Hamburg. Das Museum der Arbeit zeigt in einer Ausstellung, wie wir alle am globalen Warenversand beteiligt sind und welche Auswirkungen das hat.

Wer hätte das gedacht: Zehn Prozent der Onlinekunden geben an, schon einmal angetrunken Dinge bestellt zu haben (fast die Hälfte dieser Einkäufe haben sie dann anschließend bereut). Und als Werner Otto 1949 seinen Versandhandel in Schnelsen startete, verkaufte er zunächst nur den linken Schuh und schickte bei Gefallen den rechten hinterher, was eine ziemlich clevere Idee war. Es gibt noch Hunderte kuriose Fakten aus der Welt des Versandhandels, jeder kennt welche. Denn Fakt ist auch, dass in Deutschland jährlich vier Milliarden Paket- und Kuriersendungen getätigt werden, das macht pro Kopf 50.

Dieses spannende Alltagsphänomen ist nun Gegenstand einer groß angelegten Ausstellung im Museum der Arbeit: „Dein Paket ist da! Shoppen auf Bestellung“. „Als ich vor fünf Jahren den letzten gedruckten Otto-Katalog in den Händen hielt, war mir klar, dass dies eine Zäsur ist, und so entstand die Idee zu dieser Ausstellung“, sagt Direktorin Rita Müller. „Sie erzählt die Geschichte des Versandhandels, die Demokratisierung des Konsums, sie ist Ost-West-Geschichte und wirft einen Blick in die Zukunft des Onlinehandels.“ Sehr passend, dass die Schau im 75. Jubiläumsjahr der Otto Group gezeigt wird; diese unterstützt das Museum bei dem Projekt mit finanziellen Mitteln, Objekten und Know-how.

Museum der Arbeit: Von Otto bis Onlineshopping, eine Ausstellung über Konsum

Optisch fühlt man sich beim Betreten des dritten Stockwerks sofort wie in einer der zahlreichen Paketabholstationen (früher bekannt als Kioske): In der Mitte des Ausstellungsraums ist ein Fließband wie in einem Logistikzentrum aufgebaut, mit Sendungen, die von Gitterwagen über das Band zum Container am anderen Ende befördert und einsortiert werden müssen. Hier können die Besucherinnen und Besucher beim „Paketris“ ihre Schnelligkeit und ihr Geschick unter Beweis stellen, indem sie die Pakete möglichst zügig abfertigen, dabei ihre Zeit stoppen und ein Selfie von ihrem Werk machen.

Online-Weihnachtsgeschäft - Amazon Bad Hersfeld Ausstellung
„Besinnliche Weihnachtszeit“: Prall gefülltes Lager im Logistikzentrum des Online-Großhändlers Amazon in Bad Hersfeld, aufgenommen im Dezember 2011. © picture alliance, dpa, Uwe Zucchi | picture alliance, dpa, Uwe Zucchi

Eine große Stärke der Ausstellung ist, dass sie die Akteurinnen und Akteure in den Mittelpunkt rückt: „Wir finden es spannend, wie alle Beteiligten miteinander kommunizieren und arbeiten müssen, damit der Handel reibungslos läuft, vom Unternehmen über die Logistik bis zur Zustellung“, sagt Sandra Schürmann, die zusammen mit Florian Schütz kuratiert hat. Vor allem den Zustellerinnen und Zustellern, die die „extra Meile“, also den letzten Weg zu den Kunden gehen, wird zu Recht viel Raum gegeben: So werden typische Arbeitsuniformen gezeigt, an einer Hörstation erzählen die Männer und Frauen aus ihrem Alltag (zum Beispiel, dass sie sich nicht nur über Trinkgeld, sondern auch mal über Schokolade freuen), und an einer Fototapete kleben lauter lustige Sprüche – von beiden Seiten der Lieferkette, zum Beispiel: „Wenn sie am Black Friday so viel bestellen, dann bleiben Sie gefällig auch zu Hause! Danke!“.

„Dein Paket ist da!“ bietet Lösungen für die Zukunft und Material für Nostalgie-Fans

Vielleicht hat sich das Problem der Überlastung aber auch bald erledigt. In Zukunft könnte die Warenzustellung nämlich so aussehen: Paketdrohnen überfliegen unwegsames Gelände und erreichen ihren Zielort schnell, Lkw liefern Pakete zuverlässig von Haustür zu Haustür, CargoCaps transportieren große Mengen an Paketen unterirdisch, dazu kommen Paket-Roboter und selbstfahrende Elektroautos, aus denen sich die Kunden ihre Waren selbst nehmen können.

Ausstellung
Material für Nostalgiker des guten alten Versandhandels: Titelbild des Otto-Katalogs Herbst/Winter 1986/87 mit „Dallas“-Star Lindy Gray. © Otto GmbH & Co KG | Otto GmbH & Co KG

Aber auch Nostalgiker kommen voll auf ihre Kosten, sei es beim Blättern in Versandkatalogen der vergangenen Jahrzehnte („Tausend Wünsche. Eine Quelle“, „Geschenke in die DDR“, „Schlagzeilen. SM-Equipment für die Szene“), beim Blick auf das orangefarbene Bonanza-Rad, das Neckermann 1968 in sein Sortiment aufnahm, oder an einer vielen Filmstationen mit historischen Ausschnitten aus Werbe- und Imagefilmen: Hier besonders schön, wie Ingolf Lück bei Hella von Sinnen an der Supermarktkasse Kondome kauft und damit für die Anti-Aids-Kampagne wirbt.

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Was in der Ausstellung zu kurz kommt, sind die Auswirkungen auf die Umwelt. Zwar wird etwa beim Thema Retouren auf die CO₂-Belastung durch massenhafte Transporte und Verpackungsmüll hingewiesen, doch fehlt eine umfassende Einschätzung, welchen Anteil der globale Onlinehandel an Umweltzerstörung und Klimawandel hat. Was bleibt, ist der Wunsch (der Ausstellungsmacher), dass das Konsumverhalten in Zukunft bewusster und fairer gestaltet wird als bisher. Doch wie lässt sich die rasant nach oben geschraubte Spirale, bei der allein der deutsche Versandhandel im Privatkundenbereich jährlich 80 Milliarden Euro umsetzt, auf ein vernünftiges Maß zurückdrehen? Hier ist, wie so oft, das Publikum selbst gefragt.

„Dein Paket ist da! Shoppen auf Bestellung“ bis 28.4.2025, Museum der Arbeit (U/S Barmbek), Wiesendamm 3, Mo 10.00–21.00, Mi–Fr 10.00–17.00, Sa/So 10.00–18.00, Eintritt 8,50/5,- (erm.); www.shmh.de