der stammte zwar aus dem viel nördlicheren Modena, aber scusi, Italien ist ja wohl überall immer noch Italien. „Funiculì, funiculà“ also, Neapels inoffizielle Nationalhymne; Mintus drehte ein weiteres Mal auf, als wollte er einen Art-Tatum-Double-Wettbewerb gewinnen. Längst hatte die gesamte Reithalle ein sehr italienisches Gefühl, auch auf der Bühne amüsierte man sich mächtig mit diesem Kreuz und Quer.
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Es konnte also, bei so viel Jubel in der Halle, danach nicht bei nur einer Zugabe bleiben. In der ersten, der „Pizzicato-Polka“ der Gebrüder Strauß, erinnerten die Wiener mit viel Schmäh daran, von woher sie angereist waren. In der zweiten setzte Meir Wellber, der dafür schnell von der Bühne gehuscht war, einen interessanten, zartbitteren Kontrapunkt: Das Tutti intonierte den sofort anrührend melancholischen Comedian-Harmonists-Klassiker „Irgendwo auf der Welt (gibt’s ein kleines bisschen Glück)“, Meir Wellber setzte zunächst von ganz hinten im Saal mit dem Akkordeon ein und setzte sich danach auf die Bühnenkante, um mit Mintus und einem Orchester-Bassisten noch etwas zu jammen. Es kann also wohl durchaus auch sehr heiter werden, sobald Omer Meir Wellber 2025 in Hamburg in Amt und Würden ist.