Hamburg. Die Berliner Philharmoniker, Lisa Batiashvili und Kirill Petrenko mit Musik von Brahms, Szymanowski und Strauss. Irre gut.

Eines der sonderbarsten, selbst verliebtesten Stücke der jüngeren Musikgeschichte rundete einen ohnehin schon tollen Konzertabend aufs Großartigste ab. Strauss‘ „Sinfonia domestica“, die handwerklich brillante, aber schrecklich eitle Vertonung seines Familienlebens mitsamt dazwischenlärmendem Gör und Ehekrach, braucht – außer Strauss damals fürs eigene Junggenie-Ego – eher niemand.

Genau deswegen aber war es für die Berliner Philharmoniker und ihren Chefdirigenten Kirill Petrenko beim Gastspiel in der Elbphilharmonie ideales Jonglage-Material. So konnten sie am Freitag mit beinahe aufreizender Lässigkeit wieder einmal vorführen, wie irre gut dieses Orchester ist, schon auf jeder Einzelposition und erst recht im funkelnden Zusammenspiel.

Elbphilharmonie: Tragik, Geigen-Magie und Familienkrach vom Allerfeinsten

Tieferen Sinn bekommt man in dieses Stück eh nicht mehr herausgeheimnist, also stand Petrenko dem Schaulaufen seines All-Star-Tuttis nicht unnötig mit Niveau-Suche im Weg. Albrecht Mayer machte aus jedem hübschen Solo-Einwurf gleich ein Oboen-Konzertchen; Wenzel Fuchs‘ Klarinetten-Auftritte waren makellos; der Konzertmeister Daishin Kashimoto – sensationell; die Horngruppe, vom Hornisten-Sohn Strauss immer besonders satt mit Herausforderungen beschenkt, hornte kollektiv drauflos, bis fast die Ventile glühten. Petrenko lehnte sich gewissermaßen im Stehen zurück und genoss von dort, fröhlich grinsend feinsortierend, die musikalische Aussicht auf den Strauss‘schen Haushalt, der klang, als hätte Loriot per Zeitmaschine die Pointen an die Privatadresse geliefert.

Der so typisch melancholisch pathetische Tonfall blühte tragisch schön auf

Am Montag, im Wiener Musikverein mit seiner grundsätzlich anderen Schuhschachtel-Akustik, hatte Brahms‘ „Tragische Ouvertüre“ überfallartig, mit einem kompakteren, satten Orchesterklang-Profil sehr überwältigenwollend begonnen; vier Abende später, in der transparenteren, breiter auffächernden Elbphilharmonie, kam dieses Stück mit einer ganz anderen, analytischeren Kraft und Spannung in Fahrt.

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Interessant, wie gut sich Petrenkos ehrfürchtiger Blick zurück auf Brahms‘ Tonsprache auch mit der „moderneren“ Hamburger Akustik vertrug, wie feinfühlig er die Übergänge modellierte und die oft harten Motivkanten unangetastet ließ; das Zartbittere blieb verschattet, der so typisch melancholisch pathetische Tonfall blühte tragisch schön auf.

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„Schrecklich fantastisch“ sei sein erstes Violinkonzert geraten, fand Karol Szymanowski, er lag damit nur halb richtig. In den Händen von Lisa Batiashvili verwandeln sich diese Noten zu einer Parfumwolke, sinnlich, intensiv. Bis auf kurze Bodenannäherungen schwebt der Violinpart in höchsten Höhen über seiner Umrahmung, völlig losgelöst vom Korsett spätestromantischer Tonalität. Batiashvili ließ diese wundersame Musik sich verströmen und verschwenden. Elegant wie eine Haute-Couture-Robe, glitzernd, oft nur von einem Hauch aus undefinierbarem Akkord-Gespinst umhüllt, mit einer expressiven großen Solo-Kadenz im letzten Abschnitt, die Batiashvili so spannungsgeladen wie einen mysteriösen Thriller erzählte.