Hamburg. Wie NDR-Harfenistin Anaëlle Tourret die Vielfalt ihres Instruments beschreibt. Im März spielt sie solistisch in der Elbphilharmonie

Harfe spielen ist eindeutig nichts für Grobmotoriker: sieben Pedale, einige links, einige rechts, und knapp 47 Saiten für zehn Finger. Auf der Bühne im Großen Saal der Elbphilharmonie sieht man sie regelmäßig, hört sie aber vielleicht nicht immer. Aber wenn, ist es immer ein besonderer Moment. 

Anaëlle Tourret ist seit 2018 Solo-Harfenistin des NDR-Orchesters, war Schülerin bei Xavier de Maistre und unterrichtet nun als seine Assistentin an der Hamburger Hochschule für Musik und Theater. Am 10. März rückt die Französin aus dem Orchester-Verband in die „Poleposition“ in der Elbphilharmonie neben dem Dirigenten auf, als Solistin in Glières Harfenkonzert.

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Anaëlle Tourret: „Mal klingt die Harfe wie Tautropfen, mal wie Feuer“

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Ein Instrument, das mehr nach Schönheit, nach Grazie, nach Anmut, nach Poesie, nach Träumerei klingt als die Harfe, wird man im Orchester kaum finden. Fangen Sie an zu spielen, hören alle sofort die Engel singen. Ist das nicht mitunter unschön, weil Sie und Ihr Instrument immer mit diesem Klischee von wunderbarer, selig machender Musik in Verbindung gebracht werden?

Das stimmt, es ist ein Instrument mit vielen verschiedenen Klischees, einige sind wahr. Die Harfe gehört zu den ältesten Instrumenten, es gab sie schon im alten Ägypten. Die modernste Form wurde Anfang 20. Jahrhunderts entwickelt, damals hat sie das Interesse vieler Komponisten geweckt, in Frankreich beispielsweise von Fauré, Debussy, danach Jolivet und jetzt bei zeitgenössischen Komponisten. Vielleicht sollte man diese Klischees schätzen, um neue Perspektiven zu eröffnen und die neuen Möglichkeiten zu unterstützen.

Harfenistin: „Mal klingt die Harfe wie Tautropfen, mal wie Feuer“

Wie kamen Sie zur Harfe? Haben Sie sich von Anfang an gesagt, ich will partout das unhandlichste Instrument?

Eigentlich habe ich mit vier mit dem Klavier begonnen. Meine Eltern sind beide Musiker, mein Vater spielte Flöte, er leitet jetzt eine Musikschule, meine Mutter war Pianistin und unterrichtet jetzt Kammermusik. Mit fünf ging ich mit meinem Vater zu einem Solo-Harfenkonzert, war total begeistert und bin zur Harfe gewechselt.

Aber trotzdem: Harfe muss man schon spielen wollen, erst recht mit fünf.

Das stimmt. Das war schon eine Herausforderung, ein kleines Abenteuer. Ich habe viele Erinnerungen an Urlaube mit sehr vollen Autos, weil ich zwei jüngere Brüder habe, die auch Musik studierten. Aber man transportiert seine Harfe nicht jede Woche zum Unterricht. Es gibt Harfen in der Schule, im Konservatorium. Wie beim Klavier lernt man sehr früh, auf immer anderen Instrumenten zu spielen.

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Geiger und Pianisten haben Hunderte bedeutender Konzerte – die Harfe vielleicht eine Handvoll. Sie haben Stücke von Hindemith, Britten und Holliger eingespielt. Es gibt ein Konzert von Mozart, das müssen Sie sich mit einer Flöte teilen. Ansonsten ist nicht so wahnsinnig viel da. Gemein, oder?

Ich finde, wir haben ein sehr reiches Repertoire – sechs, sieben große Harfenkonzerte, von Glière, Boieldieu, Reinecke, Mozart, Ginastera und andere. Und es gibt auch noch viele Bearbeitungen, unendliche Möglichkeiten, Repertoire für Klavier, Gitarre oder Cembalo. Man hat keine Langeweile, nie.

Anaëlle Tourret stammt aus Orleans und ist seit 2018 Solo-Harfenistin des NDR Elbphilharmonie Orchesters.
Anaëlle Tourret stammt aus Orleans und ist seit 2018 Solo-Harfenistin des NDR Elbphilharmonie Orchesters. © Joachim Mischke

Wenn Sie richtig forte spielen, ist das schon unschön laut? Sie sitzen ja mit dem Kopf direkt am Ton.

Das Instrument ist sowieso laut. Man denkt, oh, schön, das klingt wie Gitarre. Aber viele, die dann neben einer Harfe sitzen, sind überrascht, denn sie klingt extrem laut und breit. Ein Klang, den ich sehr schätze, und ich liebe es, mein Instrument auf meinem Körper zu haben, weil man die Resonanzen fühlt und quasi Teil des Instruments ist.

Neulich, bei Bartóks Konzert für Orchester, wann immer hinter Ihnen das geballte Blech losbrettern wollte, haben Sie sich Ohrschützer eingesetzt. Den besten Platz im Orchester haben Sie also eher nicht erwischt?

Ich finde, dass ich immer den besten Platz habe. Abhängig vom Programm darf ich entscheiden, wo ich sitzen möchte. Bei diesem Bartók war es für mich selbstverständlich, dass ich neben den Tasteninstrumenten sitzen wollte, weil wir in der Mehrheit der Zeit etwas zusammen zu spielen haben. Die Blechbläser sind so eine fantastische Gruppe. Wenn man weniger als einen Meter vor dem Blechbläser sitzt, muss man natürlich aus gesundheitlichen Gründen aufpassen. Aber das war so ein Spaß!

Elbphilharmonie: „Harfen sind das Gegenteil von Geigen und Weinen“

Sollten Sie mir beschreiben, wie eine Harfe klingt, und das Wort „himmlisch“ darf dabei nicht vorkommen, was bliebe noch übrig als Beschreibung?

Ob „himmlisch“ als erstes Wort kommen sollte, weiß ich nicht. Ich spreche immer gerne von Gefühl, da bietet die Harfe so viele Möglichkeiten. Ich habe manchmal wirklich Gefühle von einem Wind oder einem Sturm. Manchmal auch von extrem kleinen Dingen. Wenn man frühmorgens in einen Wald oder einen Garten geht und dort sind Tautropfen – so kann die Harfe mitunter klingen, und manchmal ist es totales Feuer.

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Erstklassisch mit Mischke: Xavier de Maistre

Erstklassisch mit Mischke

Gibt es bei Harfen ein Stradivari-Denken wie bei Geigen, Bratschen und Celli – je älter, desto besser?

Ich sage immer, dass Harfen das Gegenteil von Geigen oder Weinen sind: Das Neueste ist eigentlich das Beste.

Wie viel wiegt eine ausgewachsene Harfe?

Ungefähr 50 Kilo.

Müssen Sie Ausgleichssport machen, weil Sie immer einen Teil dieser 50 Kilo auf der einen Schulter haben?

Viele glauben, dass die Harfe auf der Schulter ruht. Aber man lernt zu Beginn sofort, dass sie auf dem Knie aufliegen sollte.

Und dann sind da diese vielen Pedale, außerdem sind einige Saiten unterschiedlich gefärbt. Doch das sind ja nicht Gänge, nach dem Motto: Umso mehr Pedale, desto lauter wird es …

… Oh, das wäre schön!

Es geht um chromatische Verschiebungen. Diese Rechnerei mit einem Halbton nach unten oder einem Halbton nach oben, das ist doch die Hölle.

Das ist auch ein Abenteuer. Wir haben 47 Saiten auf der Konzertharfe und sieben Pedale. Eines pro Ton, die sind eigentlich wie die schwarzen Tasten eines Klaviers. Möchte ich einen Ton spielen, muss ich das mit dem Fuß vorbereiten.

Wenn Sie auf Tournee gehen oder ein Gastauftritt ansteht, haben Sie nicht immer Ihre eigene Harfe dabei, sondern spielen auf Leihinstrumenten von den jeweiligen Orchestern. Wie praktisch fürs Reisegepäck.

Ich nehme einfach mein Stimmgerät, meinen Stimmschlüssel mit, das Orchester transportiert die Instrumente und die Ersatzsaiten.

„Ich sehe viele Bilder, wenn ich Glières Harfenkonzert höre“

Mit welchen Komponisten würden Sie gern über seine Musik reden?

Gustav Mahler.

Von wem hätten Sie gerne ein Harfenkonzert? Wahrscheinlich ebenfalls Mahler.

Oh, das wäre unglaublich!

Bier oder Champagner?

Champagner, Entschuldigung…

Was ist das typisch Französische an Ihnen?

Da denke ich an Brot und Käse.

Wenn Sie nicht Harfenistin oder Musikerin geworden wären, was wäre der Plan B gewesen?

Ich habe selten einen Plan B. Ich habe nur Leidenschaften. Aber eine große Leidenschaft war natürlich das Ballett.

Wissen Sie noch, was Sie mit Ihrer ersten professionellen Gage gemacht haben?

Davon habe ich mir ein Top-Stimmgerät gekauft.

Sie spielen am 10. März mit dem NDR-Orchester das Glière-Konzert, zweimal an einem Tag sogar. 1875 in Kiew geboren und schrieb dieses Stück 1938, es klingt wie aus einer Schublade von Tschaikowsky, wurde aber während der Stalin-Zeit komponiert, sehr speziell, auch politisch sehr interessant. Ein kleiner Schatz in Ihrem Repertoire und praktisch niemand kennt das.

Dieses Stück liegt mir besonders am Herzen. Glière hat dieses Harfenkonzert und unglaublich viele andere Werke komponiert, Prokofiew und Khachaturian haben bei ihm studiert. In seiner Musik finden sich viele Folklore-Elemente, ich sehe viele Bilder, wenn ich sein Harfenkonzert höre, extrem große Landschaften, mit viel Seele.

Konzerte: 10.3., 16/18.30 Uhr mit dem NDR Elbphilharmonie Orchester, Werke von Glière und Prokofiew, Dirigent: Vasily Petrenko, evtl. Restkarten unter www.elbphilharmonie.de. 5.4. mit dem Landesjugendorchester Bremen, Werke von Boieldieu, Schostakowitsch und Mendelssohn, Dirigent: Stefan Geiger. Aktuelle Einspielung: „Perspectives“ (Es-Dur, CD ca. 16 Euro)