Hamburg. Der Hamburger Schauspieler feiert seinen 75. Geburtstag. Ein Gespräch über das Mögen von Menschen, die AfD, Adenauer und Sendungsbedürfnisse.

Zum Gespräch im Ottenser Café möchte Burghart Klaußner lieber ganz hinten sitzen. Dort, wo die Nebentische nicht besetzt sind, wo keine Passanten vorbeischlendern. Keine Aufmerksamkeit erregen, bitte, hier kein Mittelpunkt sein.

Eine überraschende Scheu für einen, der auf den Bühnen und der Leinwand (etwa in „Das weiße Band“ und der Netflix-Serie „The Crown“) auch international erfolgreich ist, der sich ebenso souverän auf Film- und Theaterpremieren bewegt, einen Roman geschrieben hat, mit Verve Laudationen hält, der reflektiert, meinungsstark und engagiert ist (und dem dafür 2021 vom Bundespräsidenten der Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland verliehen wurde). Am Freitag feiert der Hamburger Schauspieler und Vizepräsident der Freien Akademie der Künste seinen 75. Geburtstag. Grund genug für Kaffee und Croissant, einen Blick auf die Branche und die deutsche Geschichte – und eine kleine Zwischenbilanz des eigenen Wirkens.

Sie haben mal gesagt, Sie seien Schauspieler geworden, weil Sie die Menschen so mögen. Empfinden Sie das mit fast 75 Jahren immer noch so? Oder sind Sie reservierter geworden gegenüber unserer Spezies?

Burghart Klaußner: Je mehr Leute man kennenlernt, desto mehr weiß man. Und desto wählerischer wird man womöglich auch. Aber man muss sich hüten vor Vorurteilen!

Schauspieler Burghart Klaußner
Burghart Klaußner lebt in Hamburg, spielt unter anderem in Düsseldorf Theater und hat gerade einen Film über Adenauer abgedreht. © picture alliance/dpa | Christian Charisius

Ist es nicht manchmal naheliegender, die Menschen nicht zu mögen? Wenn man so beobachtet, wie sie miteinander und der Welt umgehen?

Ich finde Menschen interessant. Das hat sich nicht geändert. Leute interessieren mich. Ich will herausfinden, was das für Leute sind, die ich spiele.

Burghart Klaußner: „Die Eitelkeit in der Schauspielbranche ist ja manchmal unerträglich“

Sie haben den Generalstaatsanwalt Fritz Bauer gespielt, der konsequent nationalsozialistisches Unrecht verfolgte, aber auch Nazi-Figuren wie Arthur Nebe. Ist Ihnen wichtig, dass man den einen mag und den anderen möglichst nicht?

Darüber mache ich mir tatsächlich sehr viele Gedanken. Aber „mögen“ ist in dem Zusammenhang trotzdem die falsche Kategorie für mich. „Verstehen“, würde ich sagen. Ich möchte, dass man nachvollzieht, was da passiert. Warum ist jemand ein Schwerverbrecher wie dieser Nebe, warum verhält sich jemand wie der Pfarrer im „Weißen Band“, der nach außen unerträglich wirkt, aber eigentlich aus Liebe handelt. Da gewinnt man Erkenntnisse auch für sich selbst. Gerade habe ich einen Spielfilm über die Begegnung von Charles de Gaulle und Adenauer abgedreht.

Sie spielen Adenauer?

Genau. Obwohl ich dem ja nun wirklich nicht ähnlich sehe. Aber die Maske kann viel machen. Ich bin da natürlich auch auf den Dialekt gegangen, nicht so stark wie bei Fritz Bauer, da war es Schwäbisch, hier ist es Rheinisch. Aber letztlich spiele ich natürlich alles von innen. Kai Wessel hat die Regie gemacht, ganz toller Regisseur, sehr schönes Drehbuch!

THE WHITE RIBBON, (aka DAS WEISSE BAND-EINE DEUTSCHE KINDERGESCHICHTE), Burghart Klaussner, 2009. ©S
In Michael Hanekes „Das weiße Band“ spielte Burghart Klaußner einen erschreckenden Pastor. © picture alliance / Everett Collection | ©Sony Pictures/Courtesy Everett Collection

Es fällt auf, dass Sie immer wieder historische Figuren spielen – wie kommt das eigentlich? Haben Sie so eine gegenwartsunabhängige Ausstrahlung?

Ich sehe wohl altmodisch aus. Und das Interesse, das ich für gelebte Geschichte habe, das spielt bestimmt eine große Rolle. Geschichte fasziniert mich. Wenn man herausbekommen will, wohin sich die Gesellschaft bewegt, geht das am besten, indem man auch über die Vergangenheit Bescheid weiß. Man darf nur nicht glauben, dass unweigerlich die Wiederholung dessen kommt, was schon passiert ist.

Ihr Interesse an deutscher Geschichte sei in den vergangenen Jahren gewachsen, sagen Sie. Warum?

Im Laufe meines Lebens, ja. Mich interessiert es immens, wie es zur Aufklärung kam, wie es zur Revolution kam. Das ist doch alles ungeheuerlich, das wüsste ich gern immer genauer.

Burghart Klaußner: „Offen faschistische Filme gibt es ja noch nicht wieder“

Wenn Sie jemanden spielen wie Adenauer, der in einer Zeit gewirkt hat, in der es ganz langsam wieder heller wurde in Deutschland …

… na, es war schon auch eine ganz schön schwierige Zeit. Stalin war voll in der Macht, der Kalte Krieg tobte, der drohende Atomkrieg lauerte immer im Hintergrund. Ich erinnere mich, ich war damals Kind. Ich weiß noch, wie meine Mutter damals sagte, dass es wieder Krieg geben werde, als wieder irgendein Ultimatum ablief – und wie sie bitterlich weinte. Das waren ja ganz reale Gefahren. Trotzdem wurde es heller, das stimmt schon. Die Kriegslust war erschöpft. Mehr als 75 Jahre lang immerhin. Wir haben schon Glück gehabt.

Dreharbeiten zu
Der ZDF-Film „Ein Tag im September“ spielt im September 1958: Frankreichs Premierminister Charles de Gaulle (Jean-Yves Berteloot, 3. v. l.) begrüßt den deutschen Kanzler Konrad Adenauer (Burghart Klaußner, 3. v. r.). © picture alliance/dpa/ZDF | Nico Neefs

Und wenn Sie jemanden wie Konrad Adenauer oder Fritz Bauer spielen, lesen Sie dann alles, was Sie in die Finger kriegen können? Brauchen Sie die Recherche, um eine Figur spielen zu können?

Ich habe natürlich Adenauers Biografie gelesen. Und ich habe mir jede Menge YouTube-Sachen angeschaut! Da kann man schon was erkennen. Vieles aber natürlich auch nicht, gerade Politiker sind ja sehr geschickt darin, Dinge nicht zu offenbaren. Es gibt Grausamkeiten in Adenauers Biografie, von denen viele sicher nichts mehr wissen. Er war zweimal im KZ, seine Frau hat ihn verraten, weil die Gestapo sie mit den Kindern erpresst hat. Sie starb dann später an den Spätfolgen eines Suizidversuchs, den sie aus Scham über den vermeintlichen Verrat unternommen hatte. Unser Film geht um die Aussöhnung mit Frankreich. Adenauers großes Verdienst ist es, Deutschland an den Westen herangeführt zu haben. Das war ein großes Stück Arbeit, denn es gab heftige Widerstände dagegen. Noch heute ist der zentrale Ost-West-Konflikt in Deutschland davon geprägt, dass die Wessis nach Westen blicken und die Ossis nach Osten. Eine ungute Zweiteilung des Denkens in Deutschland. Nun ja, solche Erkenntnisse sind Nebenprodukte der Rollenarbeit.

Ist Rollenauswahl für Sie bisweilen eine politische Angelegenheit?

In einem sehr weiten Sinne schon. Offen faschistische Filme gibt es ja noch nicht wieder, die würde ich natürlich nicht machen.

Die gibt es „noch nicht wieder“, sagen Sie ...?

Ist ja heutzutage alles nicht ausgeschlossen. Ich bin da ziemlich pessimistisch. Auch ratlos. Gestern habe ich von jemandem gelesen, der in einem Wahlkreis lebt, in dem fast alle anderen AfD gewählt haben. Der hat gesagt: „Die Leute sind verrückt geworden.“ So muss man es sich wohl vorstellen. Die Leute sind verrückt geworden. Die halten die Probleme des Lebens nur noch im Extremen für lösbar. Lächerlich.

Burghart Klaußner über die Wahlerfolge der AfD

Mit welchem Gefühl schauen Sie auf Wahlergebnisse wie die in Thüringen und Sachsen? Schock? Wut? Fatalismus?

Mit Ratlosigkeit. Das ist das Wort, das mir dazu als Erstes einfällt. Noch leben wir nicht im Faschismus. Aber die Wahlerfolge der AfD sind natürlich ein Warnschuss. Mehr als das, leider.

Gibt es Schlüsse, die Sie persönlich für sich daraus ziehen? Als Künstler? Als Mensch in der Öffentlichkeit? Der Pianist Igor Levit beispielsweise ist unermüdlich dabei, Menschen „gegen das Schweigen“ zu mobilisieren.

Mehr Theater und Kino in Hamburg

Wenn man mich fragen würde, wäre ich sofort dabei. Natürlich! Aber ich denke, dass auch eine Hölderlin-Lesung der Aufklärung und dem Herzerwärmen dient. Es muss nicht immer explizit agitatorisch sein.

Sie sind ja nicht nur Schauspieler und Schriftsteller, sondern als Vizepräsident der Freien Akademie der Künste in Hamburg auch Funktionsträger. Birgt das eine besondere Verantwortung?

Unser Kultursenator Carsten Brosda hat die Akademie mal „das kulturelle Gewissen der Stadt“ genannt. Das ist vielleicht eine ganz gute Beschreibung. Wir dienen der Bildung und der Aufklärung. Und dem Vergnügen! Ich freue mich, wenn die Leute meine Arbeit mögen, in der Musik, im Theater, im Film, im Fernsehen. Das ist schön zu sehen. Manchmal kriegt man was zurück. Manchmal stochert man im Dunkeln. Aber ich würde schon sagen: Die Arbeit in sich ist die Belohnung. Wobei ich nicht nur den Applaus meine. Der Applaus ist nicht das, worum es geht.

Sondern?

Die Entfaltung von körperlichen und geistigen Möglichkeiten. Das Sich-Ausleben! Das kann man ruhig so sagen. Man sieht doch zum Beispiel an der hochgeschätzten Lina Beckmann, dass sie lebt, wenn sie Theater spielt. Das ist nicht zu übersehen!

Mit Caroline Peters in „Die Unschärferelation der Liebe“ – beide spielten das sowohl am Theater als auch im Kino.
Mit Caroline Peters in „Die Unschärferelation der Liebe“ – beide spielten das sowohl am Theater als auch im Kino. © X Filme | X Filme

Sie proben gerade am Schauspiel Düsseldorf den König Lear – erschrickt man da nicht im ersten Moment: Oha, jetzt bin ich schon beim Lear angelangt?

Sie meinen: Was soll danach noch kommen? Ist doch klar: Danach kann nur der Romeo kommen! (lacht) Aber eigentlich würde ich gern den Woyzeck spielen. In genau diesem Alter. Als einen, der aus seiner Mühle nicht rauskommt. Das würde mir gefallen. Aber erschrocken bin ich gar nicht. Ich bin gespannt! Jeder erste Satz auf einer Probe ist eine echte Herausforderung.

Sie schreiben außerdem an Ihrem zweiten Buch und haben kürzlich gesagt, Sie seien froh, in der Literatur „angekommen“ zu sein.

In der Branche, genau. Im Literaturbetrieb.

Burghart Klaußner: „Man kann über Bücher anders sprechen als über schauspielerische Leistungen“

Warum? Weil die Schauspielerei mehr ein Bauchberuf und die Schriftstellerei mehr ein Kopfberuf ist? Und weil bei Ihnen beides gleichermaßen ausgeprägt ist?

Vielen Dank für die nette Beobachtung. Aber, ja , es ist der Umgang, der ein anderer ist. Die Eitelkeit in der Schauspielbranche ist ja manchmal unerträglich.

Und Eitelkeit begegnen Sie im Literaturbetrieb nicht?

Nicht in demselben Maße. Man kann über Bücher anders sprechen als über schauspielerische Leistungen.

Worüber schreiben Sie denn diesmal?

Darüber sind wir uns noch nicht einig. Der Verlag hätte gern eine Autobiografie. Ich habe es konzipiert als „eine Art Autobiografie“. Ich schreibe aber in der dritten Person. Die Hauptperson ist Hans. Hans im Glück.

Für „Das weiße Band“ erhielt der Regisseur Michael Haneke 2009 die Goldene Palme bei den Filmfestspielen in Cannes. © picture alliance / dpa | Les Film du Losange

Empfinden Sie sich so? Als ein Hans im Glück?

Na, man kann sich doch nicht als Pechvogel gerieren! Außer als Komiker, da ist es natürlich perfekt. „Hans im Glück“ kann man als Titel sowieso nicht mehr nehmen, das ist ja inzwischen eine Burgerkette. Schade. „Geschmack der Zeit“ würde ich als Titel gut finden. Aber das ist zu hochtrabend. Dabei würde es passen, es geht ja um eine Zeit des Aufbruchs, als ich Theateranfänger war, 1969, als ich in diese Hölle Berlin kam, wo die politische Energie kochte und die Theater sich neu erfanden. Peter Stein und so weiter. Und wenn man eine so hohe Meinung von sich hat, wie ich sie hatte, dann geht man schnell unter. Darüber schreibe ich schonungslos. Ohnehin ist alles Schreiben autobiografisch.

Alles Spielen auch?

Natürlich.

Burghart Klaußner: „Das Geiseldrama in Gaza erschüttert mich nach wie vor zutiefst“

Ist Ihr Sendungsbedürfnis als Schauspieler und als Schriftsteller dasselbe?

Es ist für mich ganz unterschiedlich. Beim Spielen bin ich Interpret, beim Schreiben Schöpfer. Ein Sendungsbedürfnis habe ich eigentlich gar nicht. Für mich steht etwas anderes im Vordergrund, das kommt sicherlich aus der christlichen Tradition: Menschlichkeit und Zivilisation. Der menschliche Umgang miteinander, die Fassungslosigkeit über Verbrechen. Die Möglichkeit der Empathie – das finde ich eine ganz wichtige Kategorie. Das Geiseldrama in Gaza erschüttert mich nach wie vor zutiefst. Auch das Unglück der Palästinenser und das Leid der Ukrainer. Es hört ja nicht auf. Wie kann man damit umgehen, wie kann man überhaupt leben angesichts der Schlechtigkeit der Welt? So viel Bösartigkeit. Wie ist das möglich? Das hinterlässt mich vollkommen ratlos.

Wir haben das Gespräch damit begonnen, dass Sie die Menschen so mögen ...

Das tue ich. Aber die vermeintlichen Gewinner interessieren mich weniger als die Verlierer. Deshalb hat es mich so erfüllt, jemanden wie Fritz Bauer zu spielen, der sein Leben lang verachtet und verlacht wurde. Aber er war in Wahrheit ein Held. Ein großer Gewinner eigentlich! Da einzutauchen, das sind Sternstunden in meinem Beruf.