Hamburg. Türlich, Türlich, Telemann: Ensemble Resonanz und „Viva La Bernie“ machen sich bei „urban string“ im Resonanzraum einen schönen Abend.

Einen Punk-Song des ehemaligen „Slime“-Sängers Diggen über Störtebekers Anarchisten-Karriere für ein doch eher hochwohlgeborenes Streichquintett umarrangieren? Es gäbe Naheliegenderes. Aber warum eigentlich nicht.

Freitagabend, Schanze, St. Pauli, früher Abend, nur sanfter Nieselregen, da geht doch was. Während der Rest des Viertels und seine erst noch kommenden Besuchermassen so langsam darüber nachdenken, was diese Sommernacht noch bringen soll und Touristen aus etlichen Ländern entspannt neugierig den frischen Bergpfad um den Medienbunker herum hochkraxeln, schauen vier Streicherinnen vom Ensemble Resonanz bei den Haltungs-Nachbarn von „Viva La Bernie“ vorbei, um im Innenhof der Bernstorffstraße 117 zum etwas anderen Vorglühen „Company“, das 2. Quartett von Philip Glass, zu spielen.

Bekannte, Freunde und Familien sind auch dabei. Die Stimmung ist tiefenentspannt. Das Mikro steckt in einer umgedrehten Cola-Kiste. Läuft. Nur kein Stress. Wer dieser Philip Glass ist und warum der ein Großer ist, wissen womöglich nicht alle so ganz genau. Aber alle hören zu.

„Viva La Bernie“, da war doch was? Eben, dieser sympathisch widerständige Kreativhof, in dessen Gebäuden mehr als 100 Künstler, Handwerker und Kreative trotz des Verkaufs dieses Areals vor acht Jahren weiterwerkeln und ihre ganz eigenen Dinge machen wollen. Das Studio von Fettes Brot ist seit Jahren hier, und etliche andere.

Im letzten Herbst einigte man sich, unterstützt auch von der Johann-Daniel-Lawaetz-Stiftung, ohne großes Hauen und Stechen mit dem Investor und verabredete eine Deadline für den Rückkauf, um „Bernie“ in Eigenregie weiterleben und „Bernie“ sein zu lassen. Happy End also? Könnte man meinen, ist aber doch nur die halbe Miete.

In Stein gemeißelt ist diese Frist inzwischen nicht mehr: Bis Ende des Jahres wäre es schon schön, die noch fehlenden etwa zwei der 8,5 Millionen Euro über solidarische Direktkredite oder Spenden zusammenzukriegen, und die Bernie-Seite dieses Deals ist glaubhaft zuversichtlich. Keine der beiden Parteien hat so etwas wie einen Plan B, aber einfach laufen lassen ginge auch nicht ewig. Also: Ey, lass mal was zusammen machen.

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Zum Warmwerden etwas Glass: Vier Musikerinnen vom Ensemble Resonanz spielten das 2. Streichquartet von Philip Glass im Innenhof von „Viva La Bernie“ in der Bernstorffstraße. Danach ging es weiter im Resonanzraum im Medienbunker. © Ensemble Resonanz / Gerhard Kühne | Gerhard Kühne

„Viva La Bernie“ macht‘s möglich: König Boris rappt mit Streichern

Die „urban string“-Konzerte des Ensembles in seinem eigenen Resonanzraum, 1. OG Medienbunker, nur wenige Straßen entfernt, sind für solche So-sieht-das-aus-Ideen ein ideales Gefäß, weil das Publikum schanzig ist und alles andere als konventionsgepflegt. Die Bar brummt, der Laden ist voll, die Luft knapp und die Laune bestens. Wenn dann hier ein Abend mit einem Barock-Konzertchen für vier Geigen vom local hero Telemann eröffnet wird, nachdem vom DJ eben noch satter Reggae ins Halbdunkel gepumpt wurde, ist das kein Problem, sondern das Erfolgs-Konzept.

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Das Bo bearbeitet den Resonanzraum. Bei „Türlich Türlich“ gingen dann viele Hände hoch, und textsicher waren auch alle. © Ensembe Resonanz / Gerhard Kühne | Gerhard Kühne

An diesem Abend ist das „urban string“-Strickmuster besonders bunt: Vier sehr special guests, für die Kian Jazdi, Freund der Resonanz-Großfamilie, umtriebiger Netzwerker und seit zwei Jahren „Bernie“-Untermieter, die Arrangements geliefert hat. Der erste, der austesten kann, ob das passt, ist der Rapper Das Bo. Der Bart ist grau, die kellertiefe Stimme zeitlos fresh. Sein erster Track, passend zum Unterthema des Abends, dreht sich um „Geld und Macht“. Die zweite Nummer, muss sein, klar, sein Klassiker, den viele selig mitgrölen können. „Türlich, Türlich (Sicher, Dicker)“. Die ersten Hände gehen hoch, Smartphones sowieso, alles klar, die Crowd ist textsicher, und der eine Kontrabass auf der Bühne bemüht sich, so gut es geht, den derbe gebrauchten Bass zu liefern. Die Nummer ist aus dem Sommer 2000, in HipHop-Jahren gerechnet also fast so alt wie das eben gehörte G-Dur-Konzert von Telemann.

Pause, Kaltgetränke und Fettes Brot. Fast jedenfalls

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Nach einem folkloristisch angeschärften Streichquartett der serbisch-amerikanischen Komponistin Aleksandra Vrebalov macht Diggen weiter, mit einem Lob-Song auf den Liekedeeler, den die Hamburger Pfeffersäcke reingelegt haben, und einem vertonten erhobenen Mittelfinger für Rechtspopulisten, die alles doch endlich wieder sagen dürfen wollen.

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Swantje Tessmann, Geigerin beim Ensemble Resonanz und Moderatorin des Abends, mit Dirk „Diggen“ Jora, dem ehemaligen Sänger der Punkband Slime. © Ensemble Resonanz / Gerhard Kühne | Gerhard Kühne

Pause, Kaltgetränke und Fettes Brot. Fast jedenfalls. König Boris kommt für eine Kurzaudienz vorbei, mit Sonnenbrille und zwei Tracks aus dem neuen Solo-Album „Disneyland After Dark“. „Zuhause angekommen“, die Beats aus der Steckdose verstärkt, ist Startrampe für die jüngste Hamburg-Hymne „Beste“ zum Herzblutpumpen („Das Beste an der Stadt / sind ich und du / und ´ne Flasche Wein unten am Hafen“). Das Stimmungsbarometer steigt und steigt, aber auch ein König bekommt keine Zugabe gestattet.
Harter Schnitt, zu einem Abschnitt von George Crumbs „Black Angels“, einem Stück für ein „Electric String Quartet“ und Kristallgläser, das 1970 als Reaktion auf Horror des Vietnam-Kriegs geschrieben wurde. Die Kunstnebelschwaden verziehen sich, damit Schorsch Kamerun, die ewige Goldene Zitrone, zwei Standards aus der schillernden Band-Historie bringen kann. „Wenn ich ein Turnschuh“ wäre, vom „Lenin“-Album, dem mit dem Daniel-Richter-„Fuck The Police“-Cover, und „Wir verlassen die Erde“ von „Die Entstehung der Nacht“. „Wir verlassen die Erde / als enttäuschte Herde“, singt Kamerun fröhlich, hinten links auf der Bühne brillieren drei Resonanz-Streicherinnen als Blockflöten-Trio. Historisch informierte Aufführungspraxis klappt auch im Subkultur-Bereich.

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Applaus, Applaus, Applaus...: Nach dem Konzert war vor dem Kaltgetränk bei diesem „urban string“-Spezialabend im Resonanzraum. © Ensemble Resonanz / Gerhard Kühne | Gerhard Kühne

Kurz vor Mitternacht endet der offiziellere Teil von „urban string“ mit der nur ganz leicht verspäteten Vorstellung der Streicher-Band und danach wird die Bar natürlich sofort wieder publikumsmagnetisch. Am nächsten Morgen steht bei „Viva La Bernie“ das jährliche Straßenfest an – das Ensemble Resonanz hat als letzten Termin vor der Sommerpause noch eine Verabredung in der Staatsoper. Mit John Neumeiers „Dona nobis pacem“ und Bachs h-Moll-Messe.

Weitere Infos: www.vivalabernie.de