Hamburg. NEAL arbeitet hauptsächlich nachts, mit seinen Bildern will er kein Geld verdienen – wo seine Arbeiten in der Stadt zu finden sind.
Zwei Mädchen, zwischen ihnen ein Springseil als Herz geformt. Ein Mini-Tarzan, der sich an einer Efeuranke an der Wand festhält. Das Konterfei von Donald Trump, dem das Gehirn wegfliegt. „Wie Banksy“, ist der spontane Gedanke beim Betrachten der schwarz-weiß an Häuserwände, Mauern und Säulen gesprühten Figuren. Der Schablonen-Stil, oftmals mit sozialkritischen Statements versehen, hat den in Großbritannien verordneten Street-Art-Künstler berühmt gemacht. Und so gibt es mittlerweile nicht nur weltweit unautorisierte Ausstellungen mit Reproduktionen seiner Werke wie demnächst in der Hamburger City, sondern auch viele Künstler, die seiner Kunst nacheifern, sich von ihr inspirieren lassen. Der Hamburger Künstler NEAL ist einer davon.
Ebenso wie Banksy will auch NEAL anonym bleiben; seine Kunst soll für sich stehen. Und so vermittelt die Urbanshit Gallery in Altona, die ihn in Hamburg repräsentiert, einen Vertreter, der an seiner Stelle spricht. Rob ist seit Jugendtagen mit NEAL befreundet, beide kommen aus der Graffiti-Szene. Irgendwann seien alle solide geworden, hätten Familien gegründet, nur NEAL nicht. „Er findet, dass das Erwachsenenleben zu langweilig ist, deshalb hat er einfach immer weiter gesprüht – bis heute.“
Streetart wie Banksy: Dieser Hamburger Künstler will lieber anonym bleiben
Mit Banksy sei NEAL durch Zufall in Kontakt gekommen. „2012 zog seine damalige Freundin in eine neue Wohnung, und da die Wände zu kahl waren, bat sie ihn, ein paar Bilder zu kaufen“, erzählt Rob. „Er hat dann im Internet einige Poster mit Motiven von Banksy bestellt, weil die ihm auf Anhieb gefielen; mit dem Künstler hatte er sich bis dahin nicht beschäftigt.“ Doch der Keim war gesät, befeuert durch eine TV-Reportage, die Banksy bei der Arbeit zeigt. Mittlerweile sind mehrere Leute beteiligt, wenn er unterwegs ist, es wird ein Gerüst aufgebaut und die bearbeitete Fläche abgehängt.
So professionell ist NEAL nicht. Seine Motive malt er zu Hause auf Leinwand und überträgt sie dann auf Pappschablonen. Mit den Vorlagen und seinen Sprühdosen zieht er nachts meist allein los, bringt seine Figuren gezielt an Wänden an, lässt sich manchmal auch treiben. Ab und zu begleiten ihn ein paar Kumpels von früher. „Er ist nicht so vorsichtig, wie er sein sollte“, findet Rob. „Er achtet höchstens darauf, dass keine Autos vorbeifahren. Er quatscht sogar mit Passanten, während er sprayt. Aber von der Polizei wurde NEAL noch nicht behelligt.“
Street-Art in Hamburg: Graffito an der Kunsthalle war ein Statement zur Corona-Pandemie
Und auch sonst scheint das Umfeld positiv auf seine augenzwinkernde Kunst zu reagieren. Dafür spricht, dass viele seiner Arbeiten mehrere Jahre überdauern. Oft entstehen sie spontan, inspiriert durch den jeweiligen Ort. So setzte NEAL etwa auf das „T“ des „Wut“-Tag an einer Wand in der Kieler Straße einfach ein schaukelndes Mädchen. Oder ließ sich durch einen tatsächlich an einer Eisdiele an der Außenalster angeleinten Hund zum eben dort verewigten Dalmatiner inspirieren. An der Hindenburgbrücke in Alsterdorf zieht sein Angler „Fang Nemo“ die Blicke auf sich. Und in der Barmbeker Drosselstraße guckt eine ganze Familie gebannt auf das über ihr prangende „Frisch gestrichen“.
Im Dezember 2020 sorgte ein Graffito an der Hamburger Kunsthalle für Aufsehen: Über Nacht war an der Südfassade des Museums eine vermummte Gestalt aufgetaucht, die aus einem Fenster steigt. Sofort witterte man, dass das schwarz-weiße Graffito von Banksy stammt; bestätigt werden konnte dies jedoch nicht. Die Kunsthalle ließ ein Messingschild anbringen, um das Werk genau wie in den Ausstellungen innerhalb des Gebäudes zu kennzeichnen: „Anonym, Ohne Titel, 2020, Hamburger Kunsthalle, Eigentum der Öffentlichkeit“. Es wurde entwendet. Als die Figur beschmiert wurde, ließ Direktor Alexander Klar das Werk entfernen. „,Escape‘ stammte von NEAL und war als Statement während der Corona-Pandemie gedacht: „Wenn das Publikum nicht in die Museen darf, muss die Kunst eben raus“, so Rob.
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Auch wenn NEALs Kunstwerke hauptsächlich draußen zu finden sind – es kommt ab und zu auch vor, dass er seine Werke in einer Ausstellung präsentiert, wie kürzlich von seiner Galerie Fine Art Editions in Wien organisiert. Ginge es nach Rob, könnte der Künstler noch viel aktiver in dieser Richtung sein, seine ganze Wohnung sei voll mit Bildern. Aber das Kommerzielle steht offenbar nicht im Vordergrund. Er will mit seiner Kunst nicht zwangsläufig Geld verdienen, sondern etwas bewirken. Soziale Themen liegen NEAL ebenso wie Banksy am Herzen.
Und so hat er schon mehrere Spendenaktionen mit dem Straßenmagazin „Hinz & Kunzt“ gemacht, der Kunsthalle schenkte er vier Entwürfe seines Vermummten für eine Benefizauktion. Typisch für NEAL sei auch die Aktion kürzlich im Stadtpark: Da hatte der Künstler seinem Freund mehrere in schwarzen Kunststoff gehüllte Bilder im Wert von jeweils 350 bis 500 Euro mitgegeben, um sie an Passanten zu „verkaufen“: „Ohne zu wissen, was auf den Leinwänden ist, sollten sie sich vor der Übergabe als Gegenleistung verpflichten, einen beliebigen Betrag für einen wohltätigen Zweck zu spenden. Ob die das auch gemacht haben? Keine Ahnung. Aber NEAL glaubt einfach an das Gute in den Menschen.“