Hamburg. Thalia, Schauspielhaus und Oper sagen Saisonstart aus Protest gegen Sparpläne ab, hieß es. Aber: ein Fake. Wie einer der Intendanten reagiert.

Der Donnerstagmorgen begann, sagen wir mal: interessant. Die drei Hamburger Staatstheater (Thalia, Schauspielhaus, Staatsoper) schickten Absagen ihrer Spielzeit-Eröffnungspremieren, unmittelbar vor der Theaternacht und vor der Spielzeiteröffnung am Thalia Theater, als Protest gegen die Kürzungen der Berliner Regierung im Kultursektor. Diese Mail erreichte auch die Abendblatt-Redaktion um 8.34 Uhr, aus heiterem Himmel.

Hamburger Theater von Ankündigung überrascht: Alle Premieren abgesagt?

„Aus Solidarität mit den freien Darstellenden Künsten werden die Koalitionsparteien und die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien aufgefordert, eine dringend notwendige Korrektur des Haushalts 2025 vorzunehmen“, hieß es in der Mail. Im Anhang: Fotos von sehr authentisch wirkenden Plakaten in Schaukästen mit entsprechenden Aushängen, dazu ebenso echt wirkende Pressemitteilungen mit Statements aus den jeweiligen Führungsetagen. 

Nina Kronjäger in der ARD-Talkshow hart aber fair im WDR Fernsehstudio A. Köln, 02.12.2019 *** Nina Kronjäger in the AR
Nina Kronjäger wird als Interviewpartnerin zum Thema Kürzungen bei den freien Darstellenden Künsten angeboten. © imago images/Future Image | Jens Krick via www.imago-images.de

Aber: ein Fake. Ein sehr gut gemachter Fake. Der die Staatstheater-Pressestellen kurz nach dem Frühstück ebenso kalt erwischte wie den Pressesprecher der Kulturbehörde. Die ersten Reaktionen: Stimmt natürlich nicht, wir wissen von nichts. Hintergrund sind die Sparpläne des Bundes, die Mittel für den Bereich der freien Darstellenden Künste im Entwurf des Bundeshaushalts 2025 massiv zu kürzen. Gegen diese Überlegungen hatte es bereits bundesweit Proteste unter prominenter Beteiligung gegeben – nun also auch mit dieser Aktion in Hamburg.

Die offizielle Meinung der Kulturbehörde dazu folgte gegen Mittag: „Die offensichtlich falschen Meldungen über die angebliche Absage der Spielzeiteröffnungen sind Teil der zahlreichen Proteste gegen die Kürzungspläne des Bundes im Haushalt für die Freie Szene. Auch der Kultursenator hat sich bereits mehrfach deutlich beim Bund dafür eingesetzt, dass die dortigen Kürzungspläne rückgängig gemacht werden. In Hamburg steigt der Kulturhaushalt nach den derzeitigen Planungen im kommenden Jahr um 11 Prozent. Das kommt sowohl den Theatern, als auch der Freien Szene zugute. In beiden Bereichen steigt die Förderung. Wir brauchen gleichermaßen eine lebendige und vielfältige Freie Szene und starke Staatstheater. Wir reagieren auf die Kürzungspläne des Bundes aber nicht mit der Absage von Kunst. Insofern freuen wir uns auf die nun anstehenden Spielzeiteröffnungen und werden uns weiter beim Bund dafür stark machen, dass der Bund die Kürzungspläne in der Freien Szene rückgängig macht.“

Saisonstart vermeintlich abgesagt. Freie Szene protestiert mit subversiver Aktion

Erster, aber überdeutlicher Hinweis, dass es sich hier um eine Art Guerilla-Aktion handelt: Als Ansprechpersonen für Presseanfragen werden „Interviewpartner*innen zum Thema Kürzungen bei den freien Darstellenden Künsten“ angeboten: Nina Kronjäger, Theater- und Filmschauspielerin, Heinrich Horwitz, Regisseur*in, Performer*in und Initiator*in der Petition „An der freien Szene zu sparen kostet zu viel“, sowie Ted Gaier, Musiker bei den Goldenen Zitronen und Mitglied des subversiven Agitprop-Kollektivs Schwabinggrad Ballett.

Senator Dr. Carsten Brosda
Hamburgs Kultursenator Carsten Brosda (SPD) wusste zunächst nichts von der Aktion.  © Marcelo Hernandez | Marcelo Hernandez

Thalia-Intendant Joachim Lux soll laut Guerilla-Pressemitteilung gesagt haben: „Wir sind uns als renommiertes Hamburger Haus unserer Verantwortung für die Darstellenden Künste sehr bewusst und haben daher entschlossen, uns gemeinsam mit anderen großen Hamburger Kulturinstitutionen für die Rücknahme der Kürzung einsetzen.(…) Gerade in Zeiten, wo rechtsradikale Parteien wieder in Landesparlamente einziehen und sich die Grenze des Unsagbaren deutlich verschoben hat, brauchen wir die Heterogenität und Diversität der Freien Szene, um auf aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen zu reagieren und die Diskurshoheit nicht den ewig Gestrigen zu überlassen.“ 

Seine tatsächliche Meinung dazu klingt etwas anders, aber nicht unsolidarisch: „Für spontaneistische Guerilla-Aktivismus dieser Art habe ich viel Sympathie: einfach das Thalia Theater kapern, die Spielzeit absagen und erfundene Zitate von Joachim Lux unautorisiert an die Medien durchreichen! Chapeau! Ich authorisiere hiermit ausdrücklich das von Live Art Hamburg verwendete Fake-Zitat. Es könnte von mir stammen. Es ist in der Tat schwer erträglich, dass ausgerechnet der Freien Szene, die die Coronazeit nur mit Müh und Not (und Hilfe) überlebt hat, jetzt mit den Kürzungen der Bundesregierung der Boden unter den Füßen weggezogen wird. Warum sollen eigentlich alle leiden, nur weil ein Finanzminister immer verzweifelter um sein politisches Überleben kämpft? Der Schwanz darf nicht länger mit dem ganzen Hund wedeln. Unsere Spielzeiteröffnung am kommenden Sonntag findet natürlich statt. Theater aus Protest abzusagen war, bei aller Sympathie für die Freie Szene, noch nie eine gute Idee. Aber wir werden Vertreterinnen und Vertreter der Freien Szene gern zur Spielzeiteröffnung einladen. Melden Sie sich doch bitte gern im Vorfeld, vielleicht fällt uns gemeinsam etwas ein, wie wir Ihnen eine Stimme geben können.“

Die Staatsoper-Pressestelle beschränkte am frühen Nachmittag ihre Reaktion darauf, sich den Äußerungen der Kulturbehörde anzuschließen. Ähnlich reagierte das Schauspielhaus, wo dessen Intendantin Karin Beier gerade in Endproben steckt; man verwies ebenfalls auf die Aussage der Kulturbehörde „und freut sich auf das Eröffnungswochenende vom 20. bis 22. September mit insgesamt vier Premieren.“ 

Ted Gaier erklärte unterdessen zu der Aktion: „Damit habe ich nicht direkt was zu tun. Ich habe ja auch schon öfters ähnliche Sachen gemacht, aber glauben Sie es oder nicht, ich war nicht eingeweiht. Mir wurde nur gesagt, da kommt was und ob ich für Nachfragen zur Verfügung stünde. Wer die super Idee hatte, verrate ich natürlich nicht, ist ja auch egal, es geht um die Sache, für prekäre freischaffende Performer:innen sind das existenzbedrohende Maßnahmen.“ Seine Meinung zu den detailliert imitierten Plakaten von Schauspielhaus und Thalia: „Schön. Sehr schön gemacht.“ Lux‘ positive Reaktion fand der Musiker, Theatermacher und Aktivist ebenfalls erfreulich: „Dann hat das ja schon mal ganz gut hingehauen… der Lux ist ja auch wirklich ein Luchs.“ Hinterher „Das hätte auch von mir sein können“ zu sagen, sei „das Geschickteste, was er machen kann. Das Problem ist nur, dass wir als Ideengeber:innen für Ästhetiken, die irgendwann immer in den großen Häusern landen, eigentlich nie Solidarität aus den Stadttheatern bekommen, wenns ums Geld geht.“ Gaiers Einschätzung, ob diese erste Aktion womöglich nicht die einzige bleiben wird: „Ich schätze mal, dass die Aktion zum Ziel hat, Vorbild für ähnliche Aktionen in anderen Städten zu sein. Wäre ja schön, wenn da was käme. Bei anderen gesellschaftlichen Debatten wird von uns oft immer Gemeinsamkeit eingefordert, wenn es z.B. gegen rechts geht. Wer aber dafür bezahlt wird und wer nicht – da gibt es große Unterschiede.“

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In den vermeintlichen Pressemeldungen heißt es unisono: „Die Spielzeiteröffnung 2024/25 ist wegen Kürzungen im Kultursektor bis auf Weiteres verschoben! Wir verzichten außerdem aus aktuellem Anlass auf die Teilnahme an der Theaternacht am kommenden Samstag, den 14. September 2024. Zusammen mit dem Aktionsbündnis Darstellende Künste fordern wir die Vertreter*innen in der Politik auf, eine nachhaltige Weiterführung von Förderangeboten für die freien Darstellenden Künste seitens des Bundes zu gewährleisten. Aus Solidarität mit den freien Darstellenden Künsten werden alle Premieren im September bis auf weiteres abgesagt. Bereits gekaufte Karten behalten ihre Gültigkeit.“ Danach folgen Informationen und Begründungen für den Protest gegen die Sparpläne aus Berlin.

Am Ende der Pressemitteilungen wird – jeweils passend zur Absender-Adresse – auf eine Internetseite verwiesen, die zu einer Online-Petition unter dem Titel „An der freien Kunst zu sparen, kostet zu viel!“ weiterleitet.