Hamburg. Starke Stücke, starker Abend: Das Ensemble Resonanz beschäftigte sich im Kleinen Saal mit dem Verhältnis des Menschen zur Natur.
Drei Holzstämme, etwa zwei Meter lang, zweimal Kiefer, einmal Eiche, vom Komponisten Volker Staub für sein „Waldstück Nr. 24“ eigenhändig entrindet, als Arbeitsmaterial für einen Schlagzeuger im Zentrum der Bühne. Dahinter ein ausgehöhlter Stamm, mit dem man, wie auch immer, durch Kippbewegungen täuschend echt das Geräusch sanft plätschernden Wassers imitieren kann. Zwei Pfeifchen, auf Lerche und Drossel gestimmt, kamen ebenfalls zum Einsatz. Wer, wenn nicht das Ensemble Resonanz, könnte in dieser Stadt – ungestraft und am Ende des Abends bejubelt – auf die Idee kommen, ein Konzert im Kleinen Saal der Elbphilharmonie so konsequent eigenwillig zu beginnen?
Man könnte sich mühelos sehr lustig machen über diese Versuchsanordnung sehr Neuer Musik. Doch das Konzept-Konzert „Seltene Erde“ war alles andere als putzig gedacht, es hat einen akuten, besorgniserregenden Anlass: das gestörte, verstörte, zerstörte Verhältnis vom Menschen zur Natur. Wie sieht Musik auf diesen Teil der (Um-)Welt, wie reagiert diese Kunstform auf Fantasien von gestern und vorgestern, auf Wirklichkeiten von heute und für morgen?
Elbphilharmonie-Konzert: Wie stimmt man einen Baumstamm?
Während Dirk Rothbrust also behutsam bis berserkend mit unterschiedlichen Schlegeln die Baumstämme bespielte, saßen die Orchestermitglieder kollektiv abwartend an den Bühnenrändern. Erstaunlich und – großes Wort, aber dennoch: poetisch, welche Klangvielfalt und Unmittelbarkeit aus drei Baumstämmen zu entlocken ist, wenn man sich darauf einlässt, dass „Musik“ viel mehr ist als das geordnete Bewegen irgendwelcher Klappen, Tasten oder Saiten.
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Die Bühnenbildnerin Annette Kurz, Residenzkünstlerin dieser Saison, hatte auch diesen Resonanz-Abend, der fast vollständig ohne die Dirigentin Friederike Scheunchen ablief, gründlich neu durchdacht und behutsam intensiv theatralisiert. An der Bühnenrückwand hing eine dezente Klangtapete, nach der Pause zeigte sie andere Pinselstriche. Bei Dvoraks „Nokturno“, einer kleinen, zartbitter tiefromantischen Nachtmusik, etliche Generationen nach Mozart, standen die Streicherinnen und Streicher rund um die Bäume, die wie für eine Trauerfeier aufbewahrt zuhörten, wie ihnen von einer idyllischen Nacht vorgeraunt wurde.
Auch Puccinis „Crisantemi“, eigentlich ein Einzelsatz für ein Streichquartett und als Soundtrack zu einer Opern-Sterbeszene geschrieben, wurde personell aufgestockt. Das Orchesterchen schmachtete sich durch dieses Abschieds-Adagio, das seinen Namen der Trauerblume Chrysantheme verdankte und die Endlichkeit alles Seins beklagte.
Ein Schlagzeugkonzert als Protest gegen Umweltsünden in Serbien
In seinen „Arbor Cosmica“-Grübeleien für ein Dutzend Streichinstrumente ging der polnisch-britische Komponist Andrzej Panufnik zurück in mythische Vorzeiten. Die Stimmen umwaberten einander, spielten sich Motivideen zu, während der Kontrabass tief unten grummelte, wehten die hohen Streicher Flageolett-Noten-Sprühregen darüber hinweg.
Für die zweite Panufnik-Portion nach der Pause schritt das Ensemble die Publikumstreppen mit Grubenlampen hinab zur Bühne, wie bei einer Prozession. Es wurde erneut rätselhafter. Und wütender. Ihr Schlagzeugkonzert „Jadarit“ benannte die Komponistin Milica Djordjevic nach einem seltenen, wertvollen Werkstoff, der in einem serbischen Tal auf Mineral komm raus abgebaut werden soll, trotz enormen Bürgerprotests gegen diesen Raubbau. Rothbrust kam dafür mit einem Koffer voller Utensilien auf die Bühne, wo schon eine Menge Metall auf ihn wartete und er sich, getrieben von den hysterisch werdenden Streichern, mehr und mehr in Rage über diese Naturverletzung schraubte. Starke Stücke, starker Abend.
Das Konzert wird am Donnerstag, 18. Januar, um 19.30Uhr wiederholt, evtl. Restkarten. Nächste Resonanz-Konzerte in der Elbphilharmonie: 5./6.3. Musik von Copland, Vivier, Tschaikowsky u.a. Aktuelle Aufnahme: Mozart Sinfonien Nr. 36 & 38. Riccardo Minasi (Dirigent) (harmonia mundi, CD ca. 20 Euro)