Hamburg. Hildegard Schmahl und Burghart Klaußner lasen in der Freien Akademie der Künste. Vier bewegende Einblicke in die Ukraine.

Die Ukraine ist durch die Bilder des Krieges in unsere Köpfe gelangt, doch die Literatur des Landes kennen wir kaum. Hildegard Schmahl und Burghart Klaußner lasen nun in der Freien Akademie der Künste aktuelle ukrainische Literatur und liehen vier Autoren eindrücklich ihre Stimme.

Artem Tschechs Essay „Der Nullpunkt“ etwa kreist um existenzielle Fragen eines jungen Mannes, der 2015 zum Wehrdienst einberufen wird. Tschech war 2015 und 2016 im Schützengraben im Donbass. In „Nullpunkt“ hält er allgegenwärtige Absurditäten fest, betrachtet in kurzen Skizzen sich selbst, hinterfragt sein Schreiben und erkennt aus nächster Nähe, wie der Krieg die Menschen verändert.

Heute ist Tschech wieder an der Front und zählt zu den vielen Intellektuellen des Landes, die entschlossen sind, für die Ukraine nicht nur mit Worten zu kämpfen.

Freie Akademie der Künste: Burkhart Klaußner liest Literatur aus der Ukraine

Dann ist da Oksana Sabuschko: Am 23. Februar 2022 fährt sie von Kiew aus zu einer Lesereise nach Polen – und kehrt nicht zurück, sondern wird in der Folgezeit zu einer gefragten Interviewpartnerin zu den Geschehnissen in der Ukraine. Ihre Sicht auf die Ereignisse fasst sie in ihrem Essayband „Die längste Buchtour“ zusammen und zeichnet den Weg zu einem Krieg nach, dessen Vorgeschichte lang ist.

Sie erkennt die Mechanismen, die in der Gesellschaft wirken, als 2014 die „Frühlingslandschaft blau-gelbe Farben trug“ und sich die Bekundungen von „Donbass ist Ukraine“ bis „Mykolajiw ist Ukraine“ über die Wände des Landes wie „hartnäckige Beschwörungsformeln“ verbreiten. Gemeinsam ist Tschech und Sabuschko: „Dass bereits Krieg herrschte, haben damals nur Wenige verstanden.“

Literatur aus der Ukraine: Heldentod und Schnaps

Der Originaltitel von Jurij Wynnytschuks „Im Schatten der Mohnblüte“ verweist als „Todestango“ auf Paul Celans berühmte „Todesfuge“, und auch die Mohnblüte ist ein Bild aus Celans Feder, das Erinnerung und Vergessen thematisiert. „Im Schatten der Mohnblüte“ erzählt die bewegte Geschichte der Stadt Lemberg der 1930er-Jahre. Heldentod und „Lebenswasser“ Schnaps liegen nahe beieinander in der ersten Nacht der sowjetischen Okkupation 1939, die mit acht toten Rotarmisten endet.

Mit dem Roman „Die Geschichte von Romana” von Sofia Andruchowytsch steht schließlich das Buch einer jungen Autorin im Fokus, es ist der erste Band einer Trilogie. Die Protagonistin glaubt, in einem verwundeten und entstellten Soldaten ihren Mann wiederzuerkennen. Andruchowytschs Werk ist vielschichtig: Kollektives Gedächtnis und individuelle Erinnerung sind eng verschlungen.

Viermal Literatur aus der Ukraine, viermal Einblicke in ein uns immer noch teilweise fremdes Land.