Hamburg. Kostümwechsel und Gesangsduelle: der facettenreiche Auftritt von Mezzosopranistin Cecilia Bartoli in der Elbphilharmonie.
Eigentlich macht sie bei ihren Solokonzerten nichts anderes als bei Opernauftritten: sich verwandeln, in neue Rollen schlüpfen. Aber Cecilia Bartoli ist dabei konsequenter und einfallsreicher als die meisten anderen in ihrer Liga.
Zur Erinnerung: Es war lustig etwas los, als 2019 das „Farinelli“-Album erschien, ihre Hommage an einen der berühmtesten Kastraten des Hochbarock, randvoll mit Ausgrabungen aus dessen Repertoire – und der Römerin mit Conchita-Vollbart als Gesichtsperücke auf dem genderfluiden Cover-Foto.
Eine Frau, die sich in einen Mann versetzt, der mit seiner himmlisch hohen Stimme mal Männer-, mal Frauenrollen sang. Schlaues Marketing, ein Hingucker fürs Hinhören.
Cecilia Bartoli kam, sang und bezauberte
Jetzt, für ihren Auftritt in der Hamburger Elbphilharmonie, verpasste La Bartoli dieser Diskursschraube noch eine weitere kleine, dezente Drehung. Denn sie kam ohne Bart auf die Bühne, um sich dort für jede Arie neu in einen dramatisch aufgeladenen Charakter zu verwandeln.
Personal und Requisiten dafür hatte sie passend mitgebracht: Neben dem von ihr gegründeten Spezial-Ensemble „Les Musiciens du Prince – Monaco“ auch noch einen Garderoben-Reisekoffer mit Schminktisch sowie einen Kammersängerin-Diener in Livree, der huldvoll um sie herumtänzelte und Kostümteile anreichte, während das Ensemble eifrig Instrumental-Intermezzi als Pausenfüller spielte.
Interessantes Anschauungskonzept, auch für opernhistorische Amateure, um so ganz selbstverständlich hinter die Kulissen und Konventionen des Genres zu führen, ohne dafür erst ein Seminar über den Camp-Faktor von Oper belegt zu haben.
- Kastraten, die Superstars der Barockmusik
- Die besten Anwälte der Alten Musik
- Jonas Kaufmann: Verdi und Verismo mit interessant gereifter Stimme
Sichtbar in Ohnmacht gefallen, wie es damals bei Farinellis Personality-Shows in den großen italienischen und englischen Opernhäusern der Fall gewesen sein soll, ist in der Elbphilharmonie deswegen niemand im Publikum. Doch das Verzücktsein, das steigerte sich in den Rängen trotz der Bitte um Applausverzicht von Nummer zu Nummer. Und das, obwohl Bartoli zunächst einigen Abstand zum verschwenderischen Abbrennen von Mezzo-Koloratur-Feuerwerken hielt.
Hatte die Arme sich bei ihrem Zweitjob als mitwirkende Intendantin der Salzburger Pfingstfestspiele mit den diversen „Orfeo“-Auftritten übernommen und musste sich nun schonen? Wahrer als diese Theorie ist wohl, dass sich die inzwischen 57-Jährige ihren Stimmen-Hürdenlauf bewusst klug über den Abend einteilt, um sich zum Ende und auf den Jubel hin zu steigern. Gereifte Ausdruckstiefe in getrageneren Arien liegt ihr inzwischen besser als dauerrasantes Achterbahnfahren durch die Höhenlagen diverser Da-capo-Arien.
Cecilia Bartolis Tänzchen mit Händel
Ihr „Lascia la spina cogli la rosa“, Händels zweieiige Zwillingsmelodie zu seinem „Rinaldo“-Hit „Lascia ch’io pianga“, war ein frühes schönes Beispiel für Bartolis unverwechselbare Klasse als Charakterdarstellerin. Und vielleicht war es auch nur schöner Zufall, dass das Orchesterchen gleich zwei Stücke mit historischem Hamburg-Bezug im Programm hatte, eine Sinfonia aus „Marc’Antonio e Cleopatra“ des gebürtigen Bergedorfer Barockwelt-Stars Hasse und ein effektvolles Trompetenkonzertchen aus dem Fundus von Telemann.
Hasses Ouvertüre war wiederum ein ideales Vorspiel für das thematisch naheliegende „V’adoro, pupille“ aus Händels „Giulio Cesare“, mit Bartoli als Cleopatra im Liz-Taylor-Format, von Federbüscheln umflattert wie Liberace bei seinen Shows in Las Vegas. Und in einer Händel-Tanzsuite gönnte sich die auch mit Flamenco aufgewachsene Sängerin eine kleine Tanzszene.
Cecilia Bartoli war stets die Siegerin der Herzen
Cleverster Kniff dieses Geschicklichkeitsparcours durch die Musikwelt des 18. Jahrhunderts war allerdings das quer durchs Orchester praktizierte liebevolle Duellieren mit Instrumental-Soli: Traversflöte, Piccolo, Oboe, Trompete, Cello …
Wer nach jeder Runde Siegerin der Herzen blieb, war immer klar, aber auch egal, weil Bartoli und ihre Gegenüber dieses Spielchen gern mitspielten. Kindlich verträumt, wie nur sie es nach wie vor kann: das Spiel mit einem kleinen Kunstvogel an einer Angel, den Bartoli bei Händels „Augelletti, che cantate“ zum Fliegen brachte, während sie mit der Piccolo um die Wette tirilierte.
Das Ausblasen einer Kerze auf der Bühne war natürlich nicht ernst gemeint, im dreiteiligen Zugabenteil zeigte Bartoli dann doch, wo der Kastrat sich seinen Applaus abholt. Reizendes Gegenstück dazu war das Italo-Schmonzettchen „Non ti scordar di me“. So etwas kann sie also auch.
Album: Cecilia Bartoli „Farinelli“ (Decca, CD ca. 18 Euro)