Hamburg. Iván Fischer kleidet mit dem Budapest Festival Orchester in der Elbphilharmonie „Pelléas et Mélisande“ in naturalistische Bildsprache.

Was ist denn da passiert? Ein Wald überwuchert die Bühne im Großen Saal der Elbphilharmonie. Er hat eine finstere Aura. Die Stämme der Bäume umschlingen sich fast. Zu einem Dickicht, in dem die Musikerinnen und Musiker des Budapest Festival Orchestra sitzen. In grünen und braunen Kitteln verwachsen sie mit ihrer Umgebung.

Debussys „Pelléas et Mélisande“ entspringe einem dunklen, geheimnisvollen Wald, einer Metapher für das Unbewusste: So schreibt es Iván Fischer im Programmheft. Der Dirigent führt mit Marco Gandini auch Regie. Ihre dreiviertelszenische Produktion kleidet Debussys Oper in eine naturalistische Bildsprache. König Arkel trägt eine güldene Krone. Der mysteriöse Brunnen, in dem Mélisande ihren Ehering – absichtlich? – verliert, ist: schlicht und einfach ein Brunnen, vorn links auf der bemoosten Bühne.

Debussy-Oper in der Elbphilharmonie: Ein Dirigent steht im Wald

Das wirkt erstaunlich geradeaus inszeniert. Aber vielleicht muss ein so von Andeutungen und Geheimnissen durchdrungenes Stück auch nicht noch zusätzlich chiffriert werden. Schließlich sind die Figuren verrätselt genug. Allen voran die schöne, schwer greifbare Mélisande, in deren bis zum Boden wallender roter Lockenpracht sich Pelléas bei einem Stelldichein verfängt – und damit die tödliche Eifersucht seines Halbbruders Golaud triggert.

Diesen Golaud, Ehemann von Mélisande, macht der Bariton Tassis Christoyannis zur eigentlichen Hauptfigur. Mit einer stimmlichen Präsenz, die eine tiefe Zärtlichkeit erkennen lässt, aber auch seinen Hang zu Härte und Gewalt. Wie Golaud Mélisande an den Haaren schleift, wie er seinen Sohn Yniold zwingt, ihren vermeintlichen Ehebruch auszuspähen: Das wirkt beklemmend echt.

Elbphilharmonie: Tenor Bernard Richter gibt den Pelléas als verträumten Jüngling

Golaud verkörpert toxische Männlichkeit. Mélisande das Gegenbild. Eine Femme fragile, ganz in Weiß, verletzlich, faszinierend, scheu. Halb Fabelwesen, halb Mensch. Die Sopranistin Patricia Petibon singt und spielt die Partie mit kühler Sinnlichkeit; der Tenor Bernard Richter gibt den Pelléas als verträumten Jüngling, der unbedarft in den Sog Liebe hineingerät.

Einen wunderbaren Kontrast zum jungen Paar und seinen hellen Farben bilden Yvonne Naef als Geneviève mit üppigem Mezzo und der phänomenale Nicolas Testé als König Arkel mit seinem machtvoll orgelnden Bass.

Iván Fischer sorgt dafür, dass alle Solistinnen und Solisten genug Spielraum haben. Die vokalen Linien, von Debussy nahe am Fluss der französischen Sprache entlang komponiert, sind klar gezeichnet. Fischer findet eine ideale Balance zwischen Gesang und instrumentalen Stimmen. Mit seinem Orchester formt er eine Fülle an Farbnuancen, er erkundet die Partitur bis in ihre feinsten Verästelungen – und inszeniert auch musikalisch einen dunklen Zauberwald.