Hamburg. Das Hamburger Ensemble mit der Bratscherin Tabea Zimmermann sorgt bei Konzert für jede Menge Überraschungen, weg vom Klischee.

Auch mal schön, wenn der Titel eines Konzertabends nicht nur stumpf frontal den jeweiligen Inhalt bewirbt, sondern zunächst auf einen ganz anders interessanten Holzweg führt, weg vom Klischee. „Spät romantisch“ hatte das Ensemble Resonanz sein Laeiszhallen-Programm überschrieben – um dann aber mit einer wirklich sehr frühen c-Moll-Ouvertüre des gerade mal 14 Jahre jungen Wiener „Klassikers“ Franz Schubert in eine andere Richtung abzubiegen.

Laeiszhalle Hamburg: Ensemble Resonanz bringt Etikettenschwindel vom Feinsten

Selbstverwaltet, ohne mittig platzierte Führungskraft auf der Bühne des Großen Saals, holte das Streicher-Kollektiv alles aus dieser energisch enthusiastischen Geschicklichkeitsübung heraus, die im Original nur kammermusikalisch besetzt war und deswegen hier etwas unter struktureller Überbelegung litt. Dass dieses Nischen-Stück noch sehr im Genre-Klischee verhaftet war und als Fleißarbeitchen in Richtung der erwachsenen Vorbilder schielte, hörte man. Es störte aber auch ganz und gar nicht, einen Einblick in Schuberts Wachstumsphase zu erhalten, weil hier und da eben doch schon das Eigene und Eigenwillige durchblitzte.

In der Orchesterfassung von Ensescus Oktett spielte Tabea Zimmermann, die Gastsolistin des Abends, in der Bratschengruppe vom Ensemble Resonanz als Stimmführerin für alle mit.
In der Orchesterfassung von Ensescus Oktett spielte Tabea Zimmermann, die Gastsolistin des Abends, in der Bratschengruppe vom Ensemble Resonanz als Stimmführerin für alle mit. © Jann Wilken | Jann Wilken

Noch rarer, alles andere als spätromantisch verträumt, war das Divertimento der komponierenden Geigerin und Nadia-Boulanger-Schülerin Grazyna Bacewicz, 1965 vorgelegt. Eine schroff angeraute Kreuzung aus scharfkantigen Akzenten, brüchig gewordenen Andeutungen an die damals schon verjährte Formenstrenge des Neoklassizismus, prall gefüllt mit Verweisen zur Volksmusik. Anstrengend, unhandlich, ein Halbschattengeschöpf, das Charakterstärke und einen sehr speziellen Tonfall hatte. Gerade deswegen also ebenfalls lohnend.

Laeiszhalle Hamburg: Bratscherin Tabea Zimmermann begeistert als Interpretin

Der Rest des Ensemble-Resonanz-Abends gehörte voll und ganz der Bratscherin Tabea Zimmermann und ihrem Charisma als Interpretin. Man kennt sich, man mag sich sehr, man versteht sich im Konzert auch ohne viele Justierungsgesten, das hilft ungemein. Hindemith-Bewunderin und -Kennerin, die Zimmermann ist, hatte sie sich für dessen „Trauermusik“ als Viola-Visitenkarte entschieden; eine elegische Meditation über Vergänglichkeit, komponiert als Nachruf auf den britischen König George V., in der Zimmermanns enorm großer, tiefer, aber nie auch nur ansatzweise sämiger Bratschen-Ton wie ein Kronjuwel eingebettet war und sanft leuchtete.

Mehr zum Thema

Jeder Ton bohrte sich liebevoll und unaufdringlich ins Gemüt, wegzuhören war unmöglich. Zimmermann stellte diese meisterhaft gearbeitete Musik nicht zur Debatte, sie gab ihr als Geschichtenerzählerin eine persönliche Unmittelbarkeit, die anrührend und aufrichtig ist und vollständig uneitel.

podcast-image

Weil sie sich offenkundig immer, ob nun vorne im Rampenlicht oder nicht, als Teamplayer versteht, war es nur konsequent, sich für die hoch orchestrierte Version von George Enescus C-Dur-Oktett in die Resonanz-Bratschengruppe zu setzen. Eine einschwingende Oberkörperbewegung genügte ihr dort, um als Nicht-Dirigentin den Puls des Ganzen nach oben zu treiben. Damit waren alle dann 40 Minuten lang ausgiebig beschäftigt, denn Enescus Opus 7 aus dem Jahr 1900 – von einem 19-Jährigen! – ist sensationell, abwechslungsprall und vom ersten süffigen Walzerschwung an originell und überlebensgroß gedacht. Wie handwerklich komplex diese Fast-Sinfonie konstruiert ist, spielt, so gut durchblutet wie hier, keinerlei Rolle. Obwohl ausschließlich Streicher auf der Bühne waren, vermisste man keinen Moment die Klangfarbenpaletten-Erweiterung durch Bläser. Alles floss und wogte, das Ensemble spielte sich in eine selige Rage, mit Tabea Zimmermann mittendrin und begeisternd dabei.

Nächstes Resonanz-Konzert: 17.11. im Rahmen des „Kurdistan Festivals“ in der Elbphilharmonie, mit der Sängerin Aynur und Kayhan Kalhor (Kamatsche). Aktuelle CD: Mozart Sinfonien Nr. 36 & 38, Riccardo Minasi (Dirigent), Ensemble Resonanz (harmonia mundi CD ca. 18 Euro)