Hamburg. Der Schauspieler hat seinen ersten Roman geschrieben: „Vor dem Anfang“ spielt an einem einzigen Tag kurz vor Kriegsende.
Es „schien sich eine Art Wurschtigkeit breitzumachen“ an jenem Apriltag im Frühjahr 1945, als die beiden Soldaten Fritz und Schultz mit einem letzten Auftrag durch das zerstörte Berlin radeln. Sie, die durch Glück (und einen Steckschuss) der Front entkommen und als Fliegerreserve in Johannisthal eingesetzt sind, sollen eine Metallkassette mit 750 Reichsmark zur anderen Seite der Stadt befördern, „abseits der Truppe, im Auftrag der Truppe“. Offizielles Stempeldeutsch funktioniert auch kurz vor Kriegsende. Oder vielmehr: „Vor dem Anfang“, wie es Burghart Klaußner formuliert. Zukunftsgewandter. Es ist der Titel seines Romans.
„Vor dem Anfang“ also. Auch bei einem Autor von fast 70 Jahren kann man wohl davon ausgehen, dass ein Großteil seines Lebens vor diesem Anfang stattgefunden hat: bevor er nämlich begann, sein erstes Buch zu schreiben. Der Debütschriftsteller Burghart Klaußner ist Schauspieler. Ein ziemlich berühmter Schauspieler, einer, der an den renommierten Bühnen gespielt hat und in einigen der erfolgreichsten Kinofilme der vergangenen Jahre. „Das weiße Band“, „Die fetten Jahre sind vorbei“, „Der Staat gegen Fritz Bauer“.
Ansprechend gestalteter Band
Er hat Regie geführt, gesungen und gelesen, kürzlich wurde er als erster Stipendiat für die von Deutschland neu erworbene Thomas-Mann-Villa in Los Angeles ausgewählt. Geschrieben, literarisch geschrieben, hat er nie. Nun ist sein erster Roman bei Kiepenheuer & Witsch erschienen: ein schmaler, ansprechend gestalteter Band, der einen einzigen Tag beschreibt und eigentlich eher eine Novelle denn ein Roman ist. Was zu einem schreibenden Schauspieler auch viel besser passt: Die Novelle sei immerhin die „Schwester des Dramas“, hat es Theodor Storm einst beschrieben.
Die Geschichte, die Burghart Klaußner darin erzählt, ist die einer Schicksalsgemeinschaft. Eine, die Züge wahrer Begebenheiten in sich trägt und, fast nebenbei allerdings, auch einen Ausschnitt deutscher Geschichte reflektiert. Die Hauptstadt, und mit ihr der ganze Krieg, befindet sich „in Auflösung“. SS-Männer nutzen das ebenso zur Flucht wie zwei „Gestreifte“, die Hauptfigur erinnert sich, wie ein jüdischer Herr in einer Drehtür gedemütigt wird. Lakonisch wird das große Grauen höchstens angedeutet.
Fast unwirkliche Szenerie
Im Zentrum stehen vielmehr die beiden Männer, deren Auftrag sie durch eine fast unwirkliche Szenerie führt, durch ein Niemandsland zwischen Chaos und Neuordnung. Der Autor folgt seinen Figuren in knappen Sätzen, aus denen Pragmatismus und Berliner Schnauze aufscheinen.
Der Soldat Fritz war vor dem Krieg – wie Klaußner selbst es heute ist – ein passionierter Segler. Sein Boot mit dem sprechenden Namen „Traute“ liegt an der Klaren Lanke am Wannsee und ist mit Dauerbrot und Dom Pérignon bepackt, ihm gilt seine Sehnsucht. Die „Trauteken“ soll ihn, „wenn es hart auf hart kommen sollte, verbergen und, wie auch immer, über die Zeitenwende hinweg tragen“. Fritz ist, anders als sein stiller Kumpan Schultz, ein Hallodri, „helle, aber nicht zu sehr“, der das Glück im Zweifel auf seiner Seite hat.
Figur des Fritz ist vielschichtig
Die Familie betrieb ein Lokal, die Angestellten galten trotz des Krieges wie ihr junger Chef lange als „unabkömmlich“. Auch hier gibt es biografische Parallelen: „Zum Klaußner“ hieß einst die Familien-Gaststätte des heute schreibenden Schauspielers in Berlin-Charlottenburg. Klaußner, der in Hamburg lebt, ist gebürtiger Berliner. Seine Kulisse schildert er kenntnisreich, man spürt die Lust am Spiel mit der lokalen Sprachfärbung ebenso wie die am Fabulieren.
Die Figur des Fritz ist durchaus vielschichtig, von Klaußner mit der ihm vertrauten Geschichte aufgeladen – dennoch ist dem Leser nicht immer ganz klar, wem die eigentliche Sympathie des Autors gilt. Die Perspektive wechselt. Schultz, der Einfachere, auch Ängstlichere, ist einem bisweilen näher als der allzu forsche, schnell beleidigte Fritz. Dem wiederum fällt vor allem zum Ende eine deutlich stärkere Position zu. Denn kurz vor Schluss scheint ihn nicht nur der Kumpan, sondern auch das Glück zu verlassen, auf einer Toilette im Strandbad Wannsee wird er fast als Deserteur erschossen. Die Szene ist einem tatsächlichen Erlebnis von Klaußners Vater nachempfunden.
Den Grund für sein spätes literarisches Debüt übrigens hat Burghart Klaußner selbst kürzlich im „Spiegel“ in einem so schlichten wie bezaubernden Satz zusammengefasst: „Ich habe nicht gewusst, dass man einfach anfangen muss.“ Und seine Motivation findet sich womöglich in einer im Roman charmant geschilderten Schwärmerei seines Protagonisten – für einen Schauspieler, natürlich: „Mehr zu sein als einer“, das fasziniert Fritz, diese Fähigkeit, „das Leben durch unendliche Verdopplungen zu erweitern“. Was im Buch das Theater beschreibt, gilt doch auch – vielleicht sogar ganz besonders – für die Literatur.