London. Premiere beim größten Klassik-Festival der Welt: Das Hamburger Ensemble Resonanz wurde zu den BBC Proms nach London eingeladen.

Als nicht Hollywood, aber immerhin London anrief, war Tobias Rempe, der Geschäftsführer des Ensemble Resonanz, gerade für Weihnachtsgeschenke unterwegs gewesen. Ein Konzert mit bei den BBC Proms im August, mit Mozart only auf den Notenpulten und dem Mozart-Spezialisten Riccardo Minasi, einem engen Freund der Orchester-Familie, als Dirigent – ob sich das realisieren ließe? Ende Januar war das Engagement für den Abend des 20. August 2024, für „Prom 41“ endgültig in trockenen Tüchern. Und das Hamburger Streicher-Ensemble hatte damit einen Termin in der Royal Albert Hall im Kalender, für den andere, durchaus größere Orchester so einiges stehen und liegen lassen würden. Coup trifft das ganz gut.

Nur mal so zur Gewichtsklasse: Auch wenn dieses Konzert noch etliche Abende von der „Last Night of the Proms“ entfernt ist, mit der das achtwöchige Festival (weltweit das größte seiner Art) Mitte September mit „Prom 73“ endet – viel größer, buchstäblich, als in diesem Saal kann man es nicht treffen. 5272 Sitzplätze, das ist mehr als das Doppelte des Fassungsvermögens im Großen Saal der Elbphilharmonie. Dazu Hunderte Stehplätze direkt vor der Bühne und weitere unter dem Bühnenhimmel, dermaßen hoch oben, dass man dort wahrscheinlich Sauerstofffläschchen benötigt. Und jede Menge Charisma und schillernder Legenden-Stoff, tief eingedrungen in diesen Bühnenboden. 

Ensemble Resonanz bei den BBC Proms: „Das ist etwas Besonderes“

Im Logen-Foyer hängt ein Foto von Eric Clapton bei seinem 200. Konzert. James Last kam auf 90 Abende. Die Band Pink Floyd fing sich 1968 lebenslängliches Hausverbot ein, bloß weil sie ihre Bühnenshow mit zwei durchaus funktionsfähigen Kanonen angereichert hatte. Gegen die BBC Proms und ihr Star-Aufgebot sind andere Klassik-Festivals jedenfalls mittelaufwendige Kindergeburtstage. „Das ist etwas Besonderes“, betont Rempe, mit Ausrufezeichen, „in und außerhalb unserer Branche ist das eine große Adresse.“ In diesem Sommer ist man damit auf Termin-Augenhöhe mit den Berliner Philharmonikern und Kirill Petrenko, mit Daniel Barenboim und Anne-Sophie Mutter, mit Antonio Pappano und dem London Symphony, mit Rattle und dem BR-Orchester aus München. Champions League, eindeutig.

BBC Proms Ensemble Resonanz Riccardo Minasi Royal Albert Hall London
Zum Schlussapplaus in der Londoner Royal Albert Hall kamen die Musiker und Musikerinnen des Ensemble Resonanz an die vordere Bühnenkante und wurden begeistert gefeiert. © FUNKE Foto Services | Joachim Mischke (FMG)

Auf durchschnittlich acht bis zehnn Gastspiele pro Saison komme man, berichtet Rempe, der zur Saison 2025/26 als Intendant ans Konzerthaus Berlin wechselt, während des Wartens auf den Abflug vom Hamburger Flughafen. Die zumindest sichtbare Spannung bei den Resonanzlern hält sich also noch in Grenzen. Ende letzter Woche haben die ersten Proben für dieses nicht ganz neue Programm stattgefunden. MMM, Mozart mit Minasi, das ist nicht erst seit gestern eine Hausmarke des Ensembles. 

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Der konkrete Reiseaufwand ist überschaubar handlich. Die meisten Instrumente sind Handgepäck, die zwei Kontrabässe werden vor Ort geliehen. Weil es für die anstehenden Mozarts Bläser und Pauke braucht, wurde der Eigenanteil mit Musikerinnen und Musikern aus dem Erfahrungsumfeld aufgestockt, von Adressen wie dem Amsterdamer Concertgebouw und dem Salzburger Mozarteum. Weil das Konzert von BBC 3 live im Radio übertragen und später auch im TV gesendet wird, sind die Briten penibel beim Timing: Die Zugabe, das Finale der „Haffner-Sinfonie“, musste vorab angemeldet und abgestimmt werden.

Ensemble Resonanz bei den BBC Proms: Mischung aus Klassenfahrt und Dienstreise

Als sich das Ensemble Resonanz vor 22 Jahren in Hamburg ansiedelte, kam es zunächst im Souterrain der Laeiszhalle unter und spielte sich aus dieser Kellerkinder-Klasse nach oben, Stück für Stück. Jetzt ist man Residenzensemble der Elbphilharmonie, als Visitenkarte für die Proms ist dieser Eintrag im Lebenslauf „sicher nicht schädlich“, kommentiert Rempe pragmatisch und erfreut diese Weiterentwicklung.

Für seine Leute ist diese spektakuläre Aufwärmrunde kurz vor dem Saisonstart zu Hause, wie für jedes Orchester, eine Mischung aus Klassenfahrt und Dienstreise. Irgendwas geht eigentlich immer schief. Irgendwer verläuft sich garantiert oder hat etwas richtig Wichtiges verloren. Wie damals, als bei einer Südostasien-Tournee ein Kontrabass mehrere Tage verschollen war, weil er auf einem anderen Flughafen gelandet war und im Irgendwo abgestellt wurde.

BBC Proms Ensemble Resonanz Riccardo Minasi Royal Albert Hall
Bei Mozarts Sinfonia concertante KV 364 waren Clara-Jumi Kang (Violine) und Timothy Ridout (Viola) die beiden Solisten. © FUNKE Foto Services | BBC / Mark Allan

Hier aber grätschen keine akuten Probleme in die Reiseplanung, auch mal schön. Im Gegenteil, es gibt ein großes Hallo am schon fortgeschrittenen Abend, als Minasi freudestrahlend mit seiner fröhlich strahlenden Ü90-Tante auftaucht, die offenbar alle im Orchester kennen und so lieben, als wäre es die eigene. Einen Abend später, im Konzert, wird Minasi sie auch dem gesamten Publikum noch kurz vorstellen 

Ensemble Resonanz bei den BBC Proms: Übernachtung in Studentenwohnheim

Übernachtet wird, der praktischen Lage wegen, in einem riesigen Studentenwohnheim gegenüber vom Imperial College. Feines South Kensington, links um die Ecke das Victoria & Albert Museum. Das wird gerade ganztägig von seligen Swifties in Swiftie-T-Shirts geflutet, die in einer Ausstellung für Swifties rund um deren acht Londoner Konzerte herum möglichst viele Bühnenoutfits von Taylor Swift bewundern und danach sicher sofort noch mehr Swiftie-T-Shirts kaufen wollen. Rechts die Straße hoch kann man in den Hyde Park hineinjoggen, um wahlweise Eichhörnchen oder schon vor dem english breakfast eine bunt gestreifte Freiluft-Installation von Gerhard Richter in der Serpentine Gallery zu bewundern.

Kurz vor dem Park links steht die viktorianisch aufgerüschte Version eines antiken Amphitheaters, fünf Jahre älter als das Bayreuther Festspielhaus, für das Debüt der Gäste aus Hamburg bereit.

BBC Proms Ensemble Resonanz Riccardo Minasi Royal Albert Hall
Mozart ist eine seiner Spezialitäten: Der Dirigent und Geiger Riccardo Minasi leitete das Ensemble Resonanz. © FUNKE Foto Services | BBC / Mark Allan

Hinter dessen Kulissen, vorbei an entspanntem Aufsichtspersonal im Zehn-Meter-Abstand, gibt vor allem professionelle Routine den Ton an. Die Proms werden schließlich seit 1927 von der BBC organisiert, nervös wird hier so schnell niemand mehr vom Personal. Jemand von der TV-Produktion schaut am Bühneneingang vorbei: Sie möchte für später einfädeln, dass einige Resonanzler unmittelbar nach Ende ihres Debüts kurz in die Kamera berichten, wie es war, ihr erstes Mal Royal Albert Hall, live und in Farbe auf der Bühne. 

Knapp drei Stunden Probe, man ist ja nicht zum Spaß hier

Bevor dort die Probe beginnt, stattet, so gehört sich das, Proms-Direktor David Pickard seinen Gästen von der Elbe einen Höflichkeitsbesuch ab, „Ich weiß, dass sie hier einfach lieben müssen, was ihr macht“, massiert er dem Ensemble noch ins Gemüt, bevor von irgendwoher schon wieder eine Pflicht ruft. 

Danach, man ist ja nicht zum Spaß hier, folgen knapp drei Stunden Probe. Während Minasi im kühl klimatisierten Rund an Details schleift und sie abendfein poliert, hier die Tempi für diesen Riesen-Saal testet und dort schaut, dass die Intonation einwandfrei wird, nutzt Rempe die Zeit auch für Gespräche mit einigen Opus-Brokern. London ist Sitz von vielen der wichtigsten Künstleragenturen, die hier ihre Deals und Tourneen einfädeln, wie praktisch, sie vor Ort zu treffen. Die letzte Portion der Probe ist ein Test für das Tutti, wie man von links und rechts auf die Bühne kommt. Danach war es das, und der Abend kann kommen.

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Tobias Rempe : "Reibungslos geht gar nichts"

Erstklassisch mit Mischke

Währenddessen läuft im Publikumsbereich der Halle der Countdown Richtung Konzert. Neben dem Box Office warten Souvenirs wie Kaffeetassen und Kühlschrankmagnete auf Abnehmer. Im Café finden sich die ersten Proms-Ultras ein, darunter auch freundliche ältere Damen in Fan-T-Shirts. Ohnehin ist das Publikum auffallend gemischt. Abendgarderobe muss hier nicht sein. Die Last-Minute-Stehplätze, heiß begehrt, kosten lediglich acht Pfund, für diesen Preis erhält man am Café-Tresen so gerade eben ein belegtes Brot.

Schnittige Akzente, ein Mozart-Geschicklichkeits-Parcour

Der Saal füllt sich, bis auf die letzten Plätze. Showtime. In der „Figaro“-Ouvertüre brauchen Orchester und Dirigent noch etwas Zeit, um sich damit zu arrangieren, wie fast absurd groß dieser Raum ist. Wie viele Kubikmeter Luft man mit diesem Mozart für Tausende von Menschen in Schwingung versetzen muss, bis hinauf zu den Stehplätzen kurz vor der Wolkendecke. In der Sitzreihe vor Loge 31 strickt eine Frau, nicht ganz im Takt, aber dafür konsequent.

Die nur etwa 40-köpfige Besetzung macht zunächst einen leicht verlorenen Eindruck in der Tiefe des Raumes. In der Sinfonia concertante KV 364 sorgen nicht nur Minasi mit mehr und mehr Freude an der Eleganz des Moments, sondern auch das Solo-Duo Clara-Jumi Kang (Violine) und Timothy Ridout (Viola) für den Umschwung ins Spielerische. 

BBC Proms Ensemble Resonanz Riccardo Minasi Royal Albert Hall
Der Dirigent Riccardo Minasi, die Geigerin Clara-Jumi Kang und der Bratscher Timothy hinter der Bühne © FUNKE Foto Services | BBC / Mark Allan

Nach der Pause entwickelt sich die „Jupiter“-Sinfonie KV 551 zügig zu everybody’s darling. Minasi gönnt sich und dem Stück Situationskomik, reizt die Möglichkeiten mit starken Kontrasten auf engem Raum raffiniert aus. Schnittige Akzente, ein Mozart-Geschicklichkeits-Parcour, auf dem immer wieder das Tempo und der Tonfall des musikalischen Ausdrucks variiert werden. 

Für die meisten geht es schon am nächsten Morgen zurück nach Hamburg

Der Jubel ist groß, diese Überraschung ist den Erstlingen gelungen. „Offensichtlich liebt ihr Mozart“, ruft Minasi dem Publikum spontan zu. „Wir lieben dich“, ruft eine Frau ebenso spontan zurück. Nach der letzten Verbeugung am Bühnenrand werden backstage die Instrumente wieder eingepackt. Ein später Feierabend in einem Pub soll folgen, bevor es für die meisten früh schon am nächsten Morgen zurück nach Hamburg geht. Für Mitte November hat man eine Verabredung mit Beethoven in der nicht ganz so großen Elbphilharmonie. Nach den Proms ist deswegen ganz kurz vor den ersten „Eroica“-Vorproben.

Saisoneröffungs-Konzerte: 12. / 13.9, jeweils 19.30 Uhr: Werke von Suk, Ligeti, Haas u.a. mit Jean-Guihen Queyras (Violoncello). Elbphilharmonie, Kl. Saal. CD: Mozart: Sinfonien Nr. 39, 40, 41. Riccardo Minasi (Dirigent) (harmonia mundi, ca. 20 Euro).
Die Reise nach London wurde unterstützt vom Ensemble Resonanz.