Hamburg. „Zwei Takes wie diese, dann haben wir es!“: Das Orchester spielte in der legendären Friedrich-Ebert-Halle seine neue CD ein.
Ohne Nervennahrung satt kein CPE Bach. Deswegen sind die Garderobentresen im Foyer der Friedrich-Ebert-Halle auch so ordentlich belegt mit Nüssen, Keksen, Schokolade. Kaffee und Tee gibt es eh. Nach und nach bedienen sich alle, mal mehr, mal weniger deutlich, bevor man zu den Instrumenten greift und es drinnen losgeht.
Für viele seiner Proben und Konzerte hat das Ensemble Resonanz seinen eigenen Resonanzraum im Bunker an der Feldstraße; für Plattenaufnahmen aber verlegt man den musikalischen Arbeitsplatz nach Harburg, in jene branchenintern legendäre Halle, in der schon die Beatles aufnahmen, 1961, damals noch als absolute No-Names und günstig eingekaufte Begleit-Band für Tony Sheridans „My Bonnie“.
Fünf Jahre später spielte die noch sehr junge, aber schon einzigartige Jahrhundert-Pianistin Martha Argerich dort Mozart ein. Anne-Sophie Mutter, Lang Lang, Daniil Trifonov – alle im Laufe der Jahrzehnte schon mal in Harburg gewesen, nicht zum Vergnügen, nur zur Millimeter-Arbeit vor den unbarmherzig registrierenden Mikros. Dieser Saal hat schon viele gesehen und vieles gehört, jedes Glücksgefühl, jedes Stolpern. Nun also, zwei Tage lang, das Cellokonzert B-Dur Wq 171 aus der fleißigen Feder des „Hamburger“ Bach, Carl Philipp Emanuel Bach, nach einer eintägigen Vor-Runde durch das Stück zuhause auf St. Pauli.
Ensemble Resonanz in Friedrich-Ebert-Halle in Harburg: Das Tausend-Töne-Bach-Puzzle
Aufnahmesitzungen sind speziell, ein Minenfeld geradezu. Intimer als hier ginge es kaum, meint ein Resonanzler draußen vor der Hallentür, bevor die Session beginnt, und das stimmt ja auch. In Proben kann und muss auch mal was daneben gehen können, damit und bis es vor Publikum sitzt. Aufnahmen? Ganz anderes Thema.
Das Feilen an Kleinigkeiten ist gemein schwer, weil jeder Takt zählt, wenn man danach womöglich aus vielen kleinen, mittleren und großen Takes ein Gesamt-Puzzle des Stücks erstellt, das Bestand und bleibenden Wert haben soll, als schicke Visitenkarte und aktueller Leistungsnachweis. Oder aber, großes Wort, für die Ewigkeit.
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Oder aber man kollidiert mit dieser Erkenntnis: Besser als jetzt wird es nicht, auch beim x-ten Anlauf einfach nicht. Dann muss man nehmen, was man sicher im Kasten hat und darauf hoffen, dass der Gesamteindruck wohl wieder ausgleicht, wenn in Takt 47 das zweite Achtel etwas zu sehr wegsumpft. Die Nerven liegen jedenfalls schnell blank bei solchen Aufnahmen, und normalerweise möchten Musikerinnen und Musiker dabei nicht gestört und noch weniger von Außenstehenden beobachtet und gehört werden.
Weil es hier so ganz und gar nicht nach Optik geht: Der Akustik wegen ist das Ensemble nicht auf der Bühne platziert, sondern dort, wo normalerweise die ersten Parkett-Stuhlreihen stehen. Wer es bequemer braucht, spielt ohne Schuhe. Der Solist, der Kanadier Jean-Guihen Queyras, spielt mit dem Rücken zum nicht vorhandenen Publikum, um besseren Blick- und Hörkontakt zum Orchester zu haben, ohne gedruckte Noten, sondern – wie einige auch im Orchester – mit zwei iPads auf dem Pult. Weitergeblättert wird per Fußpedal, Rand-Notizen auf dem Bildschirm erledigt mühelos der elektronische Stift. Und eingestimmt wird sehr, wirklich sehr gründlich. Nach dem ersten „Ok“ dieses Tages, das die beiden französischen Tontechniker per Lautsprecher-Durchsage aus dem Aufnahmeraum geben, gibt Riccardo Minasi energisch den ersten Einsatz. Um gleich wieder, genauso energisch, abzuwinken.
Ensemble Resonanz in Harburger Friedrich-Ebert-Halle: Dirigent kämpft und flirtet mit jedem Ton
Oben in der Tonmeisterei läuft das Zählwerk auf den Rechner-Monitoren, jeder Anlauf erhält seine Nummer und wird penibel im Ablaufplan vermerkt. Was Minasi will und in den ersten Momenten des zweiten Telemann-Satzes noch nicht bekam, spielt er gern und sehr anschaulich ausdrucksklar auf seiner Geige vor, durchaus praktisch bei einem Streicher-Ensemble. Wo das eigenhändige Vormachen nicht genügt, wird Minasi in seinen Umschreibungen interessant poetisch: Eine aufsteigende Phrase soll klingen „wie ein kleiner Hoffnungstraum“. Auch beim Dirigieren ist der Italiener, mit dem das Ensemble eine längere, intensive Kollektivfreundschaft verbindet, überdeutlich. Er kämpft und flirtet mit jedem Ton, umtanzt das Material förmlich, weil alle möglichst sofort sehen und umsetzen sollen, wohin er damit will.
Queyras wartet zunächst ab und hört zu und mit, er ist ja noch nicht dran, lieber keine Energie und keine Konzentration hörbar verschwenden, wenn der Zeitpunkt fürs eigene Hochfahren noch nicht erreicht ist. Unterdessen scheint Minasi direkt vor ihm immer zufriedener zu werden. Kein ständiges Stop and Go mehr mit nur wenigen Takten Fortschritt, der langsame Satz biegt mit einer kurzen Cello-Kadenz hoffnungsfroh in Richtung Finale ein. Auch das Ensemble spürt den eigenen Fortschritt und spornt Queyras und sich mit anerkennendem Szene-Klopfen auf die Notenpulte an. Und dann: ist Pause. Nervennahrung tanken und die angestaute Anspannung loswerden.
Dass die Glocke hier wird, dafür haben – in enger Zusammenarbeit vor allem mit Minasis Kleinigkeiten-Gedächtnis – die beiden Franzosen zu sorgen, die ihre Technik in dem kleinen Raum oberhalb der Bühne aufgebaut haben und von dort aus gottgleich über eine Standleitung zum Dirigentenpult verkünden, was ihnen behagte oder eben nicht. Florent Ollivier und Léopold Rondon de Golier haben sich diese Fein-Arbeit praktisch aufgeteilt. Ollivier verfolgt und notiert in der Partitur den Fortschritt mit. Sein Kollege kontrolliert die Aufnahme-Pegel und was auch sonst immer noch auf seinem Rechner vor sich geht und geregelt werden möchte.
Ensemble Resonanz: „Ich bin nicht überzeugt von dem F“
Ihre Hardware haben sie aus Paris mitgebracht, und nebenbei, während Minasi etwa eine Etage tiefer gerade im Schlusssatz vorankommt, berichten sie beeindruckt, wie extrem mitdenkend und effektiv Minasi bei solchen Sessions sei. Er wisse immer ganz genau, was wo passen könnte, wo es noch Lücken und Schwächen gibt. „Ich bin nicht überzeugt von dem F“, kommentiert Minasi, als hätte er seine Ohren auch noch hier oben, genau in diesem Moment eine kleine Aufmerksamkeitsdelle im Tutti.
Alles in Butter also, der CPE Bach hier eigentlich nur ein Kinderspiel und schnell erledigt? So einfach sei es dann doch nicht, räumen die beiden, sehr freundlich natürlich, ein. Im Zeitplan könnte man durchaus etwas besser liegen. Der Aufnahme-Tag hat hier womöglich etwas zu wenig Stunden, soll das andeuten. Dann aber schwenkt ihre Konzentration wieder um, nach unten in die Halle. Es gibt ein „Magnifique“ und von Minasi nach einer für ihn gelungenen Passage die Ansage: „Zwei Takes wie diese, dann haben wir es!“ Das Zählwerk zeigt „# 900“.
Aktuelle CD: Mozart „Linzer“ und „Prager“ Sinfonie, Riccardo Minasi (Dirigent) (harmonia mundi, ca. 18 Euro). Nächstes Konzert: 11.12. „Bachs Weihnachtsoratorium als urbane Kammermusik“, Laeiszhalle, Gr. Saal.