Hamburg. Der Schriftsteller wäre am Freitag 100 Jahre alt geworden. Zu Hamburg schrieb er nichts Nettes, sagt seine Übersetzerin – eine Hamburgerin.

Auf dem Lehrplan im Englischunterricht auf dem Hamburger Helene-Lange-Gymnasium stand James Baldwins Erzählung „Sonny‘s Blues“. Pflichtlektüre, links der Text, rechts das Vokabular. Für Miriam Mandelkow war die Kurzgeschichte Anfang der 80er-Jahre ein Erweckungserlebnis. „Mir war nicht klar, dass man mit Sprache so Musik machen kann“, sagt sie.

Seit ihrer Schulzeit hat der afroamerikanische Schriftsteller sie nicht mehr losgelassen, er war einer der Gründe, Anglistik und Amerikanistik zu studieren, unter anderem an der Universität in Bloomington/Indiana. Seit einigen Jahren darf Mandelkow sich beruflich mit Baldwin beschäftigen: Sie ist die Übersetzerin seines Gesamtwerkes, das seit 2018 im dtv-Verlag in München wieder herauskommt. Für ihre Übersetzung von „Go tell it on the Mountain“ (Dt. „Von dieser Welt“) wurde die Hamburgerin 2020 mit dem renommierten Helmut-M.-Braem-Übersetzerpreis ausgezeichnet.

Miriam Mandelkow lebt in Hamburg. Sie gehört zu den renommiertesten Übersetzerinnen ins Deutsche.
Miriam Mandelkow lebt in Hamburg. Sie gehört zu den renommiertesten Übersetzerinnen ins Deutsche. © imago/Sven Simon | IMAGO stock

Am 2. August jährt sich Baldwins Geburtstag zum 100. Mal. Gleich drei Werke von Baldwin hat dtv in diesem Jahr in den Übersetzungen von Miriam Mandelkow veröffentlicht: die Essay-Bände „Von einem Sohn dieses Landes“ und „Kein Name bleibt ihm weit und breit“ sowie den Roman „Wie lange, sag mir, ist der Zug schon fort“. Bis auf „Giovannis Zimmer“ war sein in den 1960er- und 1970er-Jahre übersetztes Werk in Deutschland vergriffen, dtv-Lektor Lars Claßen bemühte sich bei Baldwins Erben um die Rechte und bekam sie. „Als Raoul Pecks Kinodokumentation ,I Am Not Your Negro‘ 2017 herauskam, war Baldwin wieder im Fokus, und auch andere Verlage interessierten sich für ihn, doch dtv hatte bereits die Rechte. Und dann ging es für mich mit dem ersten Roman los“, erzählt Mandelkow.

James Baldwin über die Hamburger: „So kurz angebunden ist wie eine hochgezogene Zugbrücke“

Das Thema Rassismus ist für den schwarzen Schriftsteller von eminenter Bedeutung. „Baldwin schreibt eigentlich nicht  ,über‘ Rassismus, er erzählt Geschichten und beschreibt Beziehungen, die durch und durch von Rassismus geprägt sind. Er schildert eine Gesellschaft, in der Rassismus in jede Faser des Zusammenlebens eingedrungen ist, in Liebe, Sex, und Begegnungen vergiftet“, sagt die Übersetzerin. Um seinen ersten Roman zu vollenden, verließ Baldwin die USA und ging 1948 nach Frankreich. Als „Go tell it on the Mountain“ 1953 erschien, wurde es zum Erfolg, ebenso wie der Nachfolger „Giovanni‘s Room“, der heute als einer der größten Klassiker der Schwulenliteratur gilt. Baldwin war nicht nur wegen seiner Hautfarbe in den USA ein Außenseiter, sondern auch wegen seiner Homosexualität.

Ein Dichter, Schriftsteller und Aktivist: James Baldwin, hier auf einer Aufnahme in Südfrankreich im Jahr 1979.
Ein Dichter, Schriftsteller und Aktivist: James Baldwin, hier auf einer Aufnahme in Südfrankreich im Jahr 1979. © AFP via Getty Images | RAPH GATTI

Als Mandelkow sich an die Übersetzungsarbeit machte, hatte sie große Lust auf die Aufgabe, aber auch großen Respekt: „Ich habe mich gefragt, ob das Deutsche es schafft, diese Musik zu erzeugen? Auch das ,Black English‘ ist eine Herausforderung. Jedes Buch von Baldwin hat einen eigenen Ton. Es ist immer wieder eine neue Reise und ich habe viel mit der Sprache und der Syntax experimentiert.“ Auch der Sprachwandel und der Umgang mit dem sogenannten N-Wort sind immer wieder Thema. „Rassistisches Vokabular benutze ich dort, wo Baldwin die Gewalt der Sprache aufzeigt.“ Miriam Mandelkow erklärt auch, dass in früheren Übersetzungen Wortwiederholungen vermieden worden sind. „Doch die gibt es im Blues und im Gospel. Und in der Bibel ... Sie machen die Musikalität von Baldwins Sprache aus.“

Baldwin-Übersetzerin Miriam Mandelkow: „Passagen, die uns auffordern, Verantwortung zu übernehmen“

Auch Hamburg kommt in einem Essay vor. In „Kein Name bleibt ihm weit und breit“ schildert Baldwin einen Aufenthalt in der Hansestadt im Winter 1968. Er war hierhergereist, weil sein Freund Tony Maynard wegen eines amerikanischen Haftbefehls im Untersuchungsgefängnis am Holstenglacis einsaß. Er sollte von dort in die USA ausgeliefert werden. Gut kommt Hamburg in den entsprechenden Passagen nicht weg. Über die Hamburger schreibt Baldwin: „(sie sind von)  einer Höflichkeit, die so kurz angebunden ist wie eine hochgezogene Zugbrücke und so beunruhigend wie der tiefe Graben darunter.“

Maynard war unter fadenscheinigen Gründen des Mordes angeklagt und verbrachte sechs Jahre lang unschuldig im Gefängnis. „Maynards Fall war für Baldwin eine Inspiration für seinen Roman ,Beale Street Blues‘“, so Mandelkow. „Was er in dem Essay über die amerikanische Justiz schreibt und die selbstzufriedenen Anwälte, die Geld nehmen und nichts tun,  hat in den Roman Eingang gefunden.“

Mehr Kultur in Hamburg

Die Übersetzung von Baldwins Werk geht für Miriam Mandelkow weiter. Als Nächstes steht sein letzter Roman „Just above my Head“ auf ihrem Arbeitsplan. Auch die Erzählungen inklusive „Sonny‘s Blues“ sollen ihren Weg ins Deutsche finden: „Aber dafür gibt es noch keinen Termin.“

Für Miriam Mandelkow steht außer Frage, dass James Baldwins Texte weiterhin eine große Relevanz besitzen, nicht nur für Amerikaner: „Es gibt immer wieder Passagen, die uns auffordern, für uns selbst Verantwortung zu übernehmen. Für unsere eigene Geschichte, für unsere Gesellschaft und für unser Miteinander.“ Ein zentraler Satz, so Mandelkow, findet sich in „The Fire Next Time“. Er lautet: „In der Unschuld liegt das Verbrechen.“ Mandelkow erläutert: „Er meint damit die ignorante und arrogante Haltung: Ich habe mit der Vergangenheit nichts zu tun. Das ist universell und deshalb auch relevant für unser Land.“

René Aguigah und Ijoma Mangold diskutieren über Baldwin (28.8., 19.30 Uhr, Literaturhaus)

René Aguigah und Miriam Mandelkow im Gespräch (27.11., 19 Uhr, Felix Jud)